Italien 2023 · 119 min. · FSK: ab 12 Regie: Paola Cortellesi Drehbuch: Furio Andreotti, Giulia Calenda, Paola Cortellesi Kamera: Davide Leone Darsteller: Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Emanuela Fanelli, Giorgio Colangeli u.a. |
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Trügerische Idylle... | ||
(Foto: Tobis) |
Das Regiedebüt der italienischen Moderatorin und Schauspielerin Paola Cortellesi, die auch an dem vom Leben der eigenen Großmutter inspirierten Drehbuch mitschrieb und in der Hauptrolle zu sehen ist, spielt im Rom nach dem 2. Weltkrieg und war im letzten Jahr in Italien ein großer Überraschungserfolg. Das mag auch daran liegen, dass in Italien noch im Jahr 2023 alle 72 Stunden eine Frau von einem Mann getötet wurde, also 121 Frauen im Jahr (in Deutschland liegt diese Rate mit knapp 100 Fällen nur unweit darunter) durch die Hand eines Mannes starben und anders als in Deutschland diese Tatsache durchaus öffentlich verhandelt wird. Man denke nur an die Demonstrationen nach dem Femizid an der 22-Jährigen Giulia Cecchettin am 11. November 2023, als Hunderttausende für ein Ende der Gewalt gegen Frauen auf die Straßen gingen.
Dabei behandelt Cortellesis Film nicht einmal die ernüchternde Gegenwart, sondern wirft einen Blick auf das Italien nach dem 2. Weltkrieg und das Jahr 1946, als Italien sich nicht nur parteipolitisch neu formierte, sondern auch genderpolitisch, denn erst ab diesem Jahr durften Frauen auch überregional wählen. Damit lag Italien immerhin noch weit vor der Schweiz und wer sich an Petra Volpes hervorragenden Film Die göttliche Ordnung (2017) erinnert, weiß, was das bedeutet.
Doch anders als bei Volpe, wo feministische Attitüden in einer erstarrten und reformbedürftigen Zeit ins Zentrum gerückt werden, wirft Cortellesi einen konzentrierten Blick auf das Innere einer Familie, in der Delia (Paola Cortellesi) als Ehefrau von Ivano (Valerio Mastandrea) gleich nach dem Aufwachen mit ein paar Ohrfeigen in den Tag geschickt wird und abhängig von Ivanos Tagesform im Laufe des Tages mit noch weitaus schwereren Methoden traktiert wird. Und ist Ivano nicht da,
gibt es noch Ivanos bettlägerigen Vater Sor (Giorgio Colangeli), der es sich nicht nehmen lässt, Delia den Tag zu verübeln.
Was bleibt in dieser grausamen Tristesse, sind die Kinder, eine ältere Tochter und zwei kleinere Söhne und ein arbeitsamer Alltag, der sie jedoch immerhin aus dem Haus und in bessere Umstände führt.
Cortellesi lässt sich angenehm viel Zeit, um nicht nur den intrafamiliären Horror, sondern auch eine patriarchalische Gesellschaft zu sezieren, die sich ihrer Untaten gar nicht bewusst ist und im schmerzhaften Kontrast zu den amerikanischen Besatzungstruppen stehen, die immerhin ahnen, was hinter den verschlossenen Türen passiert und mit ein paar Tafeln Schokolade zu trösten versuchen.
Morgen ist auch noch ein Tag lässt sich aber auch die notwendige Zeit, um von den gesellschaftlichen Hierarchien des Landes zu erzählen und den Profiteuren des faschistischen Systems. Diese Ausflüge treffen schließlich auch das Herz der Familie, denn Cortellesi macht auch dezidiert deutlich, dass Missbrauchsopfer nicht nur unter ihrer Passivität leiden, sondern ihre Verhaltensmuster an die nächste Generation übertragen können. Deshalb sind die immer wiederkehrendend Szenen zwischen Mutter und Tochter fast genauso wichtig wie die Prügelexzesse, die Cortellesi bizarr verfremdet, wird aus einer Prügelei etwa ein Tanz, werden andere Gewaltmomente konsequent in nicht einsehbare Räume überführt; eine Methode, die letztlich wohl auch der Realität entspricht, versucht die Außenwelt – wie auch hier – die Gewalt doch eher zu verdrängen als zu unterbinden.
Diese Strategie der »Verdrängung« verhilft dem Film dann auch zu einer fast schon befremdlichen Leichtigkeit, die nicht nur in starkem Kontrast zu dem Geschehen steht, sondern auch den brillanten Schwarz-Weiß-Bildern mit ihrer Anlehnung und Hommage an die Filme des italienischen Neorealismus auf fast schon provokante Weise widerspricht und sie möglicherweise sogar zu hinterfragen versucht. Das gelingt zwar nicht immer, macht Cortellesis Film aber gerade deswegen auch zu einem so eindrücklichen wie überraschenden Film, dessen Bilder und Geschichte lange nachwirken und bis in die Gegenwart reichen.
Delia ist Ehefrau und Mutter von drei Kindern. Ehefrau, Mutter. Das sind die Rollen, die sie definieren, und das ist genug.
Denn wir befinden uns im Italien der Nachkriegszeit, der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, und diese ganz normale Familie lebt in einem Rom, das zwischen dem positiven Schub der Befreiung und dem Elend des Krieges, der gerade hinter ihnen liegt, zerrissen ist. Ihr Mann Ivano ist der oberste Chef und Herr der Familie, er arbeitet hart, um das trotzdem wenige Geld
nach Hause zu bringen und er lässt keine Gelegenheit aus, diese Mühsal und seinen Verdruss zu betonen, oft in verächtlichem Ton.
Respekt hat er nicht vor seiner Frau, sondern nur vor seinem Vater Ottorino, einem zänkischen und despotischen alten Mann, für den Schwiegertochter Delia sozusagen die ideale Pflegerin ist.
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Delias einziger Trost ist ihre Freundin Marisa, mit der sie Momente der Heiterkeit und ein paar intime Vertraulichkeiten teilt. Es ist Frühling, und die ganze Familie ist in Aufruhr wegen der bevorstehenden Verlobung der geliebten ältesten Tochter Marcella, die ihrerseits nur darauf hofft, schnell Giulio, einen netten Jungen aus der Mittelschicht, zu heiraten und endlich ihr unangenehmes Zuhause verlassen zu können.
Auch Delia wünscht sich nichts mehr für ihre Kinder; sie selbst akzeptiert ihr scheinbar verpfuschtes Leben, und eine gute Ehe für ihre Tochter ist alles, was sie (noch) anstrebt. Das Eintreffen eines mysteriösen Briefes gibt ihr jedoch den Mut, ihre Pläne umzuwerfen und sich eine bessere Zukunft vorzustellen, nicht nur für sie.
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Paola Cortellesi, gerade 50 Jahre alt, gehört mit einer langen Fernseh-Karriere und über 30 Filmen als Darstellerin zu den erfolgreichsten italienischen Schauspielerinnen ihrer Generation. Im vergangenen Jahr nun präsentierte sie ihr Debüt als Regisseurin. In der Geschichte, zu der sie auch gemeinsam mit zwei Co-Autoren das Drehbuch schrieb, reist sie ins Rom der unmittelbaren Nachkriegszeit zurück, und in die Film-Ästhetik von Italiens legendärem Autorenkino-Stil, dem
Neorealismus.
Cortellesi übernahm auch die Hauptrolle einer Frau zwischen Aufbruch und Tradition – und zu aller Überraschung wurde dieses bittersüße One-Woman-Projekt zum erfolgreichsten italienischen Film des Jahres.
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Ihr Film ist eine sehr gelungene auch »emotionale« Hommage an das neorealistische Kino im Italien nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Film ist deshalb auch in eindrucksvollem Schwarz-Weiß gedreht. Eine ästhetische Entscheidung, die das Publikum nicht verschreckt hat, das stattdessen in großer Zahl in die Kinos strömte, und den Film zur großen Überraschung vieler zum meistgesehenem Film des Jahres 2023 gemacht hat.
Cortellesi lässt uns in ein Rom des Jahres 1946 eintauchen, das wie der Rest Italiens arm und zerstört ist. Sie zeigt, ähnlich wie Elsa Morante in ihrem Roman La Storia, das Leben der Frauen, die erlebt haben, wie sehr das Patriarchat ihre persönliche und familiäre Entwicklung beeinflusst hat. So darf Delia beispielsweise am 2. Juni 1946 überhaupt zum ersten Mal wählen.
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Morgen ist auch noch ein Tag weist einige interessante erzählerische Kunstgriffe auf, vor allem wird die körperliche Gewalt, die Delia von ihrem Ehemann Ivano häufig angetan wird, nicht gezeigt.
So werden die Schläge zu Tanzschritten, und das plötzliche Schließen des Fensters von Delias Haus mit Blick auf den Innenhof des von Müttern, älteren Menschen und Kindern bewohnten Wohnblocks wird zu einer Vorwegnahme dessen, was kurz darauf geschehen wird.
Aber die vielleicht entscheidendste, unvergesslichste Szene des Films ist eine Art »Anleitung« von Delias Schwiegervater, wie Frauen »geschlagen werden sollten«, so der betagte, bettlägerige Mann: »Eine anständige Tracht Prügel – das versteht sie. Du darfst sie nicht immer schlagen. Am Ende gewöhnt sie sich dran.«
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Der Film von Cortellesi macht deutlich, dass ganze Generationen mit der Idee aufgewachsen sind, dass Frauen Eigentum sind, und ihre Emanzipation gleichbedeutend mit mangelndem Respekt vor dem »Mann«. Als wäre das nicht genug, wird auch noch vermittelt, dass es ein Zeichen von Männlichkeit ist, wenn man gelegentlich die Hand gegen den Partner erhebt, und dass Eifersucht und Besitzgier Ausdruck von Liebe sind. Im Film wird Delia auch zum Schutzschild zwischen ihrem manipulativen und frustrierten Ehemann und ihren Kindern, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft sind, in der Demütigungen nicht zum täglichen Brot gehören.
Morgen ist auch noch ein Tag ist eine gelungene Mischung aus Drama und Komödie, die stark an das goldene Zeitalter des Neorealismus erinnert.
Ein Film, der in der Lage ist, eine Geschichte zu erzählen, die nicht nur Frauen anspricht, sondern alle. Und die einige im Publikum am eigenen Leib erfahren haben werden.
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Die Ironie von Cortellesi als Schauspielerin verleiht selbst den schwierigsten Szenen, wie Delias ständiger Demütigung durch ihren kleinlichen und überheblichen Ehemann, eine unterschwellige Leichtigkeit. Es ist diese Leichtigkeit, diese subtile, aber spürbare Sehnsucht nach einem besseren Morgen, nach einem anderen Morgen, die den Film über die reine Unterhaltung hinaushebt.
Ein so schöner und gelegentlich bizarr komischer, wie wütender Film!