Neptune Frost

USA/Ruanda/F/CDN 2021 · 110 min.
Regie: Anisia Uzeyman, Saul Williams
Drehbuch:
Kamera: Anisia Uzeyman
Darsteller: Cheryl Isheja, Bertrand Ninteretse, Elvis Ngabo, Eliane Umuhire, Dorcy Rugamba u.a.
Filmszene »Neptune Frost«
Distortion und Bricolage
(Foto: Cinemalovers)

Fuck Mr. Google

Gegen die Ausbeutung fürs Smartphone inszenieren Saul Williams und Anisia Uzeyman mit Neptune Frost ein fluides Afro-Futurismus-Musical

Die Ränder der Ohren sind mit oran­ge­leuch­tender Neon-Schminke markiert, ebenso die Lider, die Wimpern sind weiß hervor­ge­hoben. Über den ganzen Körper, auf der Stirn, an den Armen, am Kopf und auf der Kleidung finden sich Appli­ka­tionen tech­no­ider Körper­sub­sti­tute, Bruchs­tücke von Compu­ter­chips und Fest­platten, als wären sie Kriegs­schmuck, oder zumindest der neueste Schrei. Die Prot­ago­nist*innen heißen: Memory, Tekno, Einstim­mige Goldmine, Matalusa oder Neptun. Sie sind Afro­fu­tu­risten und gender­fluid, non-binär, im wahrsten Sinne des Wortes. In einer Welt aus Nullen und Einsen, in einer Welt der Compu­ter­logik, von »Mensch und Maschine« und »Mann und Frau« gehören sie sichtlich nicht dazu.

Neptune Frost ist der erste Film, den der aus Haiti stammende US-ameri­ka­ni­sche Rapper Saul Williams zusammen mit Anisia Uzeyman, einer ruan­di­schen Schau­spie­lerin (und der Partnerin von Williams), reali­siert hat. Sie erzählen ein loses Sci-Fi-Musical – Saul Williams hat es als Abschluss seines multi­me­dialen Projekts »Marty­rLo­serKing« (im Film laut­schrift­artig umge­wan­delt in die Figur Matalusa) kompo­niert –, das in Cannes in der Quinzaine des Réali­sa­teurs urauf­ge­führt wurde und jetzt als utopi­scher Inde­pen­dent-Gegen­ent­wurf zu Black Panther: Wakanda Forever genau zur richtigen Zeit in die Kinos kommt (alle, die Black Panther wegen seiner verlo­genen Insze­nie­rung kriti­siert haben, sollten jetzt diesen Film sehen!). Neptune Frost verschiebt alle Grenzen und betört durch sein poeti­sches Aufbe­gehren gegen eine aufok­troy­ierte Welt­ord­nung.

Der Film spielt in den Hügeln von Burundi und erzählt von der Reise eines inter­se­xu­ellen Ausreißers (doppelt besetzt durch Elvis Ngabo und Cheryl Isheja) und eines Coltan-Berg­ar­bei­ters (Bertrand Ninte­retse). Die »kosmische Vorsehung« will, dass sie einander begegnen und sich inein­ander verlieben. Ihre Zusam­men­kunft löst wiederum eine Revo­lu­tion aus, unter der sich Berg­ar­beiter zu einem anti­ko­lo­nia­lis­ti­schen Hacker­kol­lektiv zusam­men­schließen. In mitreißenden Vocals besingen die Prot­ago­nist*innen – allesamt bestens ausge­bil­dete Schau­spieler, Musiker und Perfor­mance-Künstler, und eben keine Laien, wie man viel­leicht bei einem alter­na­tiven Projekt erwarten könnte – vom »Gerech­tig­keits­al­go­rithmus« und davon, dass sie sich nicht zu Robotern machen lassen wollen – den neuen Sklaven einer program­mier­baren Techno-Diktatur.

Sie wehren sich gegen die AUTORITÄT, das repres­sive Regime, das nach immer mehr Profit strebt. Realer Hinter­grund ist der Coltan-Abbau in Ruanda, wo der Film auch gedreht wurde. Immer wieder sieht man die schweren, metal­lisch glän­zenden Erden, die unsere i- und Smart-Phones füttern, aber kaum die schwer schuf­tenden Menschen – Deutsch­land ist einer der größten Ausbeuter dieser Erden.

Die poli­ti­sche Anklage gegenüber der west­li­chen Zivi­li­sa­tion und dem Profit­streben wird hier durch eine ganz und gar unwest­liche Erzähl­weise ausge­tragen. Auf der Ober­fläche mag das noch binär erscheinen: Gut und böse sind klar abge­steckt, die Revolte stemmt sich gegen die Autorität, die Ausge­beu­teten gegen die Profi­teure. So haben die Prot­ago­nist*innen im Film außer den als Stoff-Appli­ka­tionen oder Schmuck getra­genen Techno-Acces­soires keinen Zugang zum Hightech, immer wieder sieht man Distor­tion-Effekte, Bild­s­tö­rungen, auf den tech­ni­schen Devices. Dies aber gibt Raum für die Fluidität.

Hinein in die technoide Welt strömt die Welt der Bricolage und der Impro­vi­sa­tion. Und so wie die Technik auch immer nur eine Prothese für das anthro­po­lo­gisch verbürgte »Mängel­wesen Mensch« sein kann, sind auch hier die tech­ni­schen Versatz­stücke Lücken­büßer in einer unvoll­kom­menen Welt. Gleich­zeitig verflüs­sigen sich auch die Geschlechter – der Film bekam Preise auf Queer­film­fes­ti­vals – und vor allem die Erzähl­weise. Allein schon der Plot fühlt sich trau­mähn­lich an, asso­ziativ, keiner west­li­chen Ratio­na­lität gehor­chend, die Vocals bringen wie in der Lyrik oder Arien die Dialoge auch immer wieder zum Still­stand. Gefilmt hat Anisia Uzeyman, die mit ihrer schwe­benden Kamera und verschie­denen Stilen – von ethno­gra­fi­schen Bildern bis MTV-Shots – konse­quent umsetzt, dass utopische Gegen­ent­würfe auch immer poeto­lo­gi­sche Gegen­ent­würfe sein sollten. Dies hier ist der ulti­ma­tive Schwarze Panther eines aufbe­geh­renden Afrikas.