USA 2020 · 115 min. · FSK: ab 12 Regie: Niki Caro Drehbuch: Rick Jaffa, Amanda Silver, Elizabeth Martin, Lauren Hynek Kamera: Mandy Walker Darsteller: Liu Yifei, Donnie Yen, Jet Li, Gong Li, Jason Scott Lee u.a. |
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Die Geschichte einer starken Frau | ||
(Foto: Disney) |
Als aufgrund der Corona-Pandemie im März die Kinos schließen mussten, verschoben viele Produktionsfirmen die Erscheinungsdaten von Filmen nach hinten. Das Ziel: dem Zuschauer letztendlich doch noch die Möglichkeit des Kinoerlebnisses zu bieten. Einer dieser Filme war die Realverfilmung des Disney-Klassikers Mulan. Allerdings wurde der Termin nicht einmal, sondern immer
wieder verschoben. Mittlerweile ist der Film doch erschienen, allerdings nur auf der Streaming-Plattform Disney+, zu einem Aufpreis von über 20€. Das ist mehr als schade. Denn der Kinostart hätte nicht nur vermutlich wieder mehr Besucher in die Kinos geholt, der Film hat die große Leinwand mehr als verdient. Die Kinobetreiber, die bereits seit Monaten die Werbematerialien wie große Aufsteller und Plakate in ihren Foyers installiert hatten, zerstörten oder verbrannten gar in
symbolträchtiger Weise die Materialien und posteten dies auf Social Media. So lässt sich sagen, dass sich der Überlebenskampf des Kinos angesichts der Streaming-Plattformen an Mulan geradezu entzündet hat. Aber auch die Fangemeinschaft von Mulan rief in Anbetracht der Wuchermiete für den Film zum Boykott von Disney+ auf.
Wir hatten das Glück und erinnern uns an ein eindrückliches Filmerlebnis im Kinosaal während der
Pressevorführung kurz vor dem Lockdown. Damit gehören wir, die Kritiker, zu den »Happy few«, die den Film in der ihm eigentlich angedachten Dimension erleben konnten. Und das soll wohl so auch bleiben.
Eine Kritik von Paula Nicola Ruppert, Teilnehmerin von „Praxis der Filmkritik“ im Wintersemester 2019/2020 an der Ludwig-Maximilians-Universität.
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Wer als Frau nach der Wiedervereinigung der Bundeswehr beitreten wollte, konnte ab 1991 lediglich in den Sanitätsdienst oder zur Militärmusik. Erst seit 2001 sind sämtliche zur Verfügung stehenden Laufbahnen für Frauen geöffnet. In China ist das noch nicht der Fall, der höchste für Frauen zu erreichende Rang ist die Ehrengarde, die zu öffentlichen Anlässen aufmarschiert. Das Alte China hingegen verbot es Frauen, in der Armee zu kämpfen. Eine wohl im 5. oder 6. Jahrhundert
entstandene Legende jedoch erzählt von der jungen Hua Mulan, die als Mann verkleidet für ihren Vater der Armee beitritt und damit ihr Leben riskiert. Der lose darauf basierende Film Mulan ist nun nach Filmen wie Die Schöne und das Biest und Aladdin der nächste Disney-Klassiker, der als
Realverfilmung neu aufgelegt wird.
Regisseurin Niki Caro (The Zookeeper’s Wife) übernimmt hierbei keineswegs den genauen Aufbau der gezeichneten Vorlage von 1998. Vielmehr erzählt der Film die Geschichte seiner Heldin dunkler, wodurch die Thematik des Krieges deutlicher hervorgehoben wird, ohne jedoch übermäßige Gewalt zu portraitieren. Dafür sind die
zahlreichen Kampfsportszenen des Heeres in Schlacht und Training umso eindrucksvoller inszeniert.
Mulan – tiefgründig verkörpert von der aus China stammenden und dort sehr bekannten Yifei Liu – ist keineswegs eine Frau, die sich von anderen unbegründet herumkommandieren oder belächeln lässt. Dadurch entstehen während des Trainings interne Kämpfe, in welchen sie ihren Vorgesetzten ihr Potential und Können zeigt. All das musste sie bisher unterdrücken, da sich
diese Fähigkeiten für eine Frau nicht gehören. Motiviert durch ihren Trainer und Kommandanten Thung (Donnie Yen) beginnt Mulan, sich schließlich mehr zuzutrauen und zu einem der besten Krieger des Heeres zu werden.
Im Mondlicht am Seeufer übt sie langsam und bedacht einzelne Bewegungen, lernt, sich zu disziplinieren und zu vertrauen. Zunächst sieht sie nur ihr Spiegelbild, doch sie beginnt mit der Zeit, zu sich selbst zu finden. Sie lernt, sich nicht vor sich selbst zu verstecken,
wie sie es vor ihren Kameraden tun muss. Die immer gleichen, kräftezehrenden und unmöglich scheinenden Trainingsaufgaben werden für sie einzig zu einer Frage des Selbstvertrauens. Es geht um Identität – sie weiß, wer sie ist und wohin sie gehört, und ihr Spiegelbild ist nicht mehr eine andere Mulan. Sie begreift, dass sie alles erreichen kann.
Auch in der Musik spiegelt sich diese Entwicklung der Identität. Das wohl bekannteste Lied des Zeichentrickfilms, »Reflection«,
wird zunächst leise und sanft aufgegriffen. Je mehr Mulans Charakter wächst, desto mehr steigert sich auch die Musik. Indirekt wird so die Frage gestellt, mit der sich das Lied beschäftigt – wann wird mein Spiegelbild zeigen, wer ich tief in mir bin? Gleichzeitig wird auch die Antwort gegeben, denn es ertönt in Schlüsselmomenten für Mulan episch orchestriert und suggeriert so geschickt ihren zunehmenden Stolz.
Doch nicht nur die Musik ist wirkungsvoll eingesetzt, sondern
auch Farbgestaltung und Kameraführung sind in sich stimmig und unterstützen die Handlung. Der Film ist weniger bunt als seine animierte Vorlage und arbeitet mit leicht stereotypen, aber dennoch nicht weniger wirkungsvollen Gegensätzen. So stehen die schwarz gekleideten Angreifer im Gegensatz zur rot-silbernen Armee Chinas.
Wie so oft in militärischen Filmen geht es auch zentral um Ehre, wobei der Weg dazu klar zwischen den Geschlechtern getrennt ist. Eine Frau muss als gute
Ehefrau der Familie Ehre bringen, der Mann als loyaler, tapferer und ehrlicher Soldat. Mulan kann sich jedoch – anders als ihre Schwester – nicht in diese Rolle einfügen, was wohl auch der Grund ist, warum sie es überhaupt wagt, in die Armee einzutreten. Doch ihre Geschichte ist die einer starken Frau, die auch als Soldatin ihre Kameraden überzeugen kann. Sie führt die Krieger als Hua Mulan in den letzten Kampf, von allen wegen ihres Könnens respektiert und geachtet. Und sie ist
keineswegs die einzige starke Frau. Auch ihre Widersacherin, eine Kriegerin mit übernatürlichen Kräften auf Seiten der Angreifer, durchläuft im Gegensatz zu deren Anführer eine Entwicklung zur willensstarken und emanzipierten Persönlichkeit.
Mulan ist ein Remake, das tiefgründiger und zugleich actionreicher ist als sein Vorgänger. Er ist auf allen Ebenen subtil und facettenreich ausgearbeitet und nicht etwa auf den Kampf von Gut gegen Böse
reduziert. Hinzukommt eine liebevolle und detailreiche Gestaltung sowie typische Disney-Momente, die den Film zu einem runden und eigenständigen Werk machen, das für viele Altersstufen ansprechend ist.