USA 2022 · 129 min. · FSK: ab 12 Regie: Brett Morgen Drehbuch: Brett Morgen Schnitt: Brett Morgen Darsteller: David Bowie |
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Eine Sehnsucht, die tief in der eigenen Seele verwurzelt ist | ||
(Foto: Universal) |
Sechs Jahre ist es bereits her und trotzdem ist dieses Loch noch spürbar. Am 10. Januar 2016 ging mit David Bowie einer der ganz Großen der Pop-Welt von uns, eine Lücke, die wohl nie wieder gefüllt werden kann. Man muss nicht einmal seine Karriere komplett miterlebt haben oder seine Discografie in allen schillernden Facetten kennen. Die kurze Beschäftigung mit diesem musikalischen Chamäleon reicht schon, um zu verstehen, welchen Stellenwert Bowie hatte. Nun bringt Brett Morgan, der bereits dokumentarische Denkmäler für die Rolling Stones und Kurt Cobain setzte, mit Moonage Daydream einen Film in die Kinos, der alles andere als ein Requiem ist. Eher ist sein Film eine zweieinhalbstündige Auferstehung.
Nun ist es mit Rockumentaries immer etwas kompliziert. In den allermeisten Fällen sind sie nach einem recht vorhersehbaren Schema F aufgebaut, das selbst den treuesten Fan schnell langweilen kann. Die Biografie wird chronologisch durchgehechelt, die alten Weggefährten geben ihren Kommentar ab, dazwischen flimmern Schätze aus dem Archiv über die Leinwand. Letztere sind bei Moonage Daydream jedoch kein Baustein, sondern gleich das komplette Grundgerüst. Man sieht ausschließlich Bowie auf der Bühne, Bowie im Interview, Bowie in Filmrollen. Dazwischen Fans, die sich entweder in Tränen auflösen oder in Ekstase aufgehen, Stummfilmschnipsel, Farb- und Schnittgewitter, Verfremdungen, wie man sie aus Experimentalfilmen kennt – dieser Film ist weniger eine pophistorische Materialsammlung, sondern mehr ein explodierendes Kaleidoskop. Dazu schweben Nietzsche und der Ferne Osten durch den Raum und archaische Spiritualität flirtet mit Science Fiction. Mitunter mag das anstrengend sein, aber im Grunde ist es doch der einzige Weg, einem menschgewordenen Spektakel nahezukommen.
Aber auch abseits des reinen Stils tut sich ein Problem auf. Wie will man einen Überstar inszenieren? Soll der Mythos weiter bedient oder der Alltagsmensch herauskristallisiert werden? Es ist leider ziemlich leicht, hier in Beliebigkeit oder sogar Schönfärberei abzudriften. In diesem Falle wird es relativ schnell offensichtlich, dass Morgan sich dazu entscheidet, den Mythos weiter zu festigen. Selbst wenn Bowie sich hier selbst zu privaten und künstlerischen Krisen äußert und seine Schwächen und Widersprüche sichtbar werden, die Unnahbarkeit tastet der Film nur sehr vorsichtig an. Es bleibt nur sehr schwer vorstellbar, dass Bowie ein normaler Mensch ist, der sich in der Früh sein Brot schmiert. Der Regisseur ist interessiert an Ziggy Stardust, dem Thin White Duke, dem androgynen Hohepriester, der uns aus fernen Galaxien in Musik geformte kosmische Energie schickt. So weit, so bekannt, so gewünscht. Was für viele Zuschauer sicher neu sein könnte, ist der Maler und Bildhauer Bowie, dem hier ein relativ großer Platz eingeräumt wird. Aber auch der wird genauso gezeigt wie der Musiker, nämlich als jemand, der außerhalb von konventionellen Begrifflichkeiten steht.
Wie soll man nun dazu stehen? Fast schon automatisch meldet sich ein kleiner Widerwille. Als aufgeklärter und skeptischer Beobachter der Kulturindustrie hat man doch eine gewisse Abneigung gegen einen solchen Heiligenkult entwickelt. Gerade wenn dieser so hypnotisch daherkommt wie Moonage Daydream. Aber was will man denn nun eigentlich? Gerade in Zeiten, in denen Superstars über Social Media jederzeit ihr profanes Privatleben an die Fans bringen können, sind Lichtgestalten doch in gewisser Weise eine Wohltat. Vielleicht etwas zu hoch gegriffen startet der Film mit Nietzsches Verkündigung vom Tode Gottes und der damit einhergehenden Leere im Menschen. Auch wenn das Gesamtkunstwerk David Bowie diese Leerstelle nicht komplett füllt, es zeigt doch, dass es mehr gibt. Auch wenn das nur die Gewissheit des Bedürfnisses ist, dass etwas gefüllt werden muss. Genau diese Exzentriker sind es doch, die ihrem Publikum gleichzeitig so fern und doch so nahe stehen. Mit seinen Imagewechseln verkörperte Bowie wie kein Zweiter das Unbenennbare, die nicht enden wollende Suche nach einer Identität, die mit vollstem Einsatz von Geist und Körper geführt wird. Hier liegt der Punkt, der seine Kunst so besonders machte. Auch wenn sie aus intergalaktischen Sphären zu stammen schien, am Ende entspringt sie doch einer Sehnsucht, die tief in der eigenen Seele verwurzelt ist. Wenn es eine Rockumentary schafft, solche Reflexionen in Gang zu setzen, dann ist sie doch geglückt und macht die Fragen nach Selbstinszenierung und Authentizität nebensächlich.
Letzten Endes kommen sogar Zweifel auf, ob das am Anfang erwähnte Loch wirklich da ist. Vielleicht hat sich Bowie einfach nur in den letzten Zustand transformiert. Nach Ziggy, Duke, dem Soundtüftler in Westberlin und dem Stadion-Popstar ist er nun der »Blackstar«, der nicht mehr verlöschen kann. Mag alles sehr pathetisch klingen, fühlt sich aber sehr richtig an. Moonage Daydream ist ein finaler Erkundungsflug durch ein Universum, das sich auch in noch so vielen Lichtjahren nicht erschließen lassen wird. Und ganz unspektakulär eine Erinnerung daran, dass sich Musik-Dokumentarfilme auch abseits der geläufigen Regeln machen lassen. Ja, und eine Erinnerung daran, nach dem Kinogang wieder mal ein paar gute Platten aufzulegen, ist er auch.