Napoleon

USA/GB 2023 · 159 min. · FSK: ab 12
Regie: Ridley Scott
Drehbuch:
Kamera: Dariusz Wolski
Darsteller: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim, Ben Miles, Rupert Everett u.a.
Filmszene »Napoleon«
»Wir sind doch nicht hier, um uns gegenseitig zu erschießen!«
(Foto: Sony)

Muffliger Glücksritter für Frau und Vaterland

Ridley Scott verfilmt das Leben Napoleons so wie einst Stanley Kubrick »Barry Lyndon« verfilmt hat: als großen Kostümfilm ohne Pathos, dafür mit viel Ironie und politischem Subtext

»Es war während der Regent­schaft Georgs III., dass die vorer­wähnten Personen lebten und stritten; gut oder böse, schön oder hässlich, arm oder reich, sie alle sind nun gleich.« – Epilog in Stanley Kubricks Barry Lyndon

Man könnte natürlich mit Abel Gances 330 Minuten langer Stumm­film­ver­sion über Napoleons junge Jahre beginnen, ein filmi­scher Genie­be­weis und ein kommer­zi­elles Scheitern der Super­la­tive, das die geplanten Fort­set­zungen undenkbar machte. Oder mit Chaplins lang gehegten, großen Napoleon-Plänen. Oder, ganz genau: mit dem großen Stanley Kubrick, der so lange wie Chaplin ein Filmepos über Napoleon Bonaparte plante. Nachdem er aber 1970 von Sergei Bondart­schuks Waterloo erfuhr, der dasselbe Thema behan­delte, gab er seine umfang­rei­chen Pläne zu Napoleon auf; Pläne und Dreh­bücher, die übrigens Steven Spielberg in den letzten Jahren gesichtet hat, und der nun eine HBO-Serie daraus destil­lieren will. Aber auch Kubrick wollte seine lang­jäh­rigen Recher­chen nicht einfach umsonst erar­beitet haben und ließ sie statt­dessen in Teilen in seinen nächsten großen Film – und viel­leicht Kubricks schönsten Film – Barry Lyndon (1975) mit einfließen.

Und viel­leicht liegt es an genau dieser verma­le­deiten film­his­to­ri­schen Melange, die natürlich noch viel weiter geht, denkt man an die bizarren Momente, die Scott mit Kubrick erlebt hat, dass sich Ridley Scotts Napoleon nicht nur ein wenig so ansieht und anfühlt wie Stanley Kubricks Barry Lyndon.

Denn gegen alle histo­ri­schen Belege macht Scott aus Napoleon einen Glücks­ritter, der wie Barry Lyndon mit Glück, Liebe und Hoch­sta­pelei erst sehr erfolg­reich ist, um dann sehr tragisch zu scheitern. Scott setzt aller­dings in dem Jahr ein, in dem Barry Lyndon aufhört, im Jahr der fran­zö­si­schen Revo­lu­tion und auch hier schert sich Scott nicht um die histo­ri­schen Belege. Fran­zö­si­sche Triko­loren sind während Marie-Antoi­nettes Hinrich­tung falsch herum aufge­hangen, wie sich der Napoleon-Experte Thomas Schuler beschwerte, und Fernseh-Histo­riker Dan Snow stellte klar, dass Marie Antoi­nette gescho­renes Haar getragen habe, als es zur Guil­lo­tine ging.

Aber um histo­ri­sche Präzision muss es in einem Kunstwerk natürlich nicht gehen, denn Scott will mit seinen langen Passagen über die Revo­lu­ti­ons­zeit ja nicht nur die frühen Erfolge Napoleons über ikonische Momente erzählen, sondern deutlich machen, warum wir in unserer Gegenwart die Geschichte überhaupt noch einmal erzählt bekommen müssen. Und das wird sehr schnell, sehr deutlich, zeigt Scott die Revo­lu­ti­ons­zeit doch als eine Zeit, der unsere Gegenwart nicht ähnlicher sein könnte; eine Zeit, die es nach den gewal­tigen gesell­schaft­li­chen Umwäl­zungen mit kaum mehr kontrol­lier­baren Frei­heiten plötzlich mit der Angst bekommt, der Angst vor der eigenen Freiheit und mit Menschen, die sich zunehmend nach der vermeint­li­chen Sicher­heit durch Auto­kratie und Monarchie zurück­sehnt, nicht anders als heute.

Scott erzählt gerad­linig und souverän, wie schnell und unmerk­lich es mit den alten Frei­heiten vorbei ist und vor allem, durch wen diesen Frei­heiten ein Ende gesetzt wird. Napoleon halt. Aber sein Napoleon ist nicht der pathe­ti­sche Über­mensch in Abel Gance’ Napoleon, es ist ein gebro­chener Napoleon, der wie in den Szenen in Toulouse in sein Glück stolpert, statt es souverän zu erobern. Er ist ein eifer­süch­tiger Mann, der über das Fremd­gehen seiner Frau durch einen befreun­deten Offizier während seines Feldzugs in Ägypten erfährt (und nein: Napoleon hat in Wirk­lich­keit die Pyramiden natürlich nicht beschossen), um es später dann noch einmal im Detail und sehr öffent­lich auch in der Pariser Boule­vard­presse nach­zu­lesen. Und nicht nur an dieser Stelle macht Scott auch klar, dass sein Film – und da lehnt er sich erneut stark an Barry Lyndon an bzw. hat sich Kubrick in Barry Lyndon stark an Napoleon angelehnt – nicht nur ein Film über einen gebro­chenen Mann ist, sondern auch einen Mann, der immer wieder vergeb­lich darum kämpft, vom Hochadel als ihres­glei­chen akzep­tiert zu werden, es ist auch also auch eine Geschichte über den rabiaten Wandel bestehender Klas­sen­ver­hält­nisse.

Joaquin Phoenix (Beau Is Afraid, C'mon C'mon) spielt diesen Napoleon über­ra­gend. Fast jeder Moment, in dem Phoenix kontem­plativ, linkisch, mufflig und mürrisch die ganze Geschichte zu inha­lieren scheint, um sie über seine umwer­fende Körper­sprache und Mimik zu etwas völlig neuem zu trans­for­mieren, ist schau­spie­le­ri­sches Großglück. Selbst die Sexszenen zwischen Napoleon und seiner Frau Josephine (Vanessa Kirby) sind nicht einfach nur Sex, sondern beinahe schon tragische Symbol­hand­lungen für die so konträren Sozia­li­sie­rungs­hin­ter­gründe des Paares.

Leider vernach­läs­sigt Scott, zu zeigen, zu erklären oder wenigs­tens anzu­deuten, warum selbst für einen lite­ra­ri­schen und erst recht poli­ti­schen Freigeist wie Arno Schmidt Napoleon als Wegbe­reiter eines modernen, vereinten Europas galt. Statt­dessen werden nahtlos alle wichtigen Schlachten auser­zählt. Dabei geht es zwar nicht so großartig schmutzig zu wie in Scotts Ritter­schlacht­ge­mälde The Last Duel oder histo­risch so über­zeu­gend wie in Scotts meis­ter­li­chem Gladiator, dafür findet Scott aber gerade in seiner Bebil­de­rung der Schlacht von Auster­litz Momente von irrlich­ternder Schönheit und einem Grauen, das durch die winter­liche Kälte und gebro­chenes Eis zu erhabener Stille und furcht­ein­flößender Historie gefriert.

Dabei begeht Scott nie den Fehler, in die Pathos-Falle zu tappen, ist nicht nur sein Napoleon ein tumber Thor, der verliebt in Vaterland, Frau und sich selbst den Ernst der Lage immer wieder erzwingen muss, um den nächsten Schritt zu setzen. Auch der so grausamen Geschichte selbst wird wie in Kubricks Barry Lyndon immer wieder Komik und Satire abge­rungen, wie in der wunder­baren Szene während Napoleons letzten Stunden in Waterloo, als ein Scharf­schütze des engli­schen Heeres unter Lord Wellington auf Napoleon ansetzt, dieser aber den Schützen bei Todes­strafe empört zurück­hält: »Wir sind doch nicht hier, um uns gegen­seitig zu erschießen!«

Das kommt dann auch schon fast einem Ritter­schlag durch jene gleich, denen Napoleon all die Jahre nach­ei­ferte und die ihn erst dann als Ihres­glei­chen akzep­tieren, als er keine Gefahr mehr für sie war. So subtil wie dieser Moment ist dann auch das Ende, für das sich Scott all die Zeit lässt, die er braucht: ein Frühstück mit jungen Kadetten und dann St. Helena, das wie Liebe klingt und auch in Liebe endet.

Fallhöhe

Monument mit Leerstellen: Ridley Scotts Napoleon ist wie ein Klotz auf der Leinwand

Paris im Oktober 1793 – Hinrich­tung über Hinrich­tung. Die Guil­lo­tine steht niemals still. Eine gepflegte Frau mit krausen, weißen Haaren wird zum Schafott geführt. Vornehm und streng blickt sie, unter dem Gejohle und den Beschimp­fungen der Menge, ihrem Tod entgegen. Das Fallbeil rauscht herab, der Henker reißt den blutigen Kopf in die Höhe: Marie Antoi­nette ist tot. Langsam schweift der Kame­ra­blick über die Menge und bleibt bei einem gedrun­genen Mann mit großem Hut haften: Napoleon Bonaparte. Mit dem Tod der alten Ordnung beginnt sein kome­ten­hafter Aufstieg.

So groß der Name Napoleon in der Geschichte Europas wiegt, so gewichtig ist der Name Ridley Scott unter Cine­philen. Trotz seiner mitt­ler­weile 85 Jahre dreht der Schöpfer stil­bil­dender Film­klas­siker wie Alien und Blade Runner uner­müd­lich weiter. Dass Scott keinerlei Berüh­rungs­ängste hat, auch histo­ri­sche Stoffe zu verfilmen, zeigte er zuletzt unter anderem mit House of Gucci und The Last Duel – nun ist mit Napoleon die ganz große Geschichte dran.

Das Leben Napoleons ist so reich an allen Ingre­di­en­zien, die klas­si­sches, monu­men­tales Holly­wood­kino benötigt: ein Underdog begibt sich aus der korsi­schen Provinz nach Paris, wird Heer­führer, schlägt siegreich eine Schlacht nach der anderen, wird schließ­lich Kaiser und… stürzt tief. Nach der bitteren Nieder­lage in Russland folgt die Verban­nung nach Elba – doch noch einmal gelingt ihm das Comeback: die Herr­schaft der 100 Tage, der durch die verlorene Schlacht bei Waterloo ein Ende gesetzt wird. Am Schluss wartet der einsame Tod auf der Insel St. Helena. Ein Leben, so facet­ten­reich und voller Höhen- und Tiefen­flüge, wie man es sich als Dreh­buch­autor:in nur erträumen kann. Und viel­leicht liegt hier auch das Problem: Man fühlt sich mit dieser schil­lernden Figur filmisch zu sicher.

Allzu klassisch handelt Ridley Scott die Stationen im Leben des Napoleon Bonaparte ab – eine Abfolge von Gesprächen und Schlachten, Banketten und Zusam­men­künften. In 158 Minuten durch 28 Jahre bewegter Geschichte. Das Gefühl für Zeit und Entwick­lung ist dabei schon nach der ersten halben Stunde dahin und man folgt einer Abfolge von Episoden, einer Tour de Force durch die Befrei­ungs­kriege, verknüpft durch feder­ge­schrie­bene Text­ta­feln, die anzeigen, dass man auf dem Zeit­strahl Napoleons wieder um Jahre voran­gerückt ist. Sonst bleibt der Film seltsam leer: Napoleon vermag trotz seiner Größe die Leinwand nicht zu füllen. Wir verfolgen Napoleon durch die Jahre, dabei aber werden Frank­reich, das Volk, die Umgebung völlig ausge­blendet. Große Trep­pen­häuser, große Schlachten, große Macht, nur leider zu wenig Geschichte.

Joaquin Phoenix spielt einen Napoleon, der wie ein Klotz die Kino­lein­wand einnimmt, vernu­schelt seine Sätze, scheint zu schlafen. Verschlossen, undurch­sichtig.

Ein Ausbruch aus der Abfolge von Schlachten und der fran­zö­si­schen Hoch­po­litik bieten die Szenen zwischen Napoleon und seiner Frau Josephine, gespielt von Vanessa Kirby. Die ambi­va­lente Beziehung der beiden, geprägt von gegen­sei­tiger Zuneigung und steter Verlet­zung, reißt den sonst so einsei­tigen Feld­herren aus seiner Klotz­haf­tig­keit und präsen­tiert eine Person, die zwischen Liebe und Wahnsinn changiert. Die besondere Beziehung zu Josephine de Beau­har­nais, von welcher er sich später scheiden ließ, um einen rechtlich einwand­freien Thron­folger zeugen zu können, ist die eigent­liche Stärke des Films. Laut eigenen Aussagen wird Josephine in der vier­ein­halb­stün­digen Director’s-Cut-Fassung mehr Raum gegeben – schade, dass Ridley Scott dies nicht mehr in kürzerer Zeit vermag.

Napoleon der Kleine

Ridley Scotts Film über den Franzosenkaiser sollte besser »Josephine (und Napoleon)« heißen

»Napo­leo­ni­sche Schlachten sind so schön. Wie riesige, tödliche Ballette... sie haben alle eine ästhe­ti­sche Brillanz, für die man keinen mili­täri­schen Verstand braucht, um sie zu schätzen.« – Stanley Kubrick

Viel­leicht sollten Engländer keine Filme über Napoleon Bonaparte machen. Dieser hier ist ein Waterloo des Regis­seurs, eine Kapi­tu­la­tion vor der doppelten Aufgabe, einfach einen guten Film zu machen, wie vor der, eine Ahnung von seinem Gegen­stand zu geben.

Ein Film, der »Napoleon« heißt, kann diesen in den Himmel loben oder verdammen, kriti­sieren oder vertei­digen, verzau­bert zeigen oder entzau­bern, aber er sollte von diesem Gegen­stand handeln, und etwas ansatz­weise Neues über ihn zu erzählen haben. Ridley Scott hat es nicht.

Kein Charisma, keine Psycho­logie, sondern nur schlechter Sex und Groteske. Keine Antworten und keine Fragen: Warum verliebt Bonaparte sich in Josephine? Warum Josephine in ihn?
Was war sein mili­täri­sches Genie?

Man muss Napoleon nicht mögen, um das alles wissen zu wollen.

Nichts zum Frei­heits­denken, zum Mythos des Retters, zum Helden der europäi­schen Nationen, der bis heute in Polen und Ungarn eine Art Natio­nal­held ist, aber auch nichts dagegen.

Keine Idee, keine Bilder, kein Nichts.

Nur Witze für Leute, die keine Ahnung haben. Von der univer­salen Ästhetik, die Stanley Kubrick im Eingangs­zitat beschwört, keine Spur.
Aber wegen dieser Ästhetik geht man ins Kino. Nicht um einem gelang­weilten 80-jährigen Regisseur dabei zuzusehen, wie ihn sein Gegen­stand nicht inter­es­siert.

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Ziemlich früh in diesem Film werden wir Zeuge einer rasanten Kampf­szene: Es ist die Bela­ge­rung von Toulon, deren Erfolg im Herbst 1793 dem jungen Artil­le­rie­of­fi­zier Bonaparte frühen Ruhm und die Beför­de­rung zum General eintrug, und die ihn erstmals der fran­zö­si­schen Öffent­lich­keit bekannt machte: Regisseur Ridley Scott zeigt hier die Kampf­hand­lungen so komplex und chaotisch, wie sie es vermut­lich tatsäch­lich gewesen sind, und doch behält er für uns Zuschauer den Überblick, sodass man immer weiß, was gerade passiert, und worum es geht. Umso über­ra­schender und im besten Sinn scho­ckie­render ist der Moment, in dem das Chaos in die filmische Ordnung einbricht und dem Helden plötzlich mit einer Kano­nen­kugel der Schimmel unter dem Sattel wegge­schossen wird...
Um ein Haar wäre es hier mit der Karriere des jungen Offiziers vorbei gewesen.

Tatsäch­lich aber folgte der berühmte Itali­en­feldzug, den der fran­zö­si­sche Schrift­steller Stendhal in seiner »Kartause von Parma« verewigte, und der Ägyp­ten­feldzug, den Napoleon Bonaparte gegen die Briten gewann, bevor er symbo­lisch und öffent­lich­keits­wirksam Zwie­sprache mit dem 3000 Jahre alten Reich der Pharaonen hielt und der nicht nur die Orient-Mode der nächsten 100 Jahre, sondern auch die poli­ti­sche Karriere des Offiziers Bonaparte begrün­dete. Als er zurück­kehrte, war er ein gemachter Mann und wurde bald als »Erster Konsul« derjenige, der die Revo­lu­tion beendete und ihre Errun­gen­schaften auf Dauer stellte, in Europa verbrei­tete und damit das Gesicht Europas für immer verän­derte.

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Mit 86 Jahren ist Ridley Scott immer noch einer der produk­tivsten Filme­ma­cher Holly­woods. Tatsäch­lich war sein neuer Film noch gar nicht heraus­ge­kommen, da begann Scott bereits mit dem Dreh zu Gladiator 2, dessen Produk­tion wegen des Streiks der Schau­spieler unter­bro­chen wurde und in Kürze wieder aufge­nommen wird.
Seit Scott 1977 seinen ersten Film, The Duellists fertig­stellte, den gerade viele Franzosen immer noch für den besten Film über das Napo­leo­ni­sche Zeitalter (1795-1815) halten, hat Scott einige große Meis­ter­werke (Alien, Blade Runner, Thelma & Louise und Gladiator) geschaffen, blieb aber auch vor gele­gent­li­chen Fehl­tritten nicht gefeit: Produk­tionen, die zwar immer bei Scott visuell glänzen konnten, denen aber das richtige Drehbuch oder die richtige Geschichte fehlte: 1492, Hannibal oder Prome­theus.

Jetzt erzählt er die Geschichte des Kaisers der Franzosen, der ein ganzes Zeitalter prägte, und bei manchen Völkern – Polen, Ungarn, Südwest­deut­schen – bis heute als Frei­heits­held beliebt ist, und die im Kino noch nie zufrie­den­stel­lend erzählt wurde. Berühmte Napoleon-Projekte von Charlie Chaplin und Stanley Kubrick erblickten nie das Licht der Welt, und der bisher berühm­teste Kinofilm, Abel Gance' auf sechs Teile ange­legter, filmisch revo­lu­ti­onärer Stummfilm Napoleon wurde nach dem ersten Teil aus finan­zi­ellen Gründen einge­stellt.

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Ridley Scott dagegen vermeidet peinlich alle solche Vergleiche: Zu Gance, zu Bondart­schuk, zu Guitry. Seinem zwei­ein­halb­stün­digen Werk geht es nun ähnlich wie seiner Haupt­figur im Leben: Die Hoff­nungen des Anfangs, das Tempo und die Kraft der filmi­schen Dyna­mi­sie­rung können im weiteren Verlauf des Films nur selten aufrecht erhalten werden. Die Inten­sität der Schlacht bei Toulon erreichen die Kampf­szenen erst wieder am Ende bei Waterloo, wo para­do­xer­weise Scotts Napoleon im Film auch seine aller­erste Rede an die Soldaten hält – eine schwer­ver­s­tänd­liche Entschei­dung der Macher, waren doch Ruhm und politisch-mili­täri­scher Erfolg Napoleons nicht zuletzt Folge seiner charis­ma­ti­schen Wirkung und Redner­gabe.

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So ist das, was an diesem Film noch halbwegs inter­es­sant ist, vor allem das Bild des Privat­manns Bonaparte und hier wieder das seiner ersten Frau, der großen Liebe Josephine. Dieser Film sollte besser »Josephine (und Napoleion)« heißen. Denn so leiden­schaft­lich und fesselnd Scott den Mensch hinter der Legende erfolglos zu finden sucht, so sehr konzen­triert er sich von Anfang an auf seine Beziehung zu Josephine und die Briefe, die sie sich im Laufe der Jahre geschrieben haben.

Scott erzählt das Leben von Napoleon Bonaparte also als intimes Statio­nen­drama seiner Ehe mit Josephine – das Ergebnis ist ein Film, der alles andere als rund ist, sondern extrem sprung­haft, episo­disch und frag­men­ta­risch wirkt. Erkennbar fehlen zu viele Teile des Puzzles – die Kaiser­krö­nung 1804 kommt aus dem Nichts, Jena und Goethe und Hegel so wenig vor, wie Kutussow, die Königin Luise und Maria Walewska, die Völker­schlacht bei Leipzig nicht , kein Spani­en­feldzug, kein Trafalgar, kein Wagram – plötzlich ist er aus dem Nichts abgesetzt, dann wieder da, Josephine stirbt im falschen Jahr, die Generäle gibt es nicht und Talley­rand ist wie Fouché nur Name­drop­ping.

Schon im Vorfeld des Film­starts erklärt Ridley Scott nicht nur, dass ihn Fakten nicht inter­es­sierten, sondern auch fast entschul­di­gend, die kommende Streaming- und DVD-Fassung werde »mindes­tens vier Stunden« umfassen und »besser« sein. Eine zwie­späl­tige Ankün­di­gung. Ist die Kino­fas­sung also nur ein Teaser fürs Apple+-Abo?
Dieser vier­stün­dige Director’s Cut wird viel­leicht etwas mehr Licht auf den Mann werfen, aber es ist sehr unwahr­schein­lich, dass er die grund­le­genden Probleme des Films beseitigt.

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Bemer­kens­wert für den schlud­rigen Umgang Scotts mit seinem Gegen­stand ist die Darstel­lung des berühm­testen Siegs Napoleons in der Winter-Schlacht von Auster­litz. Tolstoi hat aus ihr eine Ode an Napoleon gemacht, fast jeder Histo­riker sieht sie zumindest als takti­sches Meis­ter­s­tück an. Scott konzen­triert sich auf ober­fläch­liche und irre­füh­rende Neben­aspekte, um ein paar spek­ta­kuläre Digi­tal­ef­fekte vorzu­führen: Der vereiste See war an einem Rand­be­zirk des Schlacht­felds und keines­wegs Ursache der Nieder­lage der über­le­genen Truppen. Wer nicht weiß, dass die Franzosen die Öster­rei­cher mit einer Finte von ihren befes­tigten Berg­stel­lungen herun­ter­lockten, erfährt es bei Tolstoi, aber nicht bei Scott. Und die sprich­wört­liche »Sonne von Auster­litz« darf bei ihm auch nicht scheinen. In dieser und in vielen anderen Schlacht­szenen lässt Scott einen Großteil der Farben weg, und sein Film tendiert durch­ge­hend zu einer Schmutz­wä­sche­pa­lette aus Grau und Braun, Düsternis und Schlamm.

Man muss Napoleon nicht verehren und verklären, um das zu bemängeln.

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Wovon die Kino­ver­sion letztlich fast allein lebt, sind seine zwei Haupt­dar­steller: Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby verkör­pern ihre Charak­tere mit großem Talent. Phoenix grimas­siert und dreht seine Figur immer wieder ins Groteske, ansonsten dominiert eine mürrische sardo­ni­sche Gereizt­heit, als wolle er es mit Rod Steiger aufnehmen. Das ist zwar amüsant anzusehen, denn Phoenix bleibt am Ende immer Phoenix, unter­gräbt aber unser Vers­tändnis für alle Aspekte vom Charakter Bona­partes, die offenbar weder Regisseur noch Haupt­dar­steller inter­es­siert haben.

Die Chemie zwischen Phoenix und Kirby ist aber unbe­streitbar – die ödesten Sexszenen der Kino­ge­schichte verhin­dert das jedoch auch nicht.

Aber der Film geht noch weit darüber hinaus, indem er Josephine fast zur Haupt­figur und jeden­falls zur Antriebs­quelle eines spröden, undurch­schau­baren und wenig charis­ma­ti­schen Napoleon macht, der unter der Fuchtel seiner Gattin und seiner Mutter steht und manchmal zu einem grotesken Zwerg schrumpft.

Das bricht nicht nur mit den Erwar­tungen des Kinos, es ist auch unhis­to­risch: Fakten­wahr­heit inter­es­siere ihn nicht, erklärte Scott dazu – das ändert nichts daran, dass er die Möglich­keiten des Kinos, einer histo­ri­schen Figur und einer realen Epoche Bild-Gestalt zu geben, verschenkt.

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Vieles ist auch stilis­tisch überaus mangel­haft und geradezu unbe­holfen: Übergänge, Zeitsprünge über zwei, drei Jahre ohne Kontexte zwischen den Szenen; Momente, die von einem Schritt zum nächsten übergehen, ohne die Handlung weiter­zu­ent­wi­ckeln, ohne dass wir Moti­va­tionen oder innere Logik verstehen. Man merkt, dass der Film stark beschnitten wurde, um die immer noch große Länge zu erreichen, die er jetzt hat.

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Trotzdem ist Scotts Film visuell noch am ehesten gelungen – ein unhe­roi­sches Porträt, das uns eine graue, kühle, regne­ri­sche Welt zeigt: Ohne »die Sonne von Auster­litz«, ohne Pathos und bunte Farben, auch mit sanfter Barock­musik statt den histo­ri­schen korrekten Klängen des Napoleon-Fans Beethoven.

Wer sich auf all das einlässt, wird immerhin ein paar wenige inter­es­sante Über­ra­schungen erleben. Der Rest muss auf das kommende Jahr hoffen: Dann wird Steven Spielberg endlich das berühmte unver­filmte Drehbuch Stanley Kubricks in Angriff nehmen.