Deutschland/I 2010 · 83 min. Regie: Nicole Mosleh Drehbuch: Nicole Mosleh Kamera: Henning Brümmer Darsteller: Ulrich Mühe, Susanne Lothar, Janina Sachau, Gesine Cukrowski, Waldemar Kobus u.a. |
![]() |
|
Unfunny Games |
Eine Frau schwimmt in einem See, plötzlich berührt sie etwas im Wasser und ist zu Tode erschrocken, scheinbar ganz ohne Grund. Claire, so heißt sie, ist ein Nervenbündel. Eine Übersensible, Hysterische. Susanne Lothar, diese großartige Theater- und Kino-Darstellerin, die im Sommer überraschend mit erst 51 Jahren gestorben ist, leiht ihr ihre großen Augen, die sie aufreißt wie ein Medusenhaupt. Ihren Mund, zu einem einzigen Quell der Ratlosigkeit geformt. Das ganze Gesicht Trauma, Verstörung, fassungslose Verzweiflung. Was ist nur los mit ihr? Welche Höllendämonen jagen sie bloß?
Aber Claire ist nicht allein. Da ist noch Robert, ihr Mann. Er scheint ruhiger, gefasster als seine Frau. Erst nach einiger Zeit bemerkt der Zuschauer die Nervosität und Unruhe, das nicht bei-sich-sein-können dieses Charakters, realisiert, dass auch Robert ein Nervenwrack ist, gerade noch zusammengehalten von Haut und Knochen.
Ein Paarhölle also. Ein Paar, das sich selbst genug ist, in der Selbstzerfleischung, im Hadern miteinander. Aber warum eigentlich?
Einen frühen Hinweis gibt der Filmtitel: Nemesis zur Erinnerung – dies war in der griechischen Mythologie des Altertums die Göttin der gerechten Rache, ganz wörtlich der »Zuteilung des Gebührenden«. Eine Heimsuchung, die vor allem den Verbrecher verfolgt. Die traurige Hoffnung auf letzte Gerechtigkeit. Jeder, so lautet der Trost, bekommt am Ende sein Fett ab.
Und wenn man dann bald verstanden hat, dass dieser Film eigentlich eine Dreiecksgeschichte erzählt, dass die unsichtbare Dritte in diesem perversen Bunde Claires Schwester Nina ist, und dass sie vor einem Jahr spurlos verschwand, dann spätestens ist der Zuschauer auf der richtigen Fährte.
Verdacht, radikalisiert zur Paranoia ist das untergründige Thema dieses Films – eines Paar-Selbstzerfleischungs-Melodrams. Früher, vor 30, 40 Jahren hätte man so etwas in seinem schweren Parfüm aus getragenem Ernst, der Hysterie, die vieles dominiert, und bei der man nie ganz sicher sein kann, ob sie nur den Figuren eigen ist, oder auch die Haltung des Films bestimmt, einen »Problemfilm« genannt.
Erzählt wird in Rückblenden, die Figuren erinnern sich und trinken dabei viel Alkohol, sie küssen und sie schlagen sich, und ein grundsätzlicher Hauch von »Wer hat Angst vor Virginia Woolfe« prägt die besseren Momente.
Nemesis, von Nicole Mosleh entstand bereits vor sechs Jahren 2006. Und es hat schon seinen Grund, dass er erst vier Jahre später Premiere hatte, dass er so lange nicht ins Kino kam, wie es seinen Grund hat, dass er jetzt ins Kino kommt.
Man kann diesen Film nicht ansehen, ohne in Claire und Robert immer wieder auch Susanne Lothar und Ulrich Mühe zu sehen. Dieses beiden strahlenden, im besten, also der Kunst dienenden Sinne egomanischen Großschauspieler, die auch im Leben ein schillerndes Paar waren; die auf der Leinwand mehrfach zusammen spielten, vor allem in Michael Hanekes Funny Games einer visuell-emotionalen Kinogeisterbahnfahrt, in dem gleichfalls ein Paar, wenn auch ganz anders, durch die Hölle geht.
Nemesis ist das, was man gern einen »Schauspielerfilm« nennt. Das heißt: Er ist ganz reduziert um konzentriert zu sein auf seine beiden Hauptdarsteller, ein konzentriertes Druck-Kammerspiel, dass den beiden Darsteller und ihren Figuren allen Raum lässt, ihnen gestattet, Grenzen einzureißen, sich bis zum Exzess leer zu spielen.
Das hat etwas Erschreckendes in seiner Haltlosigkeit, Abgründiges im Undisziplinierten, den Eitelkeiten, die hier manchmal durchscheinen. Es hat auch etwas Faszinierendes – und gewiss nicht durch die primitive Perspektive, mit der der Verleih so spekulativ wie geschmacklos wirbt, wenn er formuliert: »Die beiden Protagonisten Mühe und Lothar bieten mit ihrer Darstellung einen Blick in die Abgründe der Liebe und verschonen dabei weder sich, noch das Publikum.«
Aber dies ist der letzte Film von Ulrich Mühe. Und einer der letzten von Susanne Lothar. Staub auf unseren Herzen heißt ihr allerletzter Film, der auch bald auf die Leinwände kommt.