Mond

Österreich 2024 · 93 min. · FSK: ab 16
Regie: Kurdwin Ayub
Drehbuch:
Kamera: Klemens Hufnagl
Darsteller: Florentina Holzinger, Celina Sarhan, Andria Tayeh, Nagham Abu Baker, Omar AlMajali u.a.
Mond
Der Orient als Wille und Vorstellung
(Foto: Grandfilm | Ulrich Seidl Produktion)

Drei Schwestern in Jordanien

Kurdwin Ayubs phänomenaler, souverän inszenierter, abgründiger Film »Mond«

»Ich möchte das Publikum richtig aufwühlen. Manchmal glauben die Leute nämlich nur, sie seien aufge­wühlt, sind es aber gar nicht.«
Ich komme aus der Ulrich-Seidl-Ecke, seine Filme fand ich cool. Dieses Authen­ti­sche, dieses Depres­sive. Mein Idol war aber immer Veronika Franz, die auch Autorin von Seidls Hundstage ist. Das zeigt ein sehr arges Öster­reich, das fand ich mutig.
Seidl hat mir künst­le­ri­sche Freiheit beigebracht, im Sinne von: sich nicht einzu­engen lassen von Normen oder Markie­rungen. Er hat gesagt: Alles vergessen, einfach machen. Und wenn ich mehr Drehtage brauche, soll ich sie mir nehmen und nicht aufs Geld schauen. Er vertraut mir einfach.
Kurdwin Ayub

Der Orient ist das Verspre­chen des Anderen. Er steht für unsere exoti­schen Phan­ta­sien, erzählt uns etwas von unseren unein­ge­stan­denen Sehn­süchten. Für Sarah, die junge westliche Frau, die in diesem Film in den Orient reist: steht er auch für die Utopie eines etwas regel­lo­seren Lebens, eines Lebens, in dem nicht beim Kampf­sport­trai­ning irgend­welche Leute plötzlich Absurdes über eine »Safe Zone« erzählen, in der man sich nicht darüber streitet, ob man die Kaffee­tasse auf den Unter­setzer stellt oder nicht, garniert mit spießigen Sprüchen wie: »Was glaubst Du, wozu der Unter­setzer da ist? Hallo, kannst du bitte die Tasse auf den Unter­setzer tun? Der ist ja nicht zum Spaß da, der Unter­setzer«; in der nicht jeder Mensch einen Busi­ness­plan haben muss – einen Busi­ness­plan hat Sarah nämlich keinen.

Sarah (gespielt von der Perfor­mance-Künst­lerin Floren­tina Holzinger in ihrer ersten Filmrolle) ist eine ehemalige profes­sio­nelle Kampf­sport­lerin, deren Karriere in einem MMA-Käfig abrupt endet, nachdem sie von ihrer Gegnerin brutal besiegt wird. Da sie nicht weiß, wie sie nun ihr Leben weiter­führen und ihren Lebens­un­ter­halt verdienen soll, nimmt sie ein etwas merk­wür­diges, aber auch merk­würdig-verlo­ckendes Angebot an: Sie soll nach Jordanien reisen und dort die persön­liche Trainerin dreier Schwes­tern aus einer sehr reichen jorda­ni­schen Familie werden.

+ + +

Zunächst scheint dort alles ideal. Es scheint wie ein einfacher Job für gutes Geld, der zudem mit Vorteilen wie einem bezahlten Aufent­halt in einem Luxus­hotel und viel Freizeit äußerst komfor­ta­blen Anwesen der Familie verbunden ist.

Doch schon bald erkennt sie, dass nicht nur eine kultu­relle Kluft, sondern auch ein Gene­ra­ti­onsgap und ein massiver Klas­sen­kon­flikt zwischen ihr und ihren drei Schü­le­rinnen Nour, Shaima und Fatima liegt. Die Luxus­prin­zes­sinnen haben keinen Bock, sich zu quälen und zeigen überaus wenig Interesse am Training mit Sarah. Sie bevor­zugen Shopping, Fernsehen und besonders die Nutzung von Sarahs Handy, um das Internet zu nutzen.
Außerdem sind die Haus­re­geln strikt. Sarah muss eine Verschwie­gen­heits­klausel unter­schreiben; sie darf nichts foto­gra­fieren oder aufzeichnen, mit niemandem aus dem Haus kommu­ni­zieren, und die Räume im oberen Stockwerk sind tabu.

Bald häufen sich auch andere sonder­bare Details: Wenn die Mädchen ausgehen und zum Beispiel in einem teuren Einkaufs­zen­trum shoppen wollen, werden sie von einem Bodyguard begleitet, der eher als Aufpasser statt als Beschützer wirkt. Auch ihre social-media-accounts können sie nur heimlich checken.

Zunehmend erkennt Sarah, dass die Töchter Gefangene in ihrem eigenen Zuhause sind, das fast ausschließ­lich von Dienst­boten, Leib­wäch­tern und ihrem Bruder bevölkert wird. Dieser Bruder, dem Ansehen alles ist, wird seiner­seits von der rechten Hand des Vaters überwacht, der seine Hand­lungen stark einschränkt.

So ist diese Frau aus dem Westen einer­seits eine Arbeits­mi­grantin aus Not und in Abhän­gig­keit ihrer Auftrag­geber, wenn auch in umge­drehter Konstel­la­tion. Ande­rer­seits aber ist sie der verlän­gerte Arm des Bruders der Schwes­tern. Sie merkt anfangs gar nicht, dass sie zu einer Art Skla­ven­trei­berin und Kontrol­leurin der Schwes­tern wird. Denn es ist klar, dass sie in Wahrheit eher als eine Art Baby­sitter engagiert wurde, der dafür sorgen soll, dass die Mädchen beschäf­tigt sind, um sich die Zeit zu vertreiben. Doch diese sehen in Sarah die Gele­gen­heit, aus ihrem »goldenen Käfig« zu entkommen. Dabei haben sie unter­schied­liche Vorstel­lungen vom Ausbruch und sind bereit, sehr verschie­dene Risiken einzu­gehen – wird sich Sarah darin verwi­ckeln lassen? Welches Risiko ist sie bereit, einzu­gehen?

+ + +

Mond ist souverän insze­niert. Spannende und kurz­wei­liges Kino. Zwar handelt es sich einer­seits um eine Reflexion über Unter­schiede zwischen den Kulturen, vor allem, wenn es um die Stellung der Frau geht. Ande­rer­seits wird alles aber zunehmend auch zu einem Psycho­thriller. Sarah versucht heraus­zu­finden, was wirklich hinter den Mauern des Hauses vor sich geht, während die Schwes­tern mehr und mehr unter den Verhält­nissen leiden.
Die Regis­seurin verwischt dabei geschickt die Grenzen, lässt Raum für Inter­pre­ta­tion und spielt vor allem auch mit den Erzähl­kon­strukten west­li­cher Perspek­tiven.
Das Resultat dieser Betrach­tung ist abgründig.

Zugleich macht Ayub aus ihrer eigenen Haltung keinen Hehl: Ihr Film zeigt mehrere gleich­zei­tige Gefäng­nisse: Einen goldenen Käfig, der die jungen Frauen gefangen hält; einen selbst gewählten Käfig aus Schön­heits­idealen der globalen Kons­um­kultur; aber auch auch den Käfig des Körper- Fitness- und Gesund­heits­kults, der Sarah selbst gefan­gen­hält. Zwischen diesen beiden Welten gibt es das gemein­same Element der gesell­schaft­li­chen Gewalt, der diese Frauen gefangen hält.
Aller­dings zeugt Ayub auch die Paradoxie die darin liegt, dass Frauen diese Gewalt oft genug auch im Alltag akzep­tieren. Oder sie selbst beflügeln: Aus einem uner­klär­li­chen Grund liebt Sarah es, im MMA-Käfig zu kämpfen, und auf seltsame Weise scheint sie ihre Trau­rig­keit zu genießen.
Jede der drei Schwes­tern Nour, Shaima und Fatima geht jeweils völlig anders mit der Gewalt um, die sie umgibt.

Der indirekte Dialog mit Ayubs vorhe­rigen Filmen, besonders Sonne ist einer der inter­es­san­testen Aspekte von Mond, und die Regis­seurin baut diesen gut auf – von den politisch unkor­rekten, scherz­haften Warnungen ihrer Freunde oder Mitbe­wohner am Anfang bis hin zu den Einbli­cken in Sarahs Alltag, sobald sie nach Jordanien zieht.
Kurdwin Ayubs Blick ist wohltuend klar und geprägt durch ihre unver­fälschte weibliche, westliche Sicht auf Macht­ver­hält­nisse, sowie durch die sorg­fäl­tige Auawahl der Drehorte im asep­ti­schen, depri­mie­rend gesichts­losen Stil des neurei­chen Nahen Ostens.

Erleich­te­rung gibt es trotzdem in diesem heraus­ra­genden und sehr unter­halt­samem Film. Sie kommt vor allem aus der pulsie­renden Musik, die beiden Welten verbindet: Tanzen ist hier ein Ritual, um sich zu reinigen.