Deutschland 2016 · 105 min. · FSK: ab 0 Regie: Nicola Graef Drehbuch: Nicola Graef Kamera: Felix Greif, Alexander Rott Schnitt: Kai Minierski |
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Suggestive Bildkomposition: Der Maler als Figur seiner Malerei |
Die erste Einstellung von Nicola Graefs Dokumentation über den Leipziger Maler Neo Rauch zeigt eine Totale auf den sich in seinem Atelier mit dem Aufstellen einer übermannsgroßen neuen Leinwand abmühenden Künstler. Als Nächstes sehen wir, wie Neo Rauch einer Leiter steht und, mit Farbkännchen und Handschuhen bewehrt, die erste farbige Grundierung für ein neues Bild aufträgt. Die Kamera rückt näher, als Rauch auf dem jetzt bereits weiter fortgeschrittenen Gemälde die Umrisse einer neuen Figur anlegt und diese mit ersten groben Gesichtszügen versieht.
All dies zeigt die Regisseurin in sehr langen ruhigen Einstellungen, die den Zuschauer dazu bewegen, sich ganz auf den Künstler und auf dessen Arbeitsrhythmus einzulassen. Dabei wird deutlich, dass Rauch trotz seiner Berühmtheit nach wie vor in seiner ganz eigenen Welt lebt. Dies vermittelt sich ebenfalls anhand seiner sehr eigenen Redeweise: »Ich versuche natürlich immer wieder neue Pfade zu ergründen, ungegangene Wege zu beschreiten, aber das wird immer schwieriger. Weil ich doch so einige Beete schon angelegt habe und Schneisen geschlagen habe durch meine inneren Waldungen. Und das Unbegangene wird langsam rar. Ich muss da irgendetwas tun, um wieder neue Urwälder aufzuschließen.«
Es ist ein behutsames Vorantasten, mit dem sich Nicola Graef in Neo Rauch – Gefährten und Begleiter dem introvertierten Leipziger Malerstar nähert. Ursprünglich hatte Rauch das Projekt abgelehnt. Graef hatte sich deshalb bereits darauf eingestellt, den Film ohne den Künstler drehen zu müssen. Doch auch dazu brauchte die Regisseurin Rauchs Zustimmung. Als sie hierfür auf eine Ausstellungseröffnung fuhr, brach ein von Graef mitgebrachtes Buch das Eis: »Das liest gerade meine Frau.« Rauchs Frau ist die Malern Rosa Loy. Mit ihr kam es zu weiteren Treffen mit der Filmemacherin – ohne Kamera. Irgendwann durfte Graef den Künstler dann sogar direkt bei der Arbeit in seinem Leipziger Atelier filmen.
Während der gesamten Dokumentation erweist sich Neo Rauch als ein Künstler, der sich, wenn überhaupt, so nur ungern und auf eindringliche Nachfrage zu seiner Arbeit äußert. Wenn er dies tut, kommen die Sätze langsam, aber allesamt druckreif aus ihm heraus. Dabei wirkt seine Sprache ähnlich präzise, mysteriös und leicht aus der Zeit gefallen wie seine Gemälde. Ein italienischer Sammler von Rauchs Arbeiten weist in dem Film auf dessen Nähe zur Literatur hin und bezeichnet seine Bilder als ähnlich komplex – und letztendlich unergründbar wie die Werke von Shakespeare. Diese Einblicke in die Lebenswelten der Sammler in Amerika, Europa und Asien sind Offenbarungen der Selbstinszenierungen der Reichen. Denn ein echter »Rauch« kostet teilweise eine Million Dollar und mehr. »Darüber darf man gar nicht nachdenken«, sagt der Künstler – und fährt weiterhin jeden Tag mit dem Fahrrad zu seinem Atelier in der ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei.
Rauch selbst bezeichnet sich als Schöpfer von Charakteren. Die ihn während ihrer Entstehung auch schon einmal bis in den Schlaf hinein verfolgen können. Sie sind die eigentlichen titelgebenden »Gefährten und Begleiter« in Rauchs schöpferischem Universum. Zu den realen Begleitern des Künstlers zählt neben seiner Frau, mit der er bereits seit über 30 Jahren verheiratet ist, auch der Galerist Gerd Harry Lybke. Der gilt als der große Entdecker Rauchs, erklärt aber, dass alles damit angefangen habe, dass Neo und Rosa – im Gegensatz zu ihm – kochen konnten. So habe man sich nach und nach angefreundet. Die professionelle Beziehung sei erst später aus der privaten Freundschaft heraus erwachsen.
Neo Rauch – Gefährten und Begleiter zeigt auch, wie sich die Karriere des Künstlers bis heute weiterentwickelt hat: Neben Lybkes Galerie »Eigen + Art« in Leipzig und Berlin, wird Rauch inzwischen von David Zwirner in New York vertreten. Als er dort eine Vernissage hat, fungiert Zwirner für Rauch auch als Übersetzer und als Mittelsmann, der ihm den Kontakt mit den Gästen erleichtert. Ein junger amerikanischer Künstler schenkt Rauch ein paar eigene Zeichnungen, nur um seinem großen Vorbild einmal vorgestellt zu werden. Rauch ist so perplex, dass es bei der bloßen Vorstellung bleibt: »Ja, was sagt man da? Da sage ich danke!« An anderer Stelle zeigt Nicola Graef auch, dass Rauch bereits die Hängung der Bilder zu dieser Ausstellung überfordert, weshalb er diese am Ende lieber seinem Galeristen anvertraut.
Immer wieder überrascht Neo Rauch – Gefährten und Begleiter mit der ausführlichen Schilderung solcher scheinbaren Nebensächlichkeiten. Diese bremsen zwar deutlich den Erzählfluss. Doch zugleich eröffnen sie eine Tiefendimension, die weit über ein oberflächliches Starporträt hinausgeht. Gerade an solchen Stellen zeigt sich, dass die langwierige mühevolle Annäherung der Filmemacherin an den Künstler letztendlich durchaus Früchte trägt. Der fertige Film vermittelt das aufrichtige Interesse der Regisseurin an dem von ihr Porträtierten und macht Rauch wirklich greifbar.
So spürt der aufmerksame Zuschauer deutlich, dass es eine grobe Vereinfachung darstellt, wenn Bewunderer von Rauch dessen Werke auf Themen wie die DDR-Diktatur, die Gespaltenheit von Ost- und Westdeutschland und die Wiedervereinigung reduzieren. Auch Rauch selbst sagt, dass seine Erfahrungen, in einer sich in der Agonie befindlichen DDR zu leben und die »Wende« wichtige Erfahrungen für ihn gewesen seien. Aber noch weitaus prägender sei ein tragisches Ereignis gewesen, als Neo erst einen Monat alt war: bei einem Zugunglück kamen seine Eltern ums Leben.
Seine Erfahrung mit der geforderten politischen Ausrichtung von Kunst während der DDR-Zeit hat im Gegenteil dazu geführt, dass Rauch sich gegenüber der Politisierung seiner Malerei versperrt. Die Weigerung, eine bestimmte Position oder Funktion zu übernehmen, ist gleichfalls bezeichnend für die Figuren in seinen Bildern. Bei diesen versucht er, eine zu direkte Interaktion mit dem Betrachter zu vermeiden. Wichtig, so Neo Rauch, sei ihm gerade das Zögerliche, Verträumte, Somnambule der »Begleiter«. Rauch geht es gerade um Vielschichtigkeit und darum, unterschiedliche Polaritäten auszutarieren. Dies könne seiner Ansicht zufolge dem einzelnen Menschen ein Gefühl für seine spezielle Rolle innerhalb des größeren Spannungsgefüges geben – und dabei das aus diesen Widersprüchen zusammengesetzte größere Ganze als sinnvoll erfahrbar werden lassen.
Nicola Graef gelingt es mit Neo Rauch – Gefährten und Begleiter ebenfalls die vielen teilweise widersprüchlich erscheinenden Aspekte der Künstlerpersönlichkeit Neo Rauch so nebeneinander zu setzen, dass sich über die Spielzeit von fast zwei Stunden ein vielschichtiges größeres Gesamtbild ergibt. Dabei gibt Graef keine schnellen Interpretationen vor, sondern überlässt es dem Zuschauer – ähnlich wie dem Betrachter von Rauchs Bildern – seine eigenen Schlüsse aus dem Gezeigten zu ziehen.