Chile/Argentinien/F/E/USA 2016 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Pablo Larraín Drehbuch: Guillermo Calderón Kamera: Sergio Armstrong Darsteller: Gael García Bernal, Luis Gnecco, Alfredo Castro, Mercedes Morán, Pablo Derqui u.a. |
||
Dichter und Gendarm: Gael García Bernal als Polizeipräsident auf Verfolgungsjagd des Dichters im Untergrund |
Der chilenische Regisseur Pablo Larraín hat einen Film über den chilenischen Dichter und Politiker Pablo Neruda (1904-1973) gemacht, über den Dichter Lateinamerikas im 20. Jahrhundert also, der vielen als die Stimme des Kontinents gilt und der 1971 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Pablo Neruda ist gleichermaßen für ausdrucksstarke Liebesgedichte, für dunkle surrealistische Traumpoesie und für klar links verortete politische Lyrik bekannt. Wie kaum ein anderer Dichter des 20. Jahrhunderts steht er für sozialpolitisches Engagement und poetische Authentizität in einem.
Bei der Annäherung an den großen Dichter folgt Larraín zusammen mit seinem Drehbuchautor, dem chilenischen Theaterautor Guillermo Calderón (bereits für das Drehbuch von Larraíns düster-abgründiger Priesterabrechnung El Club von 2015 mitverantwortlich) nicht einer faktenverhafteten Biopic-Formel, die chronologisch das Leben ihres Helden abspult. Dass Larraín keine Standard-Biopics macht, wissen die Kinogeher schon aus Jackie, Larraíns aktuellem Film über die Präsidentenwitwe Jackie Kennedy.
Für Neruda beschränken sich Larraín und sein Drehbuchautor auf eine recht kurze, dafür aber umso einschneidendere Phase im Leben des Dichters: Es beginnt mit dem Bann, den der chilenische Präsident González Videla (er war von 1946-1952 im Amt) über das Parlamentsmitglied Pablo Neruda 1948 ausspricht, nachdem dieser den von ihm mitgewählten Präsidenten aufgrund eines im Kontext des Kalten Krieges vollzogenen Kurswechsels nach rechts heftig kritisiert hat. Der Kommunist Neruda hatte insbesondere die Annäherung Videlas an die gegen alles Linke gerichtete politische Agenda der USA angeprangert. Es folgt das Verbot der kommunistischen Partei im September 1948 und damit die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Neruda, der sich der Verhaftung durch die Polizei entzieht und in den Untergrund geht, um dann 1949 über Argentinien nach Europa ins Exil zu flüchten. Es handelt sich um die Zeit, in der Neruda an seinem epochalen Werk »El Canto General« (dt. »Der Große Gesang«) arbeitet. Darin lässt er in einer unvergleichlichen Vermischung von poetischem Ton und politischer Dringlichkeit die Geschichte des lateinamerikanischen Kontinents von den präkolumbianischen Kulturen bis in Nerudas politische Gegenwart der Mitte des 20. Jahrhunderts vorüberziehen – eine Dichtung, die immer klar und kämpferisch Stellung bezieht wie in dem Gedicht »Die Feinde«, das im Film mit seinem insistierenden Refrain »ich fordere Strafe« (»pido castigo«) bei den Unterdrückten von Mund zu Mund geht und die Verbundenheit Nerudas mit dem einfachen Volk zeigt.
Innerhalb dieses faktisch abgesicherten Terrains errichtet Larraín einen faszinierenden Zwischenbereich des Zwielichts und der Ambivalenz.
Er zeigt uns Neruda, von dem Schauspieler Luis Gnecco mit einer erstaunlichen physiognomischen Treue zum historischen Vorbild verkörpert, als saturiert wirkendes Mitglied des hedonistischen Großbürgertums, das in einer unvergleichlichen Szene gleich zu Beginn des Films gar das Pissoir im Parlamentsgebäude des Nationalkongresses als champagnerselige Lounge zu erleben versteht. Immer wieder begegnen uns solche Zeichen eines verschwenderischen Genusses, etwa wenn wir Neruda bei einer Faschingsparty in der Maske von Lawrence von Arabien oder beim Bordellbesuch (und da befindet er sich schon im politischen Untergrund) sehen. Bei diesen Gelegenheiten verlangen, und das verstärkt die komische Dissonanz, seine Bewunderer zudem, dass er eines seiner bekanntesten melancholischen Liebesgedichte aus dem Frühwerk im Gestus des Rhapsoden rezitiert (aus »Zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung« aus dem Jahr 1924), eine Phase seines Werkes, die er im Grunde hinter sich gelassen hat und auf die er aber immer noch festgelegt wird.
An solchen ironischen Brechungen, die den Film insgesamt kennzeichnen, ist zu bemerken, dass Larraín der lateinamerikanischen Dichterikone keinesfalls in der Haltung der Anbetung und der Heiligenverehrung begegnet. Andererseits demontiert er ihn auch nicht und stürzt ihn einfach vom Sockel.
Vielmehr reizt er die gezeigten Widersprüche des privilegierten Kommunisten, der für die einfachen Leute eintritt und sogar im Untergrund, anders als die einfachen Parteimitglieder, den Luxus, Pomp und Glamour des großbürgerliche Milieus genießen kann, für ein schillerndes Vexierspiel der Kontraste aus.
Auch die bizarre Figur des Polizeipräsidenten Oscar Peluchonneau (es gab tatsächlich einen chilenischen Polizeipräsidenten dieses Namens im Jahr 1952) gehört zu den Brechungen, mit denen der Film arbeitet.
Gael García Bernal interpretiert die Rolle des Polizeipräsidenten in einer doppelbödigen Art, mit der er bereits in dem argentinischen Film Eva no duerme (von Pablo Agüero, 2015) über das Nachleben von Evita Perón einen argentinischen Militäroffizier spielte. Nämlich als fiebrig eifernden und gleichzeitig kalt abwägenden Spürhund, der in heimlicher Bewunderung an den politischen Feind gekettet ist, in dieser Aufgabe vor allem auch die Chance erkennt, sich beim Machthaber auszuzeichnen und auf perverse Weise am Ruhm des berühmten Dichters teilhaben zu können, indem er ihn zur Strecke bringt.
Larraín lässt diesen leitenden Ermittler und Verfolger Nerudas gar die dominante Rolle eines Erzählers übernehmen, der sich aus dem Off einschaltet und dabei vollends in eine glühende Selbstüberhöhung abdriftet, die sich aus der heimlichen Bewunderung für den Liebesdichter und Frauenhelden Neruda zu nähren scheint, während er den Kommunisten Neruda zutiefst verabscheut. Der häufig Posen und Gesten aus dem Film noir übernehmende Oscar Peluchonneau richtet sich zur quasi-mythischen Gestalt eines Polizeichefs im Dienst der Macht auf. Auch diese Figur schillert somit in einer vielschichtigen Ambivalenz aus Pathos und Ironie und kann sich am Ende aus der selbstgebastelten Verstrickung zwischen Kommentieren und Handeln nicht mehr befreien.
Einen entscheidenden Beitrag zur Zweideutigkeit der ironischen Brechung und Bewahrung des Pathos, in die Larraín die Gestalt des von der politischen Polizei im Untergrund verfolgten Dichters rückt, leistet auch die Arbeit des Kameramannes Sergio Armstrong, der bereits in El Club für eine unvergleichliche Atmosphäre der Trübnis sorgte. Mit Weitwinkelverzerrungen, Lens Blurs, Hintergrundunschärfen und im Gegenlicht verschwimmenden Einstellungen gelingt es diesem Kameravirtuosen, auch in Neruda den digitalen Bildern eine ganz eigene Materialhaftigkeit und eine stoffliche Plastizität zu geben. So macht er das vielsagende Oszillieren der Bilder zu einem besonderen visuellen Ereignis, das dem schillernden Zwielicht dieses Neruda-Porträts die fiebrigen Konturen einer Phantasmagorie verleiht.