USA 2005 · 164 min. · FSK: ab 16 Regie: Steven Spielberg Drehbuch: Tony Kushner Kamera: Janusz Kaminski Darsteller: Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush, Mathieu Kassovitz, Hanns Zischler u.a. |
||
»Mein ist die Rache, spricht der Herr« |
Das Kino ist nicht das Medium für Argumente. Dem Kino – und dem des Steven Spielberg sowieso – gehen die Emotionen allemal vor der Ratio. Es ist gut geeignet für Agitation, aber schlecht darin, darzulegen und abzuwägen. Wenn es sich der Politik annimmt, dann tut es sich schwer, wenn es sich einerseits bewusst in Grauzonen begibt, andererseits dort letztlich doch klar Gut und Böse abstecken will.
Munich ist vorgeblich ein Film über die (angebliche) gnadenlose Antwort des israelischen Geheimdiensts auf das Olympia-Massaker von 1972. Es hat sich bereits eine Diskussion entzündet darüber, wieweit historisch belegbar ist, was der Film zeigt und seine Buchvorlage von George Jonas behauptet. Aber diese Diskussion zielt daneben, denn dem Film – der zu Anfang selbst angibt, von realen Ereignissen lediglich »inspiriert« zu sein – geht es nicht
um konkrete Geschichte sondern ums Prinzip: Wie weit darf ein Staat mit seinen Maßnahmen gehen, wie weit sich von Recht und Menschlichkeit entfernen, wenn er sich grausamem Terror ausgesetzt sieht.
Das interessiert selbstverständlich weniger als theoretischer Nachtarock zu 1972 denn als aktuelle Auseinandersetzung mit der US-Politik nach dem 11. September 2001. In Munich ist das sehr schnell offensichtlich – und für alle, die es dennoch nicht
mitbekommen haben sollten, endet der Film nach einer Predigt über die Übel der Rache mit einer Ansicht vom Manhattan der Siebziger, aus dem groß die Zwillingstürme des World Trade Center ragen.
Selbstverständlich hat da die Computergrafik nachgeholfen, aber es ist wenigstens eine der wenigen Szenen, die dort aufgenommen wurden, wo sie spielt. New York ist dem US-Zuschauer dann doch zu bekannt, um es vollständig zu faken. Ansonsten aber wurde der Film weitestgehend auf Malta und in Ungarn gedreht. Soll eine Szene in Paris spielen, dann prangt im Hintergrund dauernd ein verdächtig digital aussehender Eiffelturm; für London hat man rote Telefonzellen an die
Straßenecken postiert; und an irgendeiner Art Ostblockarena hat man einfach eine Leuchtschrift angebracht »Olympiastadion München«. Man muss sich darüber nicht allzu groß echauffieren, die finanziellen Realitäten der Filmproduktion führen nunmal zu solchen Kuriositäten. Aber es ist doch interessant zu sehen, wo Munich seine Prioritäten setzt – was ihm Ausgaben wert waren und was nicht.
Dass er selbst ein weltberühmtes Architekturdenkmal wie
das ‘72er Olympiastadion für unbekannt genug hält, um sich nicht einmal Mühe geben zu müssen, seiner Filmrepresäntation eine auch nur entfernte Ähnlichkeit zu verleihen, beweist zuerst mal eine für Hollywood typische Hochnäsigkeit gegenüber Europa. Die zeigt sich in Munich auch daran, wie der Film eine Reihe großartiger europäischer Schauspieler en passant verheizt. Michael Lonsdale bekommt wenigstens noch eine, wenn auch kleine, so doch tragende
Rolle spendiert. Und die wunderbare Meret Becker darf den Film für zwei Minuten in ein seltsameres, dunkleres Reich ziehen. Aber die verehrungswürdige Valeria Bruni-Tedeschi wird mal eben so in eine Tischgesellschaft gesetzt, um einen belanglosen Satz aufsagen zu dürfen.
Die Bereitschaft, sich mit schlechten Imitationen der echten Schauplätze zufrieden zu geben, ist aber auch ein Zeichen dafür, dass es dem Film eben nicht darum geht, einer historischen »Wahrheit« wirklich nachzuspüren. (Er müsste nicht naiv an eine einzige, objektive, zuverlässig rekonstruierbare Wahrheit glauben, um das dennoch zum Ansatz zu machen.) Er will nicht möglichst genau wissen, wie es und was damals war, um das Geschehene dann besser verstehen und werten zu können. Die wahren Orte und Umstände, gerade auch die historisch-politischen, interessieren ihn nicht im Detail – was sein gutes Recht ist. Munich weiß schon vorab, dass er sowieso was besseres vorhat; er benutzt das alles nur als Anschauungsmaterial. Denn Munich hat eine Botschaft.
Es ist etwas seltsam, dass ausgerechnet Spielberg jetzt gegen amerikanische Gewaltausübung anfilmt, wo er doch mit Saving Private Ryan einen so wichtigen Beitrag zur geistigen Wiederaufrüstung der USA geleistet hat – ein Film, der den Glauben zurückbringen wollte dass Krieg, Opfer und absurd scheinende Befehle ihren höheren, edlen Sinn haben können. Aber sei’s drum: Das Problem von Munich ist ohnehin nicht, WAS der Film sagen will, sondern WIE er das tut.
Es gibt sehr gute Gründe, die Position des Films gutzuheißen. Aber die haben mit den Errungenschaften der Aufklärung, haben mit Völkerrecht und den Prinzipien der Demokratie zu tun, oder meinetwegen, zynischer gesehen, auch mit Spieltheorie. Doch das sind alles Dinge, zu denen Munich keinen Zugang hat.
So sehr er sich bemüht: Spielberg bleibt ein Geschichtenerzähler, und er bleibt Hollywoodkino, und am stärksten ist er immer da, wo er dazu auch steht. Wenn er meint, einen »wichtigen« Film machen zu müssen, dann läuft das bei ihm zunächst darüber, dass er sich ein furchtbar gewichtiges Thema auflädt – als wüchse Kunst immer nur an ihrem Gegenstand, und nicht an ihrer Sicht der Dinge. Wenn Spielberg sich den Mantel des Meistermalers anzieht, braucht er Menschheitsdramen,
nicht Sonnenblumen als Sujet. Und dann borgt er sich äußere stilistische Zeichen, um zu bedeuten: Das hier ist nicht etwa Unterhaltung! Doch das bleibt, wie das Schwarzweiß von Schindler’s List, meist nur ein dünner Firnis über der gewohnten filmischen Erzählweise. Dass Spielberg insgesamt in den letzten Jahren etwas rauher, ruppiger, bewusst unpräziser geworden ist in seinem Stil (ob
auch das Wort »freier« angebracht wäre, bin ich mir nicht wirklich sicher), gereicht ihm dabei nicht unbedingt zum Vorteil: Wenn es etwas gab, was er früher wirklich beherrschte wie kaum ein zweiter Zeitgenosse, dann war es das klassische Erzählen – er hatte alle Tricks drauf von Hitchcock, allerdings nie dessen Tiefe.
Munich jedenfalls lehnt seinen Look und seine Kamera- und Schnittarbeit eindeutig an den Polit- und Agententhrillern der 1970er an,
insbesondere auch den europäischen. Und es beschleicht einen der Verdacht, dass dies wirklich keinen tieferen Grund hat als dass auch das gezeigte Geschehen in jener Epoche und in Europa stattfand.
Damit aber ist der Film auch ein gutes Stück weit ein Genrefilm, und das steht oft quer zu seinen Absichten: Die mehr als zweieinhalb Stunden von Munich bestehen zum größten Teil aus einer brav nacheinander abgearbeiteten Reihe von Auftragsmorden an (zunächst geplant:) elf Menschen, die für die Münchner Geiselnahme (mit)verantwortlich sein sollen. Und eigentlich will uns der Film ja beibringen, dass diese Racheaktion verdammenswert ist. Doch weil Munich nun eben auch ein Thriller ist, und weil er sonst auch nicht allzuviel wirklich Aufregendes zu bieten hat, gibt es eine Ebene, auf der die Ausbrüche von Gewalt just zu den Höhepunkten des Films werden, zu Schaustücken, die heimlich die Lust des Publikums kitzeln. Denn die Gewalt ist Thriller-, ist Agentenfilm-Gewalt, wenngleich oft der härteren Gangart. Da gibt es dann beispielsweise eine Szene, in der ein Mann im Hausflur erschossen wird, durch die Einkaufstüte, in der sich ein Milchkarton befindet (The Manchurian Candidate lässt grüßen...). Und dann mischen sich auf dem Boden höchst dekorativ Blut und Milch. Das ist sehr symbolträchtig, und das ist ein hübscher Filmeinfall – aber zu offensichtlich eben genau das: Ein Filmeinfall, eine Pirouette des Regisseurs. Und zu hübsch, um wehzutun oder zu schockieren.
Weil also die Gewalt an sich nicht wirklich abstößt, und weil ein Spielberg-Film seine Botschaft nur über Emotion transportieren kann, muss die Absage an die Rache auf andere Weise funktionieren. Es ist sehr schnell klar, wie das läuft, und es ist nicht die geringste Schwäche des Films, dass er es dennoch in solcher Ausführlichkeit und Länge durchexerziert: Mitleid muss aufgebaut werden mit den Opfern, und es müssen bei den Anschlägen zunehmend Unschuldige zunächst in Gefahr, dann in echte Mitleidenschaft geraten.
Man möchte einwenden, dass das aber nicht eigentlich der Punkt ist, weshalb Staaten nicht nach Belieben an ihren eigenen Gesetzen und demokratisch-aufgeklärten Verbindlichkeiten vorbei gewaltsam Rache üben sollten. Doch es wäre, wenn die Sache nunmal nur auf der emotionalen Ebene verhandelt wird, noch eine hinnehmbare Lösung.
Bei Spielberg aber geht offenbar nichts ohne die Familie, sie ist immer wieder Dreh- und Angelpunkt seines Werks, seiner Welt. Und so kommt in Munich die endgültige und eigentliche innere Abkehr des Agenten Avner (Eric Bana) von seinem Auftrag erst, als ihm beim Geschlechtsverkehr mit seiner Angetrauten die Bilder der Gewalt dazwischenfahren (wozu auf dem Soundtrack John Williams einen schmalzschweren Klagegesang triefen lässt).
Das aber kann doch nun wirklich nicht das Argument sein: Dass man auf Terror nicht mit einer anderen Art von Terror antworten soll, weil sonst der Frieden des ehelichen Ficks bedroht ist.
Gut, man kann sich eine freundlichere Formulierung, Interpretation zurechtlegen: Dass die Gewalt immer am Ausübenden kleben bleibt und er sie irgendwann mit ins Intimste, in das ihm Heiligste ziehen wird. Aber alles, was diese Szene dahingehend an Wahrhaftigkeit hätte haben können, das erstickt Munich in einem unsäglichen pseudo-emotionalen Overkill. Da geht es ihm nur darum, seinen Botschaft so herauszuschreien, dass sie auch ja keiner verpasst. Und das ist bäh.
Dabei hätte Munich einen viel spannenderen Ansatz gehabt, hätte eine weniger Hollywood-artige, oft verdrängte Sicht der Dinge im Repertoire: In Avners Agenten-Kommando sitzt Hans (Hanns Zischler), der über die Finanzen der Unternehmung wacht. Er ist ein Buchhalter des Todes, der die ganze Aktion auf eine Kosten-/Nutzen-Rechnung zu reduzieren hat. Leider wird mit ihm auch diese Perspektive aus dem Film abserviert. Dabei hätte sie wahrscheinlich zu den viel radikaleren, überraschenderen und bedenkenswerteren Aspekten führen können: Denn auch Terror ist nicht nur eine Frage der Moral, sondern der Ökonomie.