Chile/F/USA 2012 · 118 min. · FSK: ab 6 Regie: Pablo Larraín Drehbuch: Pedro Peirano Kamera: Sergio Armstrong Darsteller: Gael García Bernal, Alfredo Castro, Luis Gnecco, Antonia Zegers, Marcial Tagle u.a. |
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Revolte macht müde, aber glücklich |
Pablo Larrain hätte sein Epos No! über das Referendum, das 1988 zum Ende Pinochets führte, auf Hochglanz trimmen können. Er hätte mit der nötigen technischen Raffinesse die Historie aufleben lassen und den Zuschauer mit einem überbordenen Stil an Kostümen und Ausstattung etwa in diese düstere Epoche entführen können. Ein Revival der 80er Jahre eben. Hat der chilenische Regisseur aber nicht.
Das Umblättern von Buchseiten, das Spulen eines Videobandes – vieles wirkt in diesem Film handgemacht und wird einer Zeit, wo die Kunst des Improvisieren überlebensnotwendig ist, durchaus gerecht. Tatsächlich hat Kameramann Sergio Armstrong die Szenen auf einer für die 80er Jahre typischen Umatic-Kamera gedreht, so gehen Spielfilmszenen nahtlos in Archivaufnahmen über. Für Cineasten sind die grobkörnigen, unscharfen Bilder erstmal harte Kost, bald schon ein interessantes Experiment.
Selbstsicher bewegt sich der junge Werbefachmann René Saavedra (Gael Garcia Bernal) in dieser (Medien-)Welt des Scheins und Seins; ausgerechnet an ihn, der Spots für Softdrinks nach amerikanischer Vorlage dreht, wird die No!-Kampagne herangetragen. In einem unter-vier-Augen-Gespräch unterbreitet ihm der Kommunist Luis Gnecco (José Tomás Urrutia), der Opposition ständen im staatlichen Fernsehen einen Monat jeden Abend 15 Minuten zur Verfügung, um mit einem No! gegen Pinochets Regime zu protestieren und den Weg für freie Wahlen in Chile zu ebnen. Anschließend würde Pinochets Team mit einer Si!-Kampagne antworten. Dass das Referendum eine reine Formsache sei, glaubten selbst die Befürworter der No!-Kampagne. Denn der Umsturz des Diktators, der sein Volk ebenso unnachgiebig wie umschmeichelnd an der Kandarre hält, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Bislang hatte sich Saavedra aus der Politik rausgehalten; jetzt jedoch ist sein Ehrgeiz entfacht.
Diese spröde Ausgangssituation, der Organisation einer Werbekampagne, führt Larrain in dem Politthriller No! zu spannenden Fragen. Wie verzahnt sind Werbung, Marketing und Politik? Welche Spielräume haben demokratische Kräfte in einem diktatorischen System? Und wieso um Himmelswillen übernimmt ausgerechnet Saavedra diesen Job? Schnell erzählt No! eine elektrisierende Geschichte. Von einem Duell zweier Systeme, von einem Schlagabtausch zweier Männer – zwischen Saavedra und seinem Kontrahenten, dem Werber Lucho (Alfredo Castro). Zwei einsame, gebrochene Figuren, Kinder ihrer Zeit.
Regisseur Pablo Larrain setzt in No! seine filmischen Mittel (so auch Kostume und Ausstattung) sparsam ein. In einer Szene etwa, trifft sich ein Minister aus der Altherrenriege Pinochets mit dem regimetreuen Medienmacher Lucho. Dieser soll ihm Informationen über die No!-Kampagne liefern. Während ihrer Unterredung in Garten, wohl einer Residenz Pinochets, schält der Minister eine Orange und legt die Schalen nonchalant auf einer Kanone ab. Zunächst irritiert, dann aber ganz pragmatisch entsorgt Lucho die Orangenschale in den Kanonenschacht. Das Gespräch geht weiter. Ein Bild für Pinochets desolaten Machtapparat, der bereits in Begriff ist, sich von innen aufzulösen. Denn, obwohl sich die No!-Aktivisten flüsternd in irgendwelchen Ecken besprechen, schlagen sie schnell und ideenreich dem Gegner ein Schnippchen – trotz aller Rückschläge und Einschüchterungen oder trotz strengster polizeilicher Überwachung. So zieht die No!-Bewegung immer weitere Kreise und ihre Botschaft »Ja, freie Wahlen sind in diesem Land möglich« kommt in der Mitte der Bevölkerung an.
Regisseur Pablo Larrain geht in seinem Film konzentriert vor, er beherrscht die Kunst des Weglassen und verliert sich nicht in Folter- und Gewaltszenen. Zusammen mit Tony Manero (2008) und Post Mortem (2010) hat er eine Triologie über die Zeit während der Diktatur Pinochets geschaffen und sich daran mit düsteren Bildern und dunklem Humor abgearbeitet. (Es wäre wunderbar, die Triologie insgesamt einmal in deutschen Kinos zu sehen). Trotzdem ist die Bedrohung, Pinochets kalter Atem, im Nacken der Widerständler ständig zu spüren.
Letztendlich schließt Pablo Larrain mit No! auch an den Geist der weltweiten Protestbewegungen wie dem Arabischen Frühling oder der »Empört euch«-Bewegung an; dann ist No! nicht nur ein Epos oder ein Politthriller, sondern ein Manifest. Mit der Botschaft, dass der Umsturz eines menschenverachtenden Staats möglich ist. Was darüber hinaus bleibt, ist ein Staunen. Darüber, dass eine Diktatur demokratisch, ohne einen Staatsstreich, abgewählt wurde.