Deutschland 2011 · 82 min. · FSK: ab 0 Regie: Peter Goedel Drehbuch: Peter Goedel Kamera: Klaus Lautenbacher Darsteller: Gerti Guhl, Werner Guhl u.a. |
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Wenn der Werner nicht da ist fehlt der Werner |
Da wohnt eine seit fast 21 Jahren in München. War so arrogant sich einzubilden, (fast) alle Wirtshäuser, Beisls, Bars des niederen Segments und Kneipen der Stadt zu kennen. War viel unterwegs! Hat sich durch die Fraunhoferstraße der Isar entgegen getrunken. Durfte dort mit ihrem Handbier am durchgehend geöffneten Kiosk an der Reichenbachbrücke nicht stehen bleiben. (Der Kioskbesitzer kriegt Ärger, wenn der dort gekaufte Alkohol direkt neben seinem Laden konsumiert wird.) Und doch stolperte sie bislang an EINER Trinkstube vorbei. Bis …, ja bis sie den Film Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da – Die Fraunhofer Schoppenstube von Peter Goedel sah.
Alle anderen waren schon hier, in der Fraunhofer Schoppenstube in der Münchner Fraunhoferstraße 41.
Der russische Filmregisseur, der jetzt in keine andere Kneipe mehr will, wenn er in München ist, der Kabarettist mit der grauen Mähne und der riesigen Handspielpuppe, die Kuratorin für Dokumentarfilm- und andere Festivals, der Schauspieler, der in einem öffentlich-rechtlichen Krimiformat einen schießwütigen Kommissar spielt, und die Frau, die drei Stockwerke über der
Schankstube wohnt und sich hier unten ihre temporäre Traurigkeit wegtrinkt und wegsingt.
Gesungen wird viel im Film. Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da – Die Fraunhofer Schoppenstube zeigt ein Kulturprogramm nonstop. Der hauseigene Musiker Werner Guhl kann seinen Gästen viel bieten. Er scheint alle Lieder aus dem deutschsprachigen Raum zu kennen. Er singt bairisch und hochdeutsch, kann aber auch „fremdsprachig“ singen. Was lustigerweise „berlinerisch“ bedeutet. (Ham wa jelacht.) Werner ist der
Profi-Musiker, er spielt Akkordeon und Harmonium. Seine Frau Gerti, die Wirtin, singt eher nebenberuflich. Sie verteilt singend die Getränke an die Gäste. Diese sind begeistert. „Es ist ein Traum.“ sagt einer von ihnen in die Kamera. Gerti treffe zwar manchmal den Ton nicht, doch ihre Begeisterung beim Singen mache das wieder wett. Außerdem sei sie die „einzige Frau mit Rock“ im Lokal.
Die Gäste sind schön unterschiedlich. Der Jazztrompeter findet es
„dufte“, dass junge Leute da sind. Der Schauspieler, der den Kommissar im staatstragenden Fernsehen spielt, erläutert, wie wichtig das Element Singen sei. Seine Suppe umrührend schimpft er über die „schlechte rhythmisch durchpulste Elektrokacke“, die in den Discos heutzutage laufe. Eine Frau erklärt die „Rodeostellung“. Ein Mann motzt eine hereinkommende Gruppe von Männern an. Die Schoppenstube sei kein „Schwulenlokal“: „Wo
habt Ihr Eure Hasen?“ (Die Fraunhofer Schoppenstube liegt im Rosa Viertel Münchens.) Hinz und Kunz komme hierher, „und ich“, zählt ein Gast auf und schwärmt von nichtsynthetischen Drogen und deren Auswirkungen auf seine Orgasmen.
Durch die Nähe des Gärtnerplatz Theaters werden immer wieder Berufssängerinnen und -sänger ins Lokal gespült. Wohl platziert an der Holzvertäfelung lehnend singen auch sie für die Gäste.
Werner erfüllt Musikwünsche. Werner spielt und singt das Gewünschte. Der Beschenkte tippt auf seinem Handy herum. Werner singt trotzdem.
Ein Geburtstagskind erhält von Gerti einen Kartoffelknödel mit Soße. Im Knödel steckt einen brennende Wunderkerze.
Bayern-Lobgesänge fehlen nicht.
Und ein Loblied auf das Freibier auch nicht. Es wird tatsächlich nicht teurer.
Die Wirtin Gerti und der Musiker Werner sind das zweite Mal miteinander verheiratet. Dazwischen waren sie neun Jahre voneinander geschieden. Seitdem sie wieder „ordentlich verheiratet“ sind, sei es für ihn wieder „legitim, hier reinzugehen“, moralisiert ein Gast augenzwinkernd.
Die Fraunhofer Schoppenstube bietet zwischen 21 und 5 Uhr allen Trink- und Singwilligen dieser Welt Raum. Was Gustav Gründgens 1938 im Film Tanz auf dem Vulkan sang, ist hier Motto: „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“. Eingeschlafen ist hier sicher noch niemand. Der Film zeigt, wie Gerti die letzten Gäste in den hellen Morgenstunden sicher über die Stufen nach draußen geleitet.
Die Filmaufnahmen sind schon länger her. Sonst könnte die manchmal traurige Frau von drei Stockwerke höher nicht mit einem Glimmstengel zwischen den Fingern „was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette“ mitsingen. »Wenn der Werner nicht da ist, fehlt der Werner. Wenn die Gerdi nicht da ist, fehlt die Gerdi.« Einer alleine ginge nicht …
Im März 2007 stirbt der Musikant Werner nach schwerer Krankheit. Gerti macht weiter. Peter Goedels Film stellt Andi, den
„Werner-Nachfolger“ noch vor. Aber was dann kommt, ist eine andere, noch nicht aufgezeichnete Geschichte, die sich aus dem Mund der eingangs erwähnten Kuratorin ernüchternd anhört: »Mit Werner war es eine mythische Zeit, jetzt ist es ein eher Weitermachen, Daranfesthalten, aber an die alten Zeiten kommt sie nicht mehr ran.«
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Heute (am 28. März 2012) – endlich! – wird die Zugezogene das allererste Mal die Fraunhofer Schoppenstube betreten.