D/CH/P 2012 · 111 min. · FSK: ab 12 Regie: Bille August Drehbuch: Greg Latter, Ulrich Herrmann Kamera: Filip Zumbrunn Darsteller: Jeremy Irons, Mélanie Laurent, Jack Huston, Martina Gedeck, Tom Courtenay u.a. |
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Eine gute Lektüre wäre auch bei diesem Film gut. Zum Beispiel »Nachtzug nach Lissabon« |
Ein älterer Mann sitzt vor einer Solopartie Schach. Nach einem Zug wechselt er die Sitzposition, von Weiß nach Schwarz. Bald hört man einen Alarmton aus einem anderen Zimmer, das Signal für den Schachspieler, die schlaflose Nacht hinter sich zu lassen. Der Tag, in den dieser Raimund Gregorius ahnungslos trottet, ist der Auftakt in ein anderes Leben: Ein dramatischer Zufall spielt ihm das Buch des Portugiesen Amadeu de Prado in die Hände, das ihn spontan zur Reise nach Lissabon bewegt. Dort, auf den Spuren des Autors, erlebt Raimund, dass die Geschichte des Widerstandskämpfers und Humanisten de Prado wohl noch lange nicht zu Ende ist.
Bestseller plus Topcast ist gleich Box-Office-Hit. Von der Richtigkeit dieser Gleichung scheinen die Macher dieses »außergewöhnlichen philosophischen Thrillers« (Regisseur Bille August) überzeugt. Wenn sie sich da mal nicht verrechnet haben. Denn der Film birgt so einige Probleme in sich, die die schöne Kalkulation am Ende doch zum Einsturz bringen könnten. Sicher, die gleichnamige literarische Vorlage des Schweizer Philosophieprofessors Peter Bieri alias Pascal Mercier von 2004, die sich nicht nur hierzulande millionenfach verkauft hat, wird viele Leser schon aus Neugier ins Kino locken. Dabei ist es für die Qualität des jeweiligen Kunstwerks unerheblich, worin und wie sehr sich Buch und Film unterscheiden. Deshalb sind die vielen Veränderungen, die das Drehbuch an dem Stoff vorgenommen hat, zunächst einmal geschenkt – unter anderem, dass im Film keine Sprachbarrieren existieren, der Brite Irons den Schweizer und der Schweizer Ganz den Portugiesen mimen kann in einem Originalton-Englisch, das als portugiesisch akzeptiert werden soll, wobei die deutsche Synchronfassung die ganze Verwirrung ohnehin niedergebügelt.
Worin man jedoch Vergleiche anstellen darf, ist die Leidenschaft, mit der der Roman erzählt respektive der Film gezeigt wird: Während Pascal Mercier den Leser seine Energie auf jeder Seite spüren lässt, fehlt eine solche beim Werk von Regisseur Bille August gänzlich. Ärgerlich wird es, wenn es von Originalzitaten aus der literarischen Vorlage nur so wimmelt, sämtlichen Figuren aber zugleich jede Tiefe genommen wird. So verwandelt sich Gregorius, der eruptiv und kompulsiv Suchende, der seine geistige und örtliche Heimat verlässt und die ganze Zeit über nicht begreift, was da eigentlich mit ihm geschieht, im Film in einen lauwarmen Moderator, gespielt von Jeremy Irons, der dem Zuschauer nicht ans Herz wächst.
Die Überwindung der Angst vor Veränderung in Zeiten von Faschismus und Frieden ist eines der Kernthemen des Films. Doch durch die uninspirierte Aneinanderfügung der Handlungsstränge, von denen einige immer wieder mal in einer Sackgasse des Unlogischen landen, schnürt sich Nachtzug nach Lissabon ein in ein Korsett, in dem kein Raum für Wagnisse bleibt, die so eine Geschichte aber doch unbedingt braucht. Analog zum faden Drehbuch von Greg Latter und Ulrich Herrmann bleibt auch die Kamera von Filip Zumbrunn stumm und bringt keine Spannung in das Werk, stattdessen die Darstellung eines nett anzusehenden Lissabonklischees, garniert von einem nervigen Klangteppich, der aber auch keinen Moment auslässt, dem Zuschauer die Empfindungen zu diktieren. So ausgestattet, passiert dem Nachtzug nach Lissabon das, was Gefühlskino nie zustoßen darf: Sämtliche Figuren und ihr Schicksal sind und bleiben einem egal, und das ist schlimm angesichts des eigentlich bewegenden Plots, der zum größten Teil in der furchtbaren Zeit der portugiesischen Salazar-Diktatur spielt.
Aber was ist mit dieser zweifelsohne ersten Garde europäischer Schauspieler, die den Film vom ältesten Knacker bis zum jüngsten Hüpfer darstellt? Sie leistet das, was das Drehbuch verlangt. Da das leider nicht viel ist, wird nichts gerettet: So gibt sich Martina Gedeck rehäugig-sinnlich wie so oft, Charlotte Rampling gewohnt mysteriös, Bruno Ganz knorrig-aufbrausend, als hätte man ihn fünfzehn Jahre älter geschätzt – all das kennt man. Mut zum Risiko zeigt sich also auch bei den Schauspielern nicht. Im Gegenteil: »Mit der Liste der Darsteller wuchs auch stetig die der Partner und Förderer«, wird Regisseur August in den Produktionsnotizen zitiert. Und darin liegt das größte Ärgernis dieser Arbeit. Große Star-Namen sind hier keine Garanten für gute Unterhaltung, sondern dienen lediglich als Testimonials für ein Produkt, das nichts anderes ist als eine stinklangweilige Plätscherpartie, die nahezu zwei Stunden Lebenszeit kostet.