Frankreich 2010 · 103 min. · FSK: ab 12 Regie: Michel Leclerc Drehbuch: Baya Kasmi, Michel Leclerc Kamera: Vincent Mathias Darsteller: Sara Forestier, Jacques Gamblin, Carole Franck, Zinedine Soualem, Michèle Moretti u.a. |
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Tierlieb und gegen Nazis: die wunderbare Bahia |
So turbulent, wie gleichzeitig klug, ist der Film eine ungemein selbstironische Reflexion des linksliberalen urbanen Frankreich, die aber weit über Frankreich hinaus die politischen Fallgruben der westlichen Demokratien, den Alltag unser Medienwelt und des von ihr oft praktizierten Tabubetriebs zum Thema macht. Das Ergebnis dieser romantischen Liebesgeschichte ist schließlich auch ein sehr französischer, optimistischer Gegenentwurf zu allen Thesen, die, wie in der Sarrazin-Debatte, Individuen zu Identitäten vereinfachen. Da wird diese Komödie unerhört politisch: »Scheiß auf die Wurzeln!«
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»Mein Name ist Arthur Martin. Es gibt in Frankreich 15207 Menschen mit demselben Vornamen.« – Mit diesen ersten Worten lernen wir ihn kennen: Arthur, die eine der zwei Hauptfiguren dieses Films. Was mit diesen Worten auch gleich dazu gesagt wird, ist zweierlei: Namen sagen nicht viel aus über das Individuelle eines Menschen. Und: Es gibt offenbar Leute, für die ist es ein Problem, wenn sie sich nicht sehr deutlich von allen anderen unterscheiden.
Ob man es glaubt oder nicht, diese Fragen, die an den existentiellen Kern des Menschlichen rühren, stehen im Zentrum dieses Films, und doch handelt es sich um eine leichte, überaus unterhaltsame Komödie, um ein kleines großes Film-Wunder an Komik und Intelligenz, das im jüngeren Kino einzigartig dasteht – wann seit Lubitsch, seit Wilder, seit Woody Allen und den Monthy Pythons hätte es einen Film gegeben, der ähnlich dem Witz der Worte und dem Verstand seiner Zuschauer vertraut, der nicht auf Klamauk verzichtet, ihn aber sehr dosiert einsetzt und daher nie in Gefahr läuft, ihm zu verfallen? Und dem es schließlich gelingt, ganz und gar zeitgemäß zu sein, ja: nichts weniger als eine geistige Summe der vergangenen Dekade auf die Leinwand zu bringen, ohne an universaler Bedeutung einzubüßen? Dies ist mit andern Worten, ein in jeder Hinsicht erstaunlicher Film. Man kann das, was Regisseur Michel Leclerc in seinem zweiten, in Frankreich vielfach preisgekrönten Spielfilm gelingt, gar nicht genug bewundern.
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»Mein Name ist Bahia Benmahmoud. Ich bin die einzige in Frankreich, die diesen Namen trägt.« – Die zweite Hauptfigur ist Bahia, genauer: Bahia Benmahmoud, die alle ob ihres Vornahmens zunächst für eine Brasilianerin halten, die aber eigentlich einen Algerier zum Vater hat, der nach dem Krieg einwanderte, um Arbeit zu finden. Franzose wurde er durch die Heirat mit einem französischen Hippiemädchen, die zunächst vor allem heiratete, wie Bahia erzählt, »weil sie alles Französische hasste«, um der Gesellschaft eins auszuwischen und um ihre großbürgerliche Familie zu schockieren.
Bahia ist ein Erbe dieser Tradition der Post-68er-Linken, die politisch undogmatisch ist, aber moralisch auf einem besonders hohen Roß sitzt. Bahia ist spontan, offen, geschmacklos. Sie hat ein großes Herz, für Menschen, Tiere, aber sie macht sich die Welt nicht komplizierter als nötig. Die besteht für Bahia aus Faschos und Nicht-Faschos. Die Faschos, denen sie persönlich begegnet, bekämpft sie mit ihrer ganz eigenen, unfehlbaren Methode: Sie geht mit ihnen ins Bett. So hat sie schon ein paar Dutzend »umgedreht«.
Eines Tages trifft sie nun Arthur. Der sieht zwar aus ihrer Sicht aus, wie ein Fascho, entpuppt sich dann aber eher als das, was sie »scheißliberal« nennt. Arthur ist vorsichtig, zögerlich; er arbeitet als Zoologe und Spezialist für die Entwicklung von Tierseuchen. Wird irgendwo ein toter Kadaver gefunden, ruft man ihn, um ihn zu untersuchen. Und im Radio lädt man ihn als Experten, wo er dann, etwa über die Vogelgrippe, wohlabgewogene Dinge sagt, wie: »Möglicherweise werden in den kommenden Jahren Zehntausende von Menschen sterben.«
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Vor allem aber ist Arthur Jospiniste, also Anhänger von Lionel Jospin, jenem legendären Präsidentschaftskandidaten der französischen Sozialisten, der 2002 das schlechteste Ergebnis aller Zeiten bekam, und dabei sogar schlechter abschnitt als der Rechtsextremist Le Pen. Für Arthur ist Jospin der Mann, »der das Prinzip der Vorsicht in die Politik gebracht« hat. Am Tag dieser beschämenden Wahlniederlage setzt der Film ein, und einmal, im letzten Drittel des Films, das einige Jahre später spielt, hat Jospin sogar einen Auftritt: Leibhaftig sitzt der ausrangierte Politiker da und spielt sich selbst, mit viel Gelassenheit und überraschender Selbstironie.
Es ist ziemlich schwer, diesen Film zu charakterisieren. Er ist eine sehr sehr witzige, dabei ganz erwachsene Komödie, die direkt ist, ohne je vulgär zu werden, die Charme und Klugheit auf eine Weise mischt, wie das nur in Frankreich möglich ist – und die deshalb zugleich auch ihre tragischen Untertöne hat, die sie nie verleugnet, sondern deren traurige Seiten ganz offen angesprochen werden, ohne dass es einem andererseits dauerhaft den Spaß verderben würde. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Arthurs Mutter.
Ihre Eltern waren jüdische Griechen, die in den Dreißigern einwanderten und unter der deutschen Besatzung ein Opfer der Verfolgung wurden. Ihre Tochter konnten sie bei katholischen Nonnen retten. Über das Trauma wurde während Arthurs Kindheit nie ein Wort gesprochen. Die verdrängten Großeltern tauchen manchmal plötzlich irgendwo mitten in einer Szene auf, nur sichtbar für Arthur, und erinnern den Enkel, der von solchen Geschichten nichts wissen will, daran, sie nicht zu vergessen – was wiederum nur wir Zuschauer durch die Untertitel verstehen, denn die Großeltern sprechen Griechisch.
Solche noch mal gedoppelten Verfremdungseffekte, in denen Götter, tote Verwandte oder anderes Verdrängtes – etwa, siehe oben, abservierte Präsidentschaftskandidaten – plötzlich im Filmbild auftauchen und ins Geschehen eingreifen oder es kommentieren, kennt man im zeitgenössischen Kino sonst nur von Woody Allen. Und an Allens Humor, der zwischen subtil und grob, zwischen subversiv und gefällig, manchmal in der gleichen Szene schwankt, erinnert vieles in diesem Film.
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Nur dass Regisseur Michel Leclerc, den man für seinen zweiten, in Frankreich mehrfach preisgekrönten Spielfilm gar nicht genug bewundern kann, sich nicht am Ende doch noch irgendwo in seinem Film auf Bergman und Antonioni oder die ehrenwerten Traditionen des europäischen Autorenkinos bezieht. Absurd und albern wird es immer wieder in diesem Film, etwa wenn Bahia und Arthur, die natürlich ziemlich schnell ein Paar werden – »wir beide, das ist Frankreich« – womit die Schwierigkeiten aber erst richtig anfangen, darüber diskutieren, ob es besser sei, als Tierfreund fünf Hummer zu retten oder 500 Krabben?
Schon bevor die beiden ein Paar werden, und dann immer wieder, erzählen sie uns Zuschauern in kurzen flotten Rückblicken – filmische Glanzstücke – die Geschichten ihrer Eltern und ihrer Kindheit. So ist der Film auch ein Stück humorvoller Politik- und Kulturgeschichte Frankreichs. Im Zentrum des Films und seines Humors steht das gegenwärtige, durch Migranten und hybride Identitätsmixturen geprägte Frankreich, steht vor allem jene dagegen stehende, immer noch modische »Politik der Identität«, die in den letzten drei Jahrzehnten den öffentlichen Diskurs des Westens dominiert hat:
Welcher ethnischen, nationalen, religiösen, politischen Gruppe einer angehört, welcher Erinnerungsgemeinschaft und welches Geschlecht er hat, sind wichtiger, – all das soll wichtiger sein, als seine Individualität und seine persönlichen Entscheidungen. Man denke nur an einen Sarrazin, in dessen Primitivthesen alles auf Zugehörigkeit reduziert und in einen Topf geworfen wird. Namen und Gene sind wichtiger, als das, was damit eigentlich wirklich bezeichnet wird. Der Film dagegen plädiert für hybride Vitalität. Einen hübschen assoziativen Raum entfaltet hier der französische Titel Le nom des gens – mit der Nähe von »gens« zu »gènes« – den »Leuten« und »Genen«.
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So würde man zum Beispiel den Film falsch verstehen, wenn man Arthur einen »Juden« nennt, nur weil er eine – im Übrigen selbst schon längst assimilierte – jüdische Mutter hat. Denn Arthur selbst will kein Jude sein, das sagt er mehrfach – und genau um diese Freiheit zur Selbstbestimmung und um den Respekt vor ihr geht es dem Film. Es sind die Anderen, die einen erst zum Gruppenangehörigen machen – der Kampf um Anerkennung ist immer einer um Subjektivität. Solche Fragen in witziger und ungemein gelassener Form aufzuwerfen, ohne sie zu banalisieren, ist das große Verdienst von Leclercs so turbulentem wie gleichzeitig klugem Film.
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Das alles erinnert in seiner Leichtigkeit an Truffaut, in seiner Schärfe an Chabrol, aber eben auch ein bisschen an das, was Chaplin und Woody Allen mit der Komödie machen: Die kontrollierte Übertretung des guten Geschmacks. Das Ergebnis ist ein französischer, optimistischer Gegenentwurf zu allen Sarrazins dieser Welt und aller »Politik der Identität«.
Weil der Film überdies vorführt, dass es nichts Romantischeres geben kann, als die Liebe zwischen zwei Ungleichen, die sich gegenseitig bereichern und voneinander erkennen, dass sie das tun, die voneinander Dinge lernen, die sie allein nie gelernt hätten, ist er auch ein schöner Liebesfilm, der die Liebe ernst genug nimmt, um ihre komischen Seiten nicht zu verleugnen. Am Ende sind fünf Jahre vergangen, Sarkozy wird gewählt, und Bahia bekommt ein Kind: Tschang soll es heißen, und als sich die Krankenschwester über den Namen wundert, wird diese Komödie noch ein letztes Mal ganz politisch: »Scheiß auf die Wurzeln!«