USA 2014 · 138 min. · FSK: ab 12 Regie: Darren Aronofsky Drehbuch: Darren Aronofsky, Amy Herman Kamera: Matthew Libatique Darsteller: Russell Crowe, Jennifer Connelly, Emma Watson, Douglas Booth, Logan Lerman u.a. |
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Der alte Mann und die Flut |
Darren Aronofsky tut so, als sei er der Querdenkerischste, den Hollywood heute so zu bieten hat – und manche fallen darauf rein. Er dreht Filme über Mathematik und Wahnsinn (Pi), Drogen und Wahnsinn (Requiem for a Dream), Wissenschaft und Wahnsinn (The Fountain), Showgeschäft und Wahnsinn (The Wrestler) und Kunst und Wahnsinn (Black Swan), und findet sich bei alldem wahnsinnig cool. Nun versucht der Regie-Hipster, sich an einem 125-Millionen-Dollar teuren Blockbuster über Religion und Wahnsinn. Das konnte nicht gutgehen.
»Die Fäulnis auf diesem Planeten ist für jeden sichtbar. Pflegen wir unseren Garten, wie die Bibel uns auffordert? Sicher nicht. Im 3. Buch Mose sind wir aufgefordert, das Land jedes siebente Jahr ruhen zu lassen. Tun wir das?« Und so weiter. So redet Darren Aronofsky in Interviews. Da ahnt man schon, was er uns in seinem neuen Film zumuten wird: Eine moralisierende Predigt, ohne Selbstzweifel und fundamentalistisch. Unangenehm.
Der Held in Noah ist ein schwer erträglicher, sturer Miesepeter. Die Welt mag er nicht besonders. Die Menschen, ihre Kultur und Zivilisation verachtet und verabscheut er.
Aber eins nach dem anderen. Bei genauerem Nachdenken verwundert es ja erst einmal, dass die Geschichte des alttestamentarischen Stammvaters Noah bislang noch nie für das Kino verfilmt wurde. Das einzige Mal, das im Gedächtnis bleibt, war John Hustons Auftritt in dem von ihm selbst inszenierten, nun auch bald ein halbes Jahrhundert altem episodischem Monumentalfilm Die Bibel (1966). Daneben ist nur noch einer der ersten Tonfilme, Michael Curtiz' Noah’s Ark von 1928, erwähnenswert, der die biblische Handlung mit einer Episode aus dem Ersten Weltkrieg und die Sintflut mit der »Flut aus Blut« des Grabenkriegs parallelisiert. Überraschend ist diese Lücke, da der biblische Stoff doch nahezu alles zu bieten scheint, das ein breites Publikum anspricht: Schauwerte, einen apokalyptischen Weltuntergang, eine starke Heldenfigur und eine klare moralische Botschaft. Einziger Wermutstropfen: Der Ausgang der Geschichte ist bekannt und das Figurenpersonal ist weitaus begrenzter als im ähnlich gelagerten Fall der Geschichte der »Titanic«.
Dies mögen wohl in etwa auch die Überlegungen von Darren Aronofsky gewesen sein, der die Geschichte von Noah und der Arche angeblich bereits seit seinen Tagen als Filmstudent verfilmen wollte. Und auch, wenn dieser monumentale Kostümfilm aus einer vorgeschichtlichen Frühzeit auf den ersten Blick eine kaum naheliegende Wahl für diesen Regisseur gewesen sein mag, fügt sich der fertige Film dann doch überraschend gut in dessen bisheriges Werk: Ein zeitloser kosmischer Schöpfungsmythos wie der esoterische New-Age-Schinken The Fountain, überbordende, wilde, mitunter psychodelische Bilder für innere Erlebnisse wie in Heroin-Drama Requiem for a Dream (Aronofskys bester Film), ein Held, der seine besten Tage schon hinter sich hat, und ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein scheint, wie The Wrestler und dessen esoterisch grundierte, sture Paranoia wie in Pi oder Black Swan – eigentlich passt Noah gut zu diesem Regisseur, der stärker inhaltlich orientiert ist als stilistisch, und der in seiner Arbeit eine Ernsthaftigkeit und Detailbesessenheit und gelegentliche Selbstbesoffenheit an den Tag legt, die im derzeitigen Hollywood ungewöhnlich ist. Aronofsky hatte schon immer einen Hang zur mythischen Überhöhung. Er ist kein Regisseur feinerer Nuancen, sondern der groben krassen Klötze, des dramaturgischen und visuellen Exzesses, der archaischen Werte.
Das Ergebnis kann trotz aller Anstrengung bestenfalls teilweise überzeugen: Die größte Stärke von Noah liegt in seiner Bilderkraft. Die klotzige, in ihrer Form so gar nicht einem Schiff, sondern eher einem Riesencontainer ähnelnde Arche auf einem Ozean ohne Küsten prägt sich ebenso sehr ins Gedächtnis des Zuschauers ein wie göttliche Wunder, bei denen eine Wüste in Sekunden in einen blühenden Regenwald verwandelt wird, oder das viele Minuten dauernde Anschwellen der Sintflut – ohne die Mittel und den exzessiven Gebrauch modernster Computertechniken wäre dieser Film nicht möglich. Der Rest allerdings: Biedere Pflichtübungen. Aronofsky interessiert sich nicht für Bilder, sondern für Thesen.
Damit der Film trotzdem nicht nach wenigen Minuten vorüber ist, dehnt Aronofsky die Handlung aus und widmet sich ausführlich ihrer Vorgeschichte: Noahs biblische Genealogie von Set, dem dritten, besonders gottesfürchtigen Sohn Adam und Evas, wird noch vergleichsweise schnell und im Rahmen der Konventionen erzählt. Als er jedoch beginnt, die Noah-Figur zu psychologisieren und hierzu deren persönliches Urerlebnis, die Ermordung des Vaters durch Nachkommen von Kain, schildert, begibt sich Aronofsky, der auch das Drehbuch schrieb, aufs Gelände freier Spekulation. Auch im Folgenden fällt auf, dass Aronofsky die biblische Handlung nicht nur erweitert, sondern sie modernisiert und darin überdeutlich interpretiert und in Teilen umschreibt. So erfindet der Regisseur einen über Generationen währenden menschheitsgeschichtlichen Grundkonflikt zwischen dem »Stamm Kains«, der sich von Gott losgesagt hat und sündhaft lebt, was sich vor allem darin zeigt, dass dessen Angehörige Jäger und Fleischesser sind. Die dagegenstehenden unschuldigen Nachfahren Sets sind gottesfürchtige Sammler, Pazifisten und Vegetarier. Mehrfach erklärt Noah seinen noch etwas Überzeugungsarbeit brauchenden Söhnen, sie mögen doch die Blumen stehen lassen, schließlich seien auch diese Geschöpfe Gottes: »Wir sammeln nur, was wir brauchen.«
Aronofsky grundiert die vorgeschichtliche Handlung also mit überaus aktuellen politischen Botschaften: Vegetarismus und ökologischer Puritanismus sind die zentralen Gebote dieses Films, eine als Liebe zur Natur und zum Ursprünglichen verbrämte Stadtfeindschaft – »Vor uns liegen Städte. Davon halten wir uns fern« –, Zivilisationsabneigung und ein grundsätzlicher Kulturpessimismus durchziehen diesen Film, der, wo es geht, Partei fürs Primitive,
Antihumane nimmt, und mit der Sintflut, verstanden als moralischer Säuberungsakt Gottes, sympathisiert: Wer sündigt (und dafür genügt Fleischverzehr), das sagt dieser Film recht unverblümt, hat den Tod verdient.
Selbst Technik ist Noahs Sache kaum. Dass er die Arche dennoch bauen und schwimmfähig machen kann, verdankt er der übermenschlichen Hilfe der »Wächter«. Diese Gestalten entlehnt Aronofsky aus einer Episode der Apokryphen: Gefallene Engel, deren promethische Rebellion
gegen Gott bestraft wird.
Der Gipfel von Aronofskys Umschreibung der Noah-Geschichte ist aber dessen Plan zur Ausrottung der Menschheit, die in seinen Augen der Erde nur Übles getan hat: Denn auch wenn in der Bibel noch von »den Frauen seiner Söhne« die Rede ist, gibt es deren hier nur eine – die von Noah bewusst wegen ihrer Unfruchtbarkeit gewählte Ila. »Wir werden unsere Aufgabe erfüllen und dann sterben«, ist Noahs Plan, und als Ila durch eine Art göttliches Wunder dann Zwillinge gebiert, will er diese töten. Achtung vor der Natur paaren sich in dieser Filmfigur mit gewalttätigem moralischem Rigorismus.
Aronofsky glaubt damit offenbar das mausetote Genre des Bibelfilms wieder zum Leben zu erwecken. Tatsächlich ist Noah eher ein christliches Fantasy-Stück, und zwar ein christlich-fundamentalistisches. Das ist kein »frischer Blick« auf die biblische Geschichte um Noah, sondern deren Umschreibung und Verfälschung: Bei Aronofsky wird daraus eine Version der Schöpfungsgeschichte, die an einen Werbeclip für »Intelligent Design« erinnert.
Aronofskys Noah ist ein über weite Strecken moralisierender, von aggressivem, unduldsamem Ökologismus getriebener Film, der eine ästhetisch wie moralisch schwer erträgliche Heldenfigur präsentiert: Ein Rechthaber, Kontrollfreak und harter Übervater, der Frau und Kinder kommandiert, sich in der Art eines Sektenführers in jeden Lebensbereich seiner Mitmenschen einmischt, und dessen Dialogsätze klingen wie eine fundamentalistische Predigt: »Die Zeit der Sünde ist vorbei. Nun kommt die Zeit der Bestrafung.« Unterlegt mit Musik, die ethnopluralistisch und kosmisch klingen soll, wird ein völlig humorfreier Film erzählt, der zwar immerhin eindrucksvolle Bilder bietet, darüber hinaus aber nur pure Ideologie.