USA 2014 · 119 min. · FSK: ab 16 Regie: Dan Gilroy Drehbuch: Dan Gilroy Kamera: Robert Elswit Darsteller: Jake Gyllenhaal, Rene Russo, Riz Ahmed, Bill Paxton, Ann Cusack u.a. |
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…vielleicht ist der Preis auch manchmal zu hoch |
Gerade mit seinen letzten Filmauftritten strafte Jake Gyllenhaal all jene Lügen, die in ihm nicht mehr als einen halbwegs talentierten Mimen sehen. Einen passablen Darsteller eben, bloß ohne allzu große Ambitionen. Spätestens in Denis Villeneuves rätselhaftem Psychodrama Enemy durfte der US-Schauspieler die ganze Palette seines Könnens abrufen und sich in einer komplexen Doppelrolle austoben, die vor allem die Brüchigkeit der Identität umkreiste. Von einer Selbstfindung handelt auch sein neuestes Werk, das jedoch nicht so sehr psycho-sexuelle Abgründe seziert, sondern unsere außer Kontrolle geratene Mediengesellschaft und die Auswüchse des kapitalistischen Arbeitsmarktes. Wer bin ich? Wer will ich sein? Und was bin ich bereit, zu tun, um meine Ziele zu erreichen? All diese Fragen sind im Regiedebüt des Drehbuchautors Dan Gilroy ständig präsent und fließen in einer abstoßenden, zugleich aber seltsam faszinierenden Hauptfigur zusammen, die ein wenig an Travis Bickle aus Taxi Driver denken lässt.
Ähnlich wie Martin Scorseses ruheloser Großstadträcher bewirbt sich der von Gyllenhaal grandios verkörperte Lou Bloom gleich in den ersten Minuten um einen Job, jedoch mit gänzlich anderem Ausgang. Der motiviert auftretende Gelegenheitskriminelle wird abgewiesen. Und das nicht zum ersten Mal, wie sein eindringlicher Vortrag vermuten lässt, bei dem er auswendig gelernte Arbeitsplattitüden aneinanderreiht. Lou will hoch hinaus, weiß zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, wie er seine Ausdauer und Lernwilligkeit sinnvoll einbringen kann. Der Markt scheint verschlossen. Hat für ihn, der am Rande der Gesellschaft steht, keine vernünftige Verwendung. Weshalb der junge Mann sein Glück schließlich selbst erzwingt. Als er bei einem ziellosen Streifzug durch Los Angeles auf einen freischaffenden Kameramann trifft, der Unfall- und Tatortbilder an lokale TV-Sender verkauft, hat sein Schattendasein mit einem Mal ein Ende. Angefixt von dieser zweifelhaften Tätigkeit, legt sich Lou eine rudimentäre Ausrüstung zu und taucht fortan Nacht für Nacht in die Straßen der Metropole ab. Trotz kleiner Startschwierigkeiten kann er schon bald die Aufmerksamkeit der Nachrichtenchefin Nina (Rene Russo) gewinnen und ist auf der Suche nach immer spektakuläreren Aufnahmen irgendwann bereit, alle Grenzen zu überschreiten.
Am Anfang stehen ruhige Bilder der nächtlichen Großstadt, die durch latent bedrohliche Klänge auf der Tonspur allerdings umgehend ihren friedlichen Zauber verlieren. Das Unheil kündigt sich an. Wirft seine Schatten voraus. Ist hier aber noch schwer zu fassen. Ebenso wie der enigmatische Protagonist, dessen äußeres Erscheinungsbild – eingefallene Wangen, tiefe Ränder unter den Augen, hängende Schultern – an einen Vampir erinnert. Abwegig ist diese Assoziation nicht. Immerhin entpuppt sich Lou recht schnell als eine emsige Nachtgestalt, die sich vom Leid anderer ernährt. Im Grunde erzählt Gilroy eine klassische amerikanische Aufsteigergeschichte, entzieht ihr aber alle positiven Konnotationen. Beeindruckend sind dabei nicht so sehr die Wendungen der Handlung, die relativ vorhersehbar bleiben, sondern die Konsequenz, mit der Nightcrawler auf seinen bitterbösen Höhepunkt zusteuert.
Lou, in dessen Perspektive uns der Film unaufhörlich zwängt, taugt keineswegs als Sympathieträger, verwandelt sich, ungeachtet seiner Besessenheit, aber ebenso wenig in ein schäbiges Monster. Der Antrieb seiner Handlungen sind immer noch menschliche Regungen wie das Streben nach Anerkennung, die jeder von uns empfindet. Freilich nicht in derart zerstörerischem Maße. Vielleicht ist man einfach nur bereit, seinem verheerenden Treiben zu folgen, weil er uns selbst den Spiegel vorhält. Unseren Voyeurismus freilegt. Unsere Neugier und unser Verlangen nach spektakulären Katastrophenbildern. Denn genau genommen ist dieser Sensationschronist ein handfestes Produkt der Gegenwart. Einer Zeit, die durchdrungen scheint von Erregungsmechanismen. In der unzählige Medien und Plattformen um Aufmerksamkeit konkurrieren und wir alle jederzeit zu Leser-Reportern avancieren können.
Dass Lou Teil eines übergeordneten Systems ist, unterstreicht Gilroy mit seiner provokant-beißenden, von der Realität aber nicht weit entfernten Darstellung des Fernsehalltags. Moralische Bedenken spielen im Kampf um die Quote eigentlich keine Rolle. Tauchen sie doch einmal auf, werden sie sofort beiseite gewischt. Interessant ist für die Nachrichtenveteranin Nina einzig und allein die Frage, ob sie mit dem vorliegenden Bildmaterial in rechtliche Schwierigkeiten geraten könnte. Überhaupt zeichnet der Film die Medienakteure als manipulativ-zynische Zeitgenossen, die nicht davor zurückschrecken, fortlaufend Aufnahmen von Mordopfern zu kommentieren oder eigene Geschichten zu konstruieren – beispielsweise mit Blick auf die städtische Gewalt, die angeblich unaufhaltsam in die von weißen Bürgern bewohnten Vororte kriecht.
Auch wenn Nightcrawler am Ende des Tages keine wirklich neuen Einsichten zum Verhalten der Massenmedien bietet, wertet die schonungslose Zeichnung der Branche den ungemein sogartigen Thriller entscheidend auf. Brillant ist darüber hinaus, wie es dem Regiedebütanten immer wieder gelingt, seinen abgründigen Stoff mit tragisch-komischen Einschlägen zu versehen. Etwa wenn Lou seine Mentorin Nina zu einem Date in ein Restaurant einlädt und nach einer klaren Abfuhr im persönlichen Gespräch einfach gemeinsamen Sex erpressen will. Der junge Mann scheint sich nach menschlicher Nähe zu sehnen, ist aber nicht in der Lage, seine Wünsche angemessen vorzutragen. Wie er es in seinen Online-Management-Kursen gelernt hat, betrachtet der Soziopath alles unter einem Kosten-Nutzen-Aspekt und wirkt, bar eines gesunden Gefühlslebens, nicht nur in dieser Szene fast schon bemitleidenswert.
Noch ist Dan Gilroys düstere American-Dream-Variante bloß eine hervorragend gespielte, unbequeme und beunruhigende Independent-Produktion. In einigen Jahren könnte sie sich aber schon zu einem Kultfilm gemausert haben. Was den Beteiligten allemal zu wünschen wäre.