USA/GB 2023 · 159 min. · FSK: ab 12 Regie: Ridley Scott Drehbuch: David Scarpa Kamera: Dariusz Wolski Darsteller: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim, Ben Miles, Rupert Everett u.a. |
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»Wir sind doch nicht hier, um uns gegenseitig zu erschießen!« | ||
(Foto: Sony) |
»Es war während der Regentschaft Georgs III., dass die vorerwähnten Personen lebten und stritten; gut oder böse, schön oder hässlich, arm oder reich, sie alle sind nun gleich.« – Epilog in Stanley Kubricks Barry Lyndon
Man könnte natürlich mit Abel Gances 330 Minuten langer Stummfilmversion über Napoleons junge Jahre beginnen, ein filmischer Geniebeweis und ein kommerzielles Scheitern der Superlative, das die geplanten Fortsetzungen undenkbar machte. Oder mit Chaplins lang gehegten, großen Napoleon-Plänen. Oder, ganz genau: mit dem großen Stanley Kubrick, der so lange wie Chaplin ein Filmepos über Napoleon Bonaparte plante. Nachdem er aber 1970 von Sergei Bondartschuks Waterloo erfuhr, der dasselbe Thema behandelte, gab er seine umfangreichen Pläne zu Napoleon auf; Pläne und Drehbücher, die übrigens Steven Spielberg in den letzten Jahren gesichtet hat, und der nun eine HBO-Serie daraus destillieren will. Aber auch Kubrick wollte seine langjährigen Recherchen nicht einfach umsonst erarbeitet haben und ließ sie stattdessen in Teilen in seinen nächsten großen Film – und vielleicht Kubricks schönsten Film – Barry Lyndon (1975) mit einfließen.
Und vielleicht liegt es an genau dieser vermaledeiten filmhistorischen Melange, die natürlich noch viel weiter geht, denkt man an die bizarren Momente, die Scott mit Kubrick erlebt hat, dass sich Ridley Scotts Napoleon nicht nur ein wenig so ansieht und anfühlt wie Stanley Kubricks Barry Lyndon.
Denn gegen alle historischen Belege macht Scott aus Napoleon einen Glücksritter, der wie Barry Lyndon mit Glück, Liebe und Hochstapelei erst sehr erfolgreich ist, um dann sehr tragisch zu scheitern. Scott setzt allerdings in dem Jahr ein, in dem Barry Lyndon aufhört, im Jahr der französischen Revolution und auch hier schert sich Scott nicht um die historischen Belege. Französische Trikoloren sind während Marie-Antoinettes Hinrichtung falsch herum aufgehangen, wie sich der Napoleon-Experte Thomas Schuler beschwerte, und Fernseh-Historiker Dan Snow stellte klar, dass Marie Antoinette geschorenes Haar getragen habe, als es zur Guillotine ging.
Aber um historische Präzision muss es in einem Kunstwerk natürlich nicht gehen, denn Scott will mit seinen langen Passagen über die Revolutionszeit ja nicht nur die frühen Erfolge Napoleons über ikonische Momente erzählen, sondern deutlich machen, warum wir in unserer Gegenwart die Geschichte überhaupt noch einmal erzählt bekommen müssen. Und das wird sehr schnell, sehr deutlich, zeigt Scott die Revolutionszeit doch als eine Zeit, der unsere Gegenwart nicht ähnlicher sein könnte; eine Zeit, die es nach den gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzungen mit kaum mehr kontrollierbaren Freiheiten plötzlich mit der Angst bekommt, der Angst vor der eigenen Freiheit und mit Menschen, die sich zunehmend nach der vermeintlichen Sicherheit durch Autokratie und Monarchie zurücksehnt, nicht anders als heute.
Scott erzählt geradlinig und souverän, wie schnell und unmerklich es mit den alten Freiheiten vorbei ist und vor allem, durch wen diesen Freiheiten ein Ende gesetzt wird. Napoleon halt. Aber sein Napoleon ist nicht der pathetische Übermensch in Abel Gance’ Napoleon, es ist ein gebrochener Napoleon, der wie in den Szenen in Toulouse in sein Glück stolpert, statt es souverän zu erobern. Er ist ein eifersüchtiger Mann, der über das Fremdgehen seiner Frau durch einen befreundeten Offizier während seines Feldzugs in Ägypten erfährt (und nein: Napoleon hat in Wirklichkeit die Pyramiden natürlich nicht beschossen), um es später dann noch einmal im Detail und sehr öffentlich auch in der Pariser Boulevardpresse nachzulesen. Und nicht nur an dieser Stelle macht Scott auch klar, dass sein Film – und da lehnt er sich erneut stark an Barry Lyndon an bzw. hat sich Kubrick in Barry Lyndon stark an Napoleon angelehnt – nicht nur ein Film über einen gebrochenen Mann ist, sondern auch einen Mann, der immer wieder vergeblich darum kämpft, vom Hochadel als ihresgleichen akzeptiert zu werden, es ist auch also auch eine Geschichte über den rabiaten Wandel bestehender Klassenverhältnisse.
Joaquin Phoenix (Beau Is Afraid, C'mon C'mon) spielt diesen Napoleon überragend. Fast jeder Moment, in dem Phoenix kontemplativ, linkisch, mufflig und mürrisch die ganze Geschichte zu inhalieren scheint, um sie über seine umwerfende Körpersprache und Mimik zu etwas völlig neuem zu transformieren, ist schauspielerisches Großglück. Selbst die Sexszenen zwischen Napoleon und seiner Frau Josephine (Vanessa Kirby) sind nicht einfach nur Sex, sondern beinahe schon tragische Symbolhandlungen für die so konträren Sozialisierungshintergründe des Paares.
Leider vernachlässigt Scott, zu zeigen, zu erklären oder wenigstens anzudeuten, warum selbst für einen literarischen und erst recht politischen Freigeist wie Arno Schmidt Napoleon als Wegbereiter eines modernen, vereinten Europas galt. Stattdessen werden nahtlos alle wichtigen Schlachten auserzählt. Dabei geht es zwar nicht so großartig schmutzig zu wie in Scotts Ritterschlachtgemälde The Last Duel oder historisch so überzeugend wie in Scotts meisterlichem Gladiator, dafür findet Scott aber gerade in seiner Bebilderung der Schlacht von Austerlitz Momente von irrlichternder Schönheit und einem Grauen, das durch die winterliche Kälte und gebrochenes Eis zu erhabener Stille und furchteinflößender Historie gefriert.
Dabei begeht Scott nie den Fehler, in die Pathos-Falle zu tappen, ist nicht nur sein Napoleon ein tumber Thor, der verliebt in Vaterland, Frau und sich selbst den Ernst der Lage immer wieder erzwingen muss, um den nächsten Schritt zu setzen. Auch der so grausamen Geschichte selbst wird wie in Kubricks Barry Lyndon immer wieder Komik und Satire abgerungen, wie in der wunderbaren Szene während Napoleons letzten Stunden in Waterloo, als ein Scharfschütze des englischen Heeres unter Lord Wellington auf Napoleon ansetzt, dieser aber den Schützen bei Todesstrafe empört zurückhält: »Wir sind doch nicht hier, um uns gegenseitig zu erschießen!«
Das kommt dann auch schon fast einem Ritterschlag durch jene gleich, denen Napoleon all die Jahre nacheiferte und die ihn erst dann als Ihresgleichen akzeptieren, als er keine Gefahr mehr für sie war. So subtil wie dieser Moment ist dann auch das Ende, für das sich Scott all die Zeit lässt, die er braucht: ein Frühstück mit jungen Kadetten und dann St. Helena, das wie Liebe klingt und auch in Liebe endet.
Paris im Oktober 1793 – Hinrichtung über Hinrichtung. Die Guillotine steht niemals still. Eine gepflegte Frau mit krausen, weißen Haaren wird zum Schafott geführt. Vornehm und streng blickt sie, unter dem Gejohle und den Beschimpfungen der Menge, ihrem Tod entgegen. Das Fallbeil rauscht herab, der Henker reißt den blutigen Kopf in die Höhe: Marie Antoinette ist tot. Langsam schweift der Kamerablick über die Menge und bleibt bei einem gedrungenen Mann mit großem Hut haften: Napoleon Bonaparte. Mit dem Tod der alten Ordnung beginnt sein kometenhafter Aufstieg.
So groß der Name Napoleon in der Geschichte Europas wiegt, so gewichtig ist der Name Ridley Scott unter Cinephilen. Trotz seiner mittlerweile 85 Jahre dreht der Schöpfer stilbildender Filmklassiker wie Alien und Blade Runner unermüdlich weiter. Dass Scott keinerlei Berührungsängste hat, auch historische Stoffe zu verfilmen, zeigte er zuletzt unter anderem mit House of Gucci und The Last Duel – nun ist mit Napoleon die ganz große Geschichte dran.
Das Leben Napoleons ist so reich an allen Ingredienzien, die klassisches, monumentales Hollywoodkino benötigt: ein Underdog begibt sich aus der korsischen Provinz nach Paris, wird Heerführer, schlägt siegreich eine Schlacht nach der anderen, wird schließlich Kaiser und… stürzt tief. Nach der bitteren Niederlage in Russland folgt die Verbannung nach Elba – doch noch einmal gelingt ihm das Comeback: die Herrschaft der 100 Tage, der durch die verlorene Schlacht bei Waterloo ein Ende gesetzt wird. Am Schluss wartet der einsame Tod auf der Insel St. Helena. Ein Leben, so facettenreich und voller Höhen- und Tiefenflüge, wie man es sich als Drehbuchautor:in nur erträumen kann. Und vielleicht liegt hier auch das Problem: Man fühlt sich mit dieser schillernden Figur filmisch zu sicher.
Allzu klassisch handelt Ridley Scott die Stationen im Leben des Napoleon Bonaparte ab – eine Abfolge von Gesprächen und Schlachten, Banketten und Zusammenkünften. In 158 Minuten durch 28 Jahre bewegter Geschichte. Das Gefühl für Zeit und Entwicklung ist dabei schon nach der ersten halben Stunde dahin und man folgt einer Abfolge von Episoden, einer Tour de Force durch die Befreiungskriege, verknüpft durch federgeschriebene Texttafeln, die anzeigen, dass man auf dem Zeitstrahl Napoleons wieder um Jahre vorangerückt ist. Sonst bleibt der Film seltsam leer: Napoleon vermag trotz seiner Größe die Leinwand nicht zu füllen. Wir verfolgen Napoleon durch die Jahre, dabei aber werden Frankreich, das Volk, die Umgebung völlig ausgeblendet. Große Treppenhäuser, große Schlachten, große Macht, nur leider zu wenig Geschichte.
Joaquin Phoenix spielt einen Napoleon, der wie ein Klotz die Kinoleinwand einnimmt, vernuschelt seine Sätze, scheint zu schlafen. Verschlossen, undurchsichtig.
Ein Ausbruch aus der Abfolge von Schlachten und der französischen Hochpolitik bieten die Szenen zwischen Napoleon und seiner Frau Josephine, gespielt von Vanessa Kirby. Die ambivalente Beziehung der beiden, geprägt von gegenseitiger Zuneigung und steter Verletzung, reißt den sonst so einseitigen Feldherren aus seiner Klotzhaftigkeit und präsentiert eine Person, die zwischen Liebe und Wahnsinn changiert. Die besondere Beziehung zu Josephine de Beauharnais, von welcher er sich später scheiden ließ, um einen rechtlich einwandfreien Thronfolger zeugen zu können, ist die eigentliche Stärke des Films. Laut eigenen Aussagen wird Josephine in der viereinhalbstündigen Director’s-Cut-Fassung mehr Raum gegeben – schade, dass Ridley Scott dies nicht mehr in kürzerer Zeit vermag.
»Napoleonische Schlachten sind so schön. Wie riesige, tödliche Ballette... sie haben alle eine ästhetische Brillanz, für die man keinen militärischen Verstand braucht, um sie zu schätzen.« – Stanley Kubrick
Vielleicht sollten Engländer keine Filme über Napoleon Bonaparte machen. Dieser hier ist ein Waterloo des Regisseurs, eine Kapitulation vor der doppelten Aufgabe, einfach einen guten Film zu machen, wie vor der, eine Ahnung von seinem Gegenstand zu geben.
Ein Film, der »Napoleon« heißt, kann diesen in den Himmel loben oder verdammen, kritisieren oder verteidigen, verzaubert zeigen oder entzaubern, aber er sollte von diesem Gegenstand handeln, und etwas ansatzweise Neues über ihn zu erzählen haben. Ridley Scott hat es nicht.
Kein Charisma, keine Psychologie, sondern nur schlechter Sex und Groteske. Keine Antworten und keine Fragen: Warum verliebt Bonaparte sich in Josephine? Warum Josephine in ihn?
Was war sein militärisches Genie?
Man muss Napoleon nicht mögen, um das alles wissen zu wollen.
Nichts zum Freiheitsdenken, zum Mythos des Retters, zum Helden der europäischen Nationen, der bis heute in Polen und Ungarn eine Art Nationalheld ist, aber auch nichts dagegen.
Keine Idee, keine Bilder, kein Nichts.
Nur Witze für Leute, die keine Ahnung haben. Von der universalen Ästhetik, die Stanley Kubrick im Eingangszitat beschwört, keine Spur.
Aber wegen dieser Ästhetik geht man ins Kino. Nicht um einem gelangweilten 80-jährigen Regisseur dabei zuzusehen, wie ihn sein Gegenstand nicht interessiert.
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Ziemlich früh in diesem Film werden wir Zeuge einer rasanten Kampfszene: Es ist die Belagerung von Toulon, deren Erfolg im Herbst 1793 dem jungen Artillerieoffizier Bonaparte frühen Ruhm und die Beförderung zum General eintrug, und die ihn erstmals der französischen Öffentlichkeit bekannt machte: Regisseur Ridley Scott zeigt hier die Kampfhandlungen so komplex und chaotisch, wie sie es vermutlich tatsächlich gewesen sind, und doch behält er für uns Zuschauer den Überblick,
sodass man immer weiß, was gerade passiert, und worum es geht. Umso überraschender und im besten Sinn schockierender ist der Moment, in dem das Chaos in die filmische Ordnung einbricht und dem Helden plötzlich mit einer Kanonenkugel der Schimmel unter dem Sattel weggeschossen wird...
Um ein Haar wäre es hier mit der Karriere des jungen Offiziers vorbei gewesen.
Tatsächlich aber folgte der berühmte Italienfeldzug, den der französische Schriftsteller Stendhal in seiner »Kartause von Parma« verewigte, und der Ägyptenfeldzug, den Napoleon Bonaparte gegen die Briten gewann, bevor er symbolisch und öffentlichkeitswirksam Zwiesprache mit dem 3000 Jahre alten Reich der Pharaonen hielt und der nicht nur die Orient-Mode der nächsten 100 Jahre, sondern auch die politische Karriere des Offiziers Bonaparte begründete. Als er zurückkehrte, war er ein gemachter Mann und wurde bald als »Erster Konsul« derjenige, der die Revolution beendete und ihre Errungenschaften auf Dauer stellte, in Europa verbreitete und damit das Gesicht Europas für immer veränderte.
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Mit 86 Jahren ist Ridley Scott immer noch einer der produktivsten Filmemacher Hollywoods. Tatsächlich war sein neuer Film noch gar nicht herausgekommen, da begann Scott bereits mit dem Dreh zu Gladiator 2, dessen Produktion wegen des Streiks der Schauspieler unterbrochen wurde und in Kürze wieder aufgenommen wird.
Seit Scott 1977 seinen ersten Film, The
Duellists fertigstellte, den gerade viele Franzosen immer noch für den besten Film über das Napoleonische Zeitalter (1795-1815) halten, hat Scott einige große Meisterwerke (Alien, Blade Runner, Thelma &
Louise und Gladiator) geschaffen, blieb aber auch vor gelegentlichen Fehltritten nicht gefeit: Produktionen, die zwar immer bei Scott visuell glänzen konnten, denen aber das richtige Drehbuch oder die richtige Geschichte fehlte: 1492, Hannibal oder Prometheus.
Jetzt erzählt er die Geschichte des Kaisers der Franzosen, der ein ganzes Zeitalter prägte, und bei manchen Völkern – Polen, Ungarn, Südwestdeutschen – bis heute als Freiheitsheld beliebt ist, und die im Kino noch nie zufriedenstellend erzählt wurde. Berühmte Napoleon-Projekte von Charlie Chaplin und Stanley Kubrick erblickten nie das Licht der Welt, und der bisher berühmteste Kinofilm, Abel Gance' auf sechs Teile angelegter, filmisch revolutionärer Stummfilm Napoleon wurde nach dem ersten Teil aus finanziellen Gründen eingestellt.
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Ridley Scott dagegen vermeidet peinlich alle solche Vergleiche: Zu Gance, zu Bondartschuk, zu Guitry. Seinem zweieinhalbstündigen Werk geht es nun ähnlich wie seiner Hauptfigur im Leben: Die Hoffnungen des Anfangs, das Tempo und die Kraft der filmischen Dynamisierung können im weiteren Verlauf des Films nur selten aufrecht erhalten werden. Die Intensität der Schlacht bei Toulon erreichen die Kampfszenen erst wieder am Ende bei Waterloo, wo paradoxerweise Scotts Napoleon im Film auch seine allererste Rede an die Soldaten hält – eine schwerverständliche Entscheidung der Macher, waren doch Ruhm und politisch-militärischer Erfolg Napoleons nicht zuletzt Folge seiner charismatischen Wirkung und Rednergabe.
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So ist das, was an diesem Film noch halbwegs interessant ist, vor allem das Bild des Privatmanns Bonaparte und hier wieder das seiner ersten Frau, der großen Liebe Josephine. Dieser Film sollte besser »Josephine (und Napoleion)« heißen. Denn so leidenschaftlich und fesselnd Scott den Mensch hinter der Legende erfolglos zu finden sucht, so sehr konzentriert er sich von Anfang an auf seine Beziehung zu Josephine und die Briefe, die sie sich im Laufe der Jahre geschrieben haben.
Scott erzählt das Leben von Napoleon Bonaparte also als intimes Stationendrama seiner Ehe mit Josephine – das Ergebnis ist ein Film, der alles andere als rund ist, sondern extrem sprunghaft, episodisch und fragmentarisch wirkt. Erkennbar fehlen zu viele Teile des Puzzles – die Kaiserkrönung 1804 kommt aus dem Nichts, Jena und Goethe und Hegel so wenig vor, wie Kutussow, die Königin Luise und Maria Walewska, die Völkerschlacht bei Leipzig nicht , kein Spanienfeldzug, kein Trafalgar, kein Wagram – plötzlich ist er aus dem Nichts abgesetzt, dann wieder da, Josephine stirbt im falschen Jahr, die Generäle gibt es nicht und Talleyrand ist wie Fouché nur Namedropping.
Schon im Vorfeld des Filmstarts erklärt Ridley Scott nicht nur, dass ihn Fakten nicht interessierten, sondern auch fast entschuldigend, die kommende Streaming- und DVD-Fassung werde »mindestens vier Stunden« umfassen und »besser« sein. Eine zwiespältige Ankündigung. Ist die Kinofassung also nur ein Teaser fürs Apple+-Abo?
Dieser vierstündige Director’s Cut wird vielleicht etwas mehr Licht auf den Mann werfen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass er die
grundlegenden Probleme des Films beseitigt.
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Bemerkenswert für den schludrigen Umgang Scotts mit seinem Gegenstand ist die Darstellung des berühmtesten Siegs Napoleons in der Winter-Schlacht von Austerlitz. Tolstoi hat aus ihr eine Ode an Napoleon gemacht, fast jeder Historiker sieht sie zumindest als taktisches Meisterstück an. Scott konzentriert sich auf oberflächliche und irreführende Nebenaspekte, um ein paar spektakuläre Digitaleffekte vorzuführen: Der vereiste See war an einem Randbezirk des Schlachtfelds und keineswegs Ursache der Niederlage der überlegenen Truppen. Wer nicht weiß, dass die Franzosen die Österreicher mit einer Finte von ihren befestigten Bergstellungen herunterlockten, erfährt es bei Tolstoi, aber nicht bei Scott. Und die sprichwörtliche »Sonne von Austerlitz« darf bei ihm auch nicht scheinen. In dieser und in vielen anderen Schlachtszenen lässt Scott einen Großteil der Farben weg, und sein Film tendiert durchgehend zu einer Schmutzwäschepalette aus Grau und Braun, Düsternis und Schlamm.
Man muss Napoleon nicht verehren und verklären, um das zu bemängeln.
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Wovon die Kinoversion letztlich fast allein lebt, sind seine zwei Hauptdarsteller: Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby verkörpern ihre Charaktere mit großem Talent. Phoenix grimassiert und dreht seine Figur immer wieder ins Groteske, ansonsten dominiert eine mürrische sardonische Gereiztheit, als wolle er es mit Rod Steiger aufnehmen. Das ist zwar amüsant anzusehen, denn Phoenix bleibt am Ende immer Phoenix, untergräbt aber unser Verständnis für alle Aspekte vom Charakter Bonapartes, die offenbar weder Regisseur noch Hauptdarsteller interessiert haben.
Die Chemie zwischen Phoenix und Kirby ist aber unbestreitbar – die ödesten Sexszenen der Kinogeschichte verhindert das jedoch auch nicht.
Aber der Film geht noch weit darüber hinaus, indem er Josephine fast zur Hauptfigur und jedenfalls zur Antriebsquelle eines spröden, undurchschaubaren und wenig charismatischen Napoleon macht, der unter der Fuchtel seiner Gattin und seiner Mutter steht und manchmal zu einem grotesken Zwerg schrumpft.
Das bricht nicht nur mit den Erwartungen des Kinos, es ist auch unhistorisch: Faktenwahrheit interessiere ihn nicht, erklärte Scott dazu – das ändert nichts daran, dass er die Möglichkeiten des Kinos, einer historischen Figur und einer realen Epoche Bild-Gestalt zu geben, verschenkt.
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Vieles ist auch stilistisch überaus mangelhaft und geradezu unbeholfen: Übergänge, Zeitsprünge über zwei, drei Jahre ohne Kontexte zwischen den Szenen; Momente, die von einem Schritt zum nächsten übergehen, ohne die Handlung weiterzuentwickeln, ohne dass wir Motivationen oder innere Logik verstehen. Man merkt, dass der Film stark beschnitten wurde, um die immer noch große Länge zu erreichen, die er jetzt hat.
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Trotzdem ist Scotts Film visuell noch am ehesten gelungen – ein unheroisches Porträt, das uns eine graue, kühle, regnerische Welt zeigt: Ohne »die Sonne von Austerlitz«, ohne Pathos und bunte Farben, auch mit sanfter Barockmusik statt den historischen korrekten Klängen des Napoleon-Fans Beethoven.
Wer sich auf all das einlässt, wird immerhin ein paar wenige interessante Überraschungen erleben. Der Rest muss auf das kommende Jahr hoffen: Dann wird Steven Spielberg endlich das berühmte unverfilmte Drehbuch Stanley Kubricks in Angriff nehmen.