Deutschland 2015 · 93 min. · FSK: ab 0 Regie: Andrea Roggon Drehbuch: Andrea Roggon Kamera: Petra Lisson Schnitt: Bernd Euscher, Natali Barrey, Julia Karg |
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Statt privater Banalitäten philosophische Einsichten |
Mülheim – Texas? Was soll denn das bedeuten? Okay, der kreative Querkopf Helge Schneider kommt aus Mülheim. Aber das liegt bekanntermaßen an der Ruhr und nicht in der texanischen Wüste. Aber wer das Werk des modernen Dadaisten aus dem Pott kennt, weiß natürlich, dass dessen erster Spielfilm Texas – Doc Snyder Hält Die Welt In Atem (1993) den staubigen Bush-Staat im Namen trägt. Wer von damals aus eine weitere Dekade zurückblickt, der erinnert sich daran, dass mit Wim Wenders Meisterwerk Paris, Texas (1984) bereits einmal ein deutscher cineastischer Meilenstein das Wörtchen TEXAS in seinem Namen trug, obwohl dies so gar nicht zu passen schien.
Damit wäre der offensichtliche und der verdeckte Referenzrahmen des Helge-Schneider-Universums abgesteckt. Offensichtlich ist der überbordende Unsinn, der dem Mann mit dem unnachahmlichen Grinsen aus jeder Pore quillt. Unsinn ist es auch, was Helge in dem Dokumentarfilm Mülheim – Texas der Regisseurin Andrea Roggon vorrangig im Kopf zu haben scheint. Man sieht Helge, wie er schelmisch grinsend auf einem Mofa durch staubige Straßen in Spanien knattert. Dort, wo früher die Spaghettiwestern gedreht wurden, hüpft er heute mit Cowboyhut und hoch über dem Kopf erhobener Gitarre durch die trockene Landschaft. Auf der Bühne macht er wie gewohnt den Clown und bei einem Interview im Studio läuft er mitten im Gespräch einfach davon.
Aber dieser Blödsinn ist sehr gut durchdacht, Helge Schneiders Spontanität ist wohl überlegt. Bevor Helge auf der Bühne zusammen mit seiner Band den Hampelmann macht, probt er die zu spielenden Stücke – inklusive der wohldurchdachten Fehler im Spiel – genauestens mit seinen Mitmusikern ein. Bei dieser Probe erleben wir einen völlig anderen Helge als seine allseits bekannte Bühnenpersönlichkeit. Helge zeigt sich extrem perfektionistisch und es wird deutlich, dass er über ein extrem genaues Gehör verfügt. Da sein Schlagzeugspieler die ins Stück eingebauten Fehler nicht gleich richtig bzw. richtig locker spielt, wird der Bandleader ein Stück weit böse. Ein heimlicher Despot?
Zu seiner Rolle als Bühnenclown stellt der Entertainer geradezu philosophisch anmutende Reflexionen an. Er ist sich genau bewusst, dass die Menschen Dinge auf ihn projizieren, die sie bei sich selbst nicht sehen wollen und die sie sich selbst nicht erlauben würden. Deshalb stehe er als Clown, trotz seines großen Erfolges beim Publikum, außerhalb der Gesellschaft. Die meisten Clowns seien im Grunde auch eigentlich eher traurige Menschen. Auch ihm wurde früher von einem Freund gesagt, seine Heiterkeit sei nicht echt, da er eigentlich ein sehr trauriger Mensch sei.
Ursprünglich wollte Helge als Jazzmusiker in New York Karriere machen. Das nötige Talent hatte er, jedoch nicht das nötige Kleingeld. So blieb er zuhause im Pott hängen und nahm mit seinen Freunden aus Spaß wilde Hörspiele auf. Dies waren laut Helge die Anfänge seines jetzigen Berufs. Heute pendelt Helge zwischen Mülheim und seinem Häuschen in Südspanien. Auch dort sehen wir ihn in Mülheim – Texas in seiner Badewanne. Die steht natürlich im Garten und ist außerdem viel zu klein. Ob er noch Träume im Leben habe? – Also eine größere Badewanne wäre schon nicht schlecht. – Sprach Helge und fummelt sich kurz darauf mühsam den Sonnenschirm vor die Wanne, um von der Kamera ungesehen nackt herauszuklettern.
Viel Privates bekommt Andrea Roggon in Mülheim – Texas nicht aus Helge Schneider heraus. Der macht gleich zu Beginn klar, dass es seiner Ansicht nach wichtig sei, dass eine bekannte Person ihr Geheimnis bewahrt. „Niemand will einen Star beim Einkaufen sehen“. Als Helge mit der Regisseurin zum Essen zu seiner Stamm-Imbissbude fährt, sieht der Film über das In-Sich-Hineinstopfen von Wurst, Pommes, Burgern – oder was auch immer – gnädig hinweg. Statt privater Banalitäten und voyeuristischer Blicke in seinen Alltag, präsentiert Helge lieber seine persönlichen philosophischen Einsichten.
In Spanien auf einem Berg stehend stellt Helge Schneider fest, dass er trotz seiner ausgeprägten Freiheitsliebe bevorzugt innerhalb sehr deutlich ausgeprägter Strukturen arbeitet. »Der Augenblick, wo ich diese Struktur verlasse, ist Freiheit. Aber wenn ich außerhalb bleiben würde, dann wäre ich nicht mehr frei ... dann wäre ich einsam.«