Brasilien/F/D 2024 · 115 min. · FSK: ab 16 Regie: Karim Aïnouz Drehbuch: Wislan Esmeraldo, Mauricio Zacharias Kamera: Hélène Louvart Darsteller: Iago Xavier, Nataly Rocha, Fábio Assunção |
||
Ein Gefühl des Unerreichbaren... | ||
(Foto: Piffl Medien) |
Heraldo und Jorge werden ein paar letzte glückliche Momente gegönnt. Idyllisch muten die Bilder an, die Regisseur Karim Aïnouz aus rauschenden Wellen, Palmen, Kakteen, rötlich schimmernden Felsen, einem Sandstrand, aus grobkörnigem Filmmaterial entstehen lässt. Die Entzweiung der beiden Brüder, die sich mit krummen Auftragsgeschäften durchschlagen, ist in diesen trügerischen, sommerlichen Aufnahmen derweil schon beschlossene Sache. Heraldo zieht es in die Ferne. Er träumt von einer eigenen Werkstatt in São Paulo. Als der letzte kriminelle Job der beiden ansteht, gerät die Situation außer Kontrolle. Nach ihrem gescheiterten Raubüberfall steht Heraldo ohne Hab und Gut da. Sein Bruder liegt tot auf der Straße. Also bleibt nur die Flucht in das mysteriöse, titelgebende Motel Destino im nordbrasilianischen Niemandsland, das in Aïnouz’ Film zunächst als grell leuchtender Neonfleck in der Dunkelheit der Nacht erscheint, ehe er in dessen Innerstes vordringt und eine höchst sinnliche, vereinnahmende Raumerkundung anstellt. Sie gehört zu den eindrucksvollsten Seherfahrungen, an denen man in den letzten Programmwochen des Kinojahres 2024 teilhaben kann.
Karim Aïnouz, bekannt geworden mit Filmen wie Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão und zuletzt Firebrand, ist nach langer Zeit, nach der Regierungszeit Bolsonaros nach Brasilien zurückgekehrt und hat diesen Film in der Region seiner Kindheit gedreht. Sein Blick auf das Land ist einer, der das Verdrängte, Abgekapselte und Entfremdete ins Zentrum rückt. Machtgefälle, alte Vorherrschaften und Rollen, die sich auf Gewalt gründen und Gewalt ausüben, werden bei ihm von unversöhnten, unterschwelligen und irrationalen Trieben her gedacht. Zugleich sucht er nach neuen Formen zwischenmenschlicher Annäherung. Motel Destino ist ein Kino der Arbeiter, der träumenden, sehnsüchtigen Außenseiter und Kriminellen und eines, das mit dem Essenziellsten, mit dem Sex und dem Tod, spielt. Nicht in dem Sinne, dass er dafür allzu explizit in seinen Darstellungen werden müsste. Der Film spielt vielmehr mit dem Fantasieren und Ausblenden, bildhaft mittels trennender Türen und Mauern in den Fokus gerückt. Aufgeladene Blicke, die Aufnahmen verschwitzter, getriebener Körper, offene Gucklöcher lassen derlei Grenzen fortwährend durchlässig erscheinen. Jeder physische Kontakt, jede empfundene Leidenschaft wird zugleich zum bedrohlichen Risiko. Heraldo, der Protagonist, strandet also in diesem Stundenhotel. Eine Liebhaberin sperrt ihn dort ein, betrügt ihn nach einer gemeinsamen Liebesnacht. Später dann, als dem jungen Mann kein anderer Zufluchtsort bleibt, fängt er als Reinigungskraft in dem Etablissement an. Es ist der Beginn eines doppelten Einmischungsprozesses. Einerseits, wie er sich den Ereignissen im Motel nähert. Andererseits, wie er in die unglückliche Beziehung seiner Vorgesetzten Dayana und ihres machistischen Partners Elias funkt.
Immerzu stöhnt es in dem neonbeleuchteten Gemäuer. Ein surrealer Ort ist das. Eine Transitzone, in der Menschen auf Zeit verweilen. Ein ständiges Ein- und Auschecken. Kontrollgänge werden in einem langen Gang durchgeführt, in dem man nur anhand der Geräuschkulisse erahnen kann, was sich hinter den Türen in den vermieteten Zimmern abspielt. Die Betreiber des Motels, aber auch Heraldo treten an diesem Schauplatz als Kulissenschieber, Geschäftsleute und ebenso als Künstler auf, die an einer Stimmung, einem Illusionsraum arbeiten, ihn inszenieren. Erotisches Verlangen entspinnt sich dabei zunächst aus dem Wissen um das Unverfügbare, um die Barriere, die das Unmittelbare, das sich direkt hinter der Wand abspielt, bewusst ins Unerreichbare rückt. Vom Treiben der Gäste bleiben Spuren. Spermaflecken, Drogen. Geschichten, die über Reste erahnt und zusammengepuzzelt werden, die das Kopfkino anregen. Später dann macht man sich kleine Klappen zunutze, die die Sexualität in eine Peepshow verwandeln. Motel Destino ist ein Film ungebremster, hitzig köchelnder Schaulust, bei der sich Blicke durch ein Raster auf die nackten, verkehrenden Körper als letzte Verstellung und Distanzierung mit der grobkörnigen Textur der Filmbilder vereinen. Privatsphäre und Überwachung werden eins. Spätestens dann ist das Spiel mit dem räumlichen Dispositiv, mit dem stimulierten Begehren, was wann und wie sicht- und erfahrbar wird, auf das Dispositiv Kino übergeschwappt. Eine ungemein dichte Stimmung kreiert dieser Film im dunklen Saal. Er teast sein Publikum und verweist es zugleich in seine Schranken. Das hat weder etwas mit Prüderie noch mit überzogenem Exzess zu tun, sondern sucht nach Spannungsfeldern und Zugängen zu ambivalenten Lustgefühlen und Transgressionen, die man sonst nur selten im regulären Kinoprogramm so intensiv verhandelt findet. Und seine Geschichte spitzt sich zu! Die Dreiecksgeschichte nimmt an Fahrt auf. Wo Barrieren eingerissen werden, schließt sich ein Versteckspiel an. Die Stimmung in Karim Aïnouz’ Film wird surrealer, schwelgt in (Alb)Träumen. Tiere – ein Esel, eine Schlange im Whirlpool – gesellen sich als Projektionsflächen und Symbole hinzu. Wiederholt fangen die grandiosen Bilder von Kamerafrau Hélène Louvart an zu pulsieren und zu fluoreszieren. Man denkt an Gaspar Noés filmischen Drogen-, Sex- und Todesrausch Enter the Void, wie dort die Lichter flackern und die Sinne trüben.
Wenn Heraldo und Dayana gemeinsam vom Ausbruch träumen und überlegen, wie sie diesem brutalen Macker, der über allem wacht, entkommen können, verwandelt sich Motel Destino in einen Film Noir, spielt mit dessen Geschlechterbildern und Spannungsformeln. Am Ende gleicht eine Fahrt durch die Nacht einer regelrechten Höllenfahrt, bei der mit Waffen gedroht wird und Figuren ihre eigenen Gräber schaufeln. Die Abwärtsspirale und der Kampf, den Aïnouz’ Figuren austragen, findet erst um das Begehren, dann um das nackte Überleben statt. Und immerzu wabert diese melancholische und fiebrig flirrende Mitternachtsstimmung über seinen Szenen. Die entfesselten erotischen Gefühle werden seinen Protagonisten selbst bei der sinnbildlichen Arbeit in einer Eisfabrik noch verfolgen. Wenngleich er, die Eröffnungssequenz hat es vorweggenommen, immer wieder vom Gefühl des Unerreichbaren, Endlichen, Davongerissenen, des niemals zu Erlangenden erzählt. Das Paradies vertreibt seine Bewohner. Spürbar sind noch letzte Erinnerungen, eingebrannte Erfahrungen. Das Pochen und Krisseln und Entschwinden der Bilder rettet sich somit selbst in einen eigenen, flüchtigen, lichtspielenden Zwischenraum, ehe sich dieser verführerische Genrefilm, als wäre man gerade aus einem Traum hochgeschreckt, in Windeseile wieder dem Ungreifbaren und Unabschließbaren öffnet. Und so passt es, dass am Ende nichts als das pure Leuchten und penetrierende Wummern der Beats übrig bleiben. Die pure Reizüberflutung, wenn der Abspann von Motel Destino im bunt flackernden Stroboskop explodiert und verglüht.