Neneh Superstar

Frankreich 2022 · 98 min. · FSK: ab 6
Regie: Ramzi Ben Sliman
Drehbuch:
Kamera: Antony Diaz
Darsteller: Oumy Bruni Garrel, Maïwenn, Aïssa Maïga, Steve Tientcheu, Cédric Kahn u.a.
Filmszene »Neneh Superstar«
Wichtige Signale der Ermutigung und Diversität
(Foto: Weltkino)

Traum in Schwarz und Weiß

Ramzi Ben Slimans schwungvoller Familienfilm über ein zwölfjähriges, schwarzes Mädchen aus einer Pariser Vorstadt, das an der Ballettschule der Oper aufgenommen wird, erzählt auch über Standesdünkel, Neid und Rassismus

Die zwölf­jäh­rige Neneh (Oumy Bruni Garrel) wohnt mit ihrer Mutter Martine (Aissa Maiga) und ihrem Vater Fred (Steve Tientcheu) in den Pariser Banlieues. Das hoch­ta­len­tierte schwarze Mädchen tanzt mit ihren Freun­dinnen gerne HipHop und hat einen großen Traum: Sie will Prima­bal­le­rina werden. Ihre Eltern haben zwar nicht viel Geld, unter­s­tützen aber Nenehs Wunsch nach Kräften. Als das Mädchen die schwie­rige Aufnah­me­prü­fung an der Ballett­schule der Pariser Oper schafft, ist es über­glück­lich. Der Abschied aus der vertrauten Vorstadt fällt Neneh schwer, denn für die Ausbil­dung muss sie ins Internat wechseln.

In der Schule wartet ein harter Trai­nings­alltag mit vielen Übungs­stunden, vor allem aber stößt sie dort auf große Wider­s­tände, Neid und rassis­ti­sche Belei­di­gungen. Fast alle ihrer Mitschü­le­rinnen, die aus wohl­ha­benden weißen Familien stammen, diskri­mi­nieren sie oder schmieden Intrigen. Und ein besonders tradi­ti­ons­be­wusster, stets schlecht gelaunter Lehrer möchte sie sofort loswerden. Ihre härteste Wider­sa­cherin aber ist ausge­rechnet die Schul­di­rek­torin Marianne Belage (Maïwenn), eine frühere Ballet­ti­kone, die inzwi­schen recht verbit­tert wirkt. Trotz des großen Drucks lässt sich die hart­nä­ckige Neneh nicht so schnell unter­kriegen.

Die Ausgangs­kon­stel­la­tion weckt Erin­ne­rungen an einen berühmten Teenager-Tanzfilm: Stephen Daldrys Debütfilm Billy Elliot – I Will Dance. Erzählte er vor 23 Jahren von den Ballett­am­bi­tionen eines briti­schen Jungen aus der Arbei­ter­klasse, der sich vor allem gegen die Vorbe­halte seiner Berg­ar­bei­ter­fa­milie durch­setzen muss, so handelt der zweite lange Film des fran­zö­si­schen Regis­seurs Ramzi Ben Sliman von einer Pariser Arbei­ter­tochter, die sich mit dem Backup ihrer Eltern gegen Stan­des­dünkel und Rassismus an der wahr­schein­lich berühm­testen Ballett­schule der Welt behaupten will.

Von einem weiteren Film­klas­siker hat sich der Filme­ma­cher anregen lassen: dem char­manten Anima­ti­ons­film Kiriku und die Zauberin (1998) von Michel Ocelot, der erzählt, wie der intel­li­gente afri­ka­ni­sche Dorfjunge Kirikou die böser Zauberin Karaba über­listet und erlöst. »Neneh ist auch Kirikou, das Kind, das Karaba den Dorn entfernt«, sagt Sliman. So wie einst Karaba von bösar­tigen Menschen malträ­tiert wurde und sich dafür an Unschul­digen rächt, gibt auch Marianne als Direk­torin das durch Diskri­mi­nie­rungen erlittene Leid gleichsam an die nächste Gene­ra­tion weiter.
Sliman und sein Team haben in Paris offenbar fleißig recher­chiert und zaubern so ein stimmiges Bild vom aufrei­benden Alltag in einer renom­mierten Ballett­schule, der von endlosen Übungen, Muskel­kater und Konkur­renz­kampf geprägt ist. Für die ebenso ausführ­li­chen wie mitreißenden Tanz­se­quenzen von Neneh und der anderen Ballett­küken wurde eigens der erfahrene Choreo­graph Mehdi Kerkouche engagiert.

Zugleich zeigt Neneh Superstar den schwie­rigen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess der »École de Danse de l’Opéra national de Paris«, die sich um Diver­sität bemüht, aber mit starken internen Behar­rungs­kräften rechnen muss. Diese kris­tal­li­sieren sich vor allem in Marianne, die in einer Sitzung des Diszi­pli­nar­aus­schusses nach einem Eklat mit Neneh sagt: »Wir sind noch immer die Garanten des weißen Balletts.« Sliman reflek­tiert die insti­tu­tio­nellen Ausrich­tungs­kon­flikte insbe­son­dere in den Streit­ge­sprächen zwischen der Schul­di­rek­torin und dem Opern­di­rektor, der für mehr Vielfalt eintritt und seine schüt­zende Hand über die begabte Außen­sei­terin Neneh hält.

Slimans schwung­voller Kinder- und Fami­li­en­film lebt vor allem von den starken Darstel­ler­leis­tungen. Mit der jungen Oumy Bruni Garrel hat er ein sehr talen­tiertes Tempe­ra­ments­bündel entdeckt, das nicht nur souverän spielt, sondern auch frap­pie­rend gut tanzt – klas­si­sches Ballett im Studio ebenso gut wie modernen Hiphop auf der Vorstadt­straße. Die 2008 im Senegal geborene Adop­tiv­tochter der bekannten fran­zö­si­schen Schau­spieler Valeria Bruni Tedeschi und Louis Garrel, die zuvor schon in kleinen Rollen in zwei Filmen ihrer Eltern (Les Estivants, 2018, und La Croisade, 2021) vor der Kamera stand, übernimmt hier ihre erste Haupt­rolle und meistert die Heraus­for­de­rungen bravourös.

Bemer­kens­wert ist vor allem die Energie, die ihre Neneh aufblitzen lässt, wenn sie sich gegen erlit­tenes Unrecht empört und selbst­be­wusst bis vorlaut ihre Ansprüche geltend macht, etwa als sie der von ihr bewun­derten Direk­torin wider­spricht und für eine Schul­vor­füh­rung von »Schwa­nensee« wie selbst­ver­s­tänd­lich die Haupt­rolle bean­sprucht. Von diesem Ausnah­me­ta­lent wird man sicher schon bald mehr sehen.

Nenehs Anta­go­nistin Marianne wird von der Charak­ter­dar­stel­lerin Maïwenn verkör­pert, die inzwi­schen auch mehrfach erfolg­reich Regie geführt hat, etwa bei Poliezei (2012). Sie spielt die unnahbare und strenge Schul­di­rek­torin, die stets sehr gerade steht, als unter­kühlten Eisblock, der erst Risse zeigt, als durch ein Interview eines enga­gierten Jour­na­listen ihr jahr­zehn­te­lang verbor­genes Geheimnis ans Tages­licht gelangt. Sliman, der auch das Drehbuch verfasst hat, hat nach eigener Aussage diese markante Figur und den Film für Maïwenn geschrieben – aller­dings hat er versäumt, Marianne den nötigen Tiefgang zu geben. Viel zu lange muss sich die Darstel­lerin mit der klischee­haften Fassade einer miss­güns­tigen Ballett-Schreck­schraube begnügen. Als Marianne sich dann durch Miss­ge­schick verletzt und für längere Zeit schach­matt­ge­setzt ist, vollzieht sie eine Kehrt­wende, die zwar dem Film zu einem versöhn­li­chen kind­ge­rechten Schluss verhilft, aber so abrupt ausfällt, dass sie kaum noch glaubhaft wirkt.

Allzu sche­ma­tisch sind auch Nenehs Eltern­fi­guren angelegt, die sich stets soli­da­risch mit ihrer ehrgei­zigen Tochter verhalten, ihre Fehl­tritte verzeihen und weder Kosten noch Mühen scheuen, um ihr die teure Ausbil­dung zu ermög­li­chen. Ein weiterer Schwach­punkt der Insze­nie­rung ist die Vorher­seh­bar­keit der geradezu märchen­haft kompo­nierten Helden­reise der Prot­ago­nistin, die zwar etliche Krisen und Rück­schläge verschmerzen muss, aber am Ende erwar­tungs­gemäß trium­phiert. Insgesamt also ein durch­wach­senes Werk, das trotz insze­na­to­ri­scher Mängel wichtige Signale der Ermu­ti­gung und Diver­sität setzt.