USA 2018 · 117 min. · FSK: ab 12 Regie: Clint Eastwood Drehbuch: Nick Schenk Kamera: Yves Bélanger Darsteller: Clint Eastwood, Bradley Cooper, Taissa Farmiga, Alison Eastwood, Andy Garcia u.a. |
||
Der alte weiße Mann |
»That’s the problem with this generation – can’t open a fruit box without calling the internet.«
Clint Eastwoods Figur in »The Mule«
»Don’t let the old man in« – »Lasst den Alten nicht rein...« singt Country-Musiker Toby Keith in der Filmmusik – das ist natürlich deutlich ironisch gemeint. Aber nicht nur.
Ein cleverer Schachzug des fast 90-jährigen Clint Eastwood, Hauptdarsteller und Regisseur in Personalunion, das gleich offensiv selbst anzusprechen, woran sowieso jeder Zuschauer als erstes denkt: Sein hohes Alter. Nicht dass der körperlich gut trainierte Eastwood gebrechlich wirken würde, oder man
sehen könnte, dass ihm plötzlich der Text nicht einfällt. Aber man käme auch nicht mehr darauf, es hier mit einem Spät-Sechziger oder gut erhaltenen 75-Jährigen zu tun zu haben. Dafür kommt gelegentlich schon der Gedanke auf, ob dieser Mann nicht einfach zu alt ist für das, was er hier tut.
Eastwood spielt nämlich einen Mann namens Earl Stone – Stein! Schon klar, oder? –, der pleite ist, seine Firma ebenso gegen die Wand gefahren hat wie seine Familie, und der darum als Drogenkurier bei einer mexikanischen Gang anheuert. Aber warum sollte eine Mörderbande aus tätowierten Muskelpaketen ausgerechnet einen über 80-Jährigen für millionenschwere kriminelle Transporte einsetzen? Schon klar: Weil der vermutlich wenig Verdacht erregt.
Nur scheinbar
begreift der alte Herr am Anfang nicht sofort, dass es sich dabei um einen hochkriminellen Job handelt. Tatsächlich versteht man als Zuschauer von Minute zu Minute besser, dass dieser Earl ein geschickter Manipulator ist, der sein Leben lang davon profitiert hat, dass man ihn unterschätzt, und er dies ausnutzt.
Umgekehrt hält sich aber vielleicht auch Earl für etwas schlauer, als er ist.
+ + +
»Don’t let the old man in« – »Lasst den Alten nicht rein…«: das ist natürlich deutlich ironisch gemeint. Aber nicht nur. Denn der fast 90-jährige Clint Eastwood bekommt diesen Spruch selbst bestimmt öfter zu hören.
Schon 1971 war das so, als der Schauspieler mit dem harten Psychothriller »Sadistico« begann, aufs Regiefach umzusatteln. Im gleichen Jahr spielte er seine bekannteste Rolle: Dirty Harry, den Polizisten, der das Recht in die eigene Hand nimmt und mit gewalttätigen Mitteln im liberalen Rechtsstaat mal so richtig aufräumt. In seinen eigenen Filmen, die er seit 25 Jahren regelmäßig etwa alle zwei Jahre dreht, verbindet er gern die beiden Funktionen Regie und Hauptdarsteller und knüpft nicht selten auch an seinen Auftritt als rechter Rechthaber Dirty Harry an.
Die Kriminalgeschichte, die sich in The Mule entspinnt, ist konventionell: Erst die Phase des leicht verdienten Geldes, dann die Spannung, denn die Rivalität der Drogenkartelle nimmt zu, und die Polizei zieht auch ein immer dichteres Netz um Earl.
Eastwood und sein Drehbuchautor Nick Schenk interessieren sich aber für andere Dinge: Die Story ist fast nur ein Vorwand, um ausgiebig von der Landschaft zu erzählen und von den gesellschaftspolitischen Verhältnissen. Die Landschaft ist das »Border-County«, das kulturell hispanisch geprägte Grenzland zu Mexiko im Südwesten der USA. Und die Verhältnisse sind jene Debatten um legale wie illegale Einwanderung, um Ausbeutung der Mexikaner als billige Arbeitskräfte und um den lukrativen Drogenhandel zwischen beiden Ländern. Dass all diese Fragen mit den aktuellen Mauer-Plänen des Präsidenten Trump nicht gelöst sind, beweist schon die Tatsache, dass Earl, der erfolgreiche Drogenkurier, ja ein US-Amerikaner ist, der ohne Probleme legal über die Grenze hin und herfährt.
Auch der Titel ist doppelsinnig gemeint: »Mule«, das ist natürlich das Maultier, das im Südwesten Amerikas schon vor Jahrhunderten große Lasten verlässlich von A nach B transportierte. In der Sprache der Drogengangs ist es der Drogenkurier.
»Mule« bedeutet aber auch störrisch bis starrsinnig, wie man es nicht nur Maultieren nachsagt.
Das passt gut zu dieser Figur. Denn auch fast 50 Jahre nach Dirty Harry gibt Eastwood gerade in seinen eigenen Regiearbeiten immer noch am liebsten solche aus der Zeit gefallenen reaktionären Rechthaber, die es am Ende den Jungen, die seine Kinder oder Enkel sein könnten, noch einmal beweisen.
Deswegen steht dieser Film auch politisch weit rechts. Der Blick auf die Mexikaner, auf die Drogenkartelle, auf den alltäglichen Grenzverkehr, das spricht eine klare Sprache.
Und das gilt ebenso für das fortwährende Ressentiment über »die« Jugend und »das« Internet: »I don’t know what it is with you guys and your generation. Don’t you guys live life outside the goddamn phone?« Verstanden?
+ + +
Earl ist nicht nur ein Individuum, sondern auch das Abbild eines alten Amerika. Des weißen Amerika des absolut guten Gewissens, in dem alte weiße Männer Rassisten sind und »Negro« und »Nigger« sagen, ohne es böse zu meinen, die Bescheid wissen, über die mit dunkler Hautfarbe genauso wie über die Frauen, und die den Jungen gern erklären, wo es lang geht und was für Fehler sie gemacht haben.
Nehmen wir diesen Monolog aus dem Off: »Familie ist das Wichtigste. Machen Sie’s nicht wie
ich. Ich hab gedacht, es wäre wichtiger, jemand da draußen zu sein statt der Versager, der ich in meinem eigenen Haus war.« Diese harte Selbstbeschuldigung (»Versager«) ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen ist diese Hauptfigur einfach ein selbstgerechter alter Sack.
The Mule ist ein Film über beides. Über Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit. Er zeigt den traurigen Zustand und das Leiden dieser alten weißen Männer. Er zeigt ihr Jammern. Er fordert Vergebung für sie. Und er zelebriert ihre Erlösung. Denn toll sollen wir Earl (und Clint) am Ende schon finden.
Vermutlich würde Clint Eastwood es weit von sich weisen, mit solchen aus der Zeit gefallenen Figuren identifiziert zu werden. Er spielt sie nur immer wieder, insofern kommt es darauf dann auch nicht an.
»Don’t let the old man in« – der alte Mann, der in diesem Lied gemeint ist, ist übrigens auch – der Tod.