Norwegian Dream

Norwegen/PL/D 2023 · 98 min. · FSK: ab 12
Regie: Leiv Igor Devold
Drehbuch: , ,
Kamera: Patryk Kin
Darsteller: Hubert Milkowski, Karl Bekele Steinland, Øyvind Brandtzæg, Izabella Dudziak, Edyta Torhan u.a.
Filmszene »Norwegian Dream«
Bestechende Inszenierung...
(Foto: Salzgeber)

Ein Traum vom Glück im hohen Norden

Ein junger homosexueller Migrant aus Polen gerät in dem einfühlsamen Außenseiterdrama während seines Jobs in einer Fischfabrik in Norwegen in eine doppelte Zwickmühle

Der 19-jährige Pole Robert (Hubert Milkowski) hat in einer Fisch­fa­brik nahe Trondheim eine Arbeits­stelle gefunden. Im benach­barten Arbei­ter­wohn­heim teilt er sich ein karges Doppel­zimmer mit dem ruppigen Landsmann Marek (Jakub Sieren­berg) teilen. Die Arbeit ist hart und trägt Züge von Ausbeu­tung. Die Kollegen sind raubei­nige Kerle, die mit Macho-Sprüchen um sich werfen. In Norwegen will Robert viel Geld verdienen, um die Schulden seiner hoch­ver­schul­deten Mutter zu tilgen. Doch dann verliebt sich Robert in den smarten Ivar (Karl Bekele Steinland), den dunkel­häu­tigen Sohn des Fabrik­be­sit­zers. Ivar lebt offen schwul und jobbt nebenbei bei Dragshows. Aus Furcht vor Diskri­mi­nie­rung will Robert seine sexuelle Orien­tie­rung geheim halten. Doch als die Gewerk­schaft zum Streik gegen die schlechten Arbeits­be­din­gungen aufruft, steht Robert vor einem Dilemma. Streikt er mit, wird er womöglich entlassen. Bricht er den Streik, stellt er sich gegen die Kollegen und gefährdet die aufkei­mende Romanze mit Ivar.

Das melan­cho­lisch gefärbte Sozi­al­drama des Regis­seurs Leiv Igor Devold trägt unüber­sehbar persön­liche Züge. Devold wurde in Warschau geboren, wuchs aber in Oslo auf. Er hat die Film­schule in Lodz absol­viert und etliche Doku­mentar- und Kurzfilme geschrieben, gedreht und produ­ziert. Derzeit arbeitet er als außer­or­dent­li­cher Professor am Depart­ment of Art and Media Studies der Norwegian Univer­sity of Science and Tech­no­logy in Trondheim. »Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in Norwegen verbracht, aber mein Herz gehörte immer Polen«, sagt der Filme­ma­cher in einem Statement für den deutschen Film­ver­leih.

Das Drehbuch von Justyna Bilik, Gjermund Gisvold und Radoslaw Pazocha kombi­niert geschickt zwei Konflikt­stränge: ein schwules Coming Out und ein düsteres Arbei­ter­drama. Die zurück­hal­tende Insze­nie­rung enthüllt erst nach einiger Zeit, warum Robert so in sich gekehrt ist, oft den Blick senkt und sich aus den oft alko­hol­ge­tränkten Wort­ge­fechten zwischen den Kollegen heraus­hält. In seinem Heimat­land wurde Robert wegen seiner homo­se­xu­ellen Neigungen verfolgt und in einen tragi­schen Zwischen­fall verwi­ckelt. Doch Hass und Vorur­teile verfolgen den jungen Mann auch ins wohl­ha­bende Norwegen. Die angeblich so liberale Gesell­schaft ist nicht überall so fort­schritt­lich: Im männer­do­mi­nierten Mikro­kosmos der Fabrik gedeihen unter­schwellig offenbar recht gut noch immer homophobe Vorur­teile. Und die erhöhen den Druck auf Robert, der sich verpflichtet fühlt, seine labile arbeits­lose Mutter zu versorgen, und unter­graben seinen Traum vom privaten Glück und einem besseren Leben im Ausland.

Ohne allzu plakativ zu werden, skizziert Devolds Spiel­film­debüt mit dem ironi­schen Titel zugleich die mise­ra­blen Arbeits­be­din­gungen und die chro­ni­sche Ausbeu­tung in der Fisch­fa­brik. Als die Gewerk­schaft einen Streik ausruft, stellt Ivars skru­pel­loser Vater auf die Schnelle eine Truppe aus Streik­bre­chern zusammen. Dass sich der selbst­be­wusste Adop­tiv­sohn auf die Seite der Strei­kenden stellt, macht die drama­tur­gi­sche Konstel­la­tion umso reiz­voller.

Während die Story in den konven­tio­nellen und teils vorher­seh­baren Struk­turen eines Coming-Out-Dramas verharrt, besticht die ruhige Insze­nie­rung durch starke Darstel­ler­leis­tungen und imposante Aufnahmen der Fjord­land­schaft, die der Kame­ra­mann Patryk Kin oft in grauen Herbst­farben festhält. Die jungen Haupt­dar­steller Hubert Milkowski, bekannt aus der Netflix-Serie Das Grab im Wald (2020), und Karl Bekele Steinland, ein talen­tierter Thea­ter­mime, agieren über­zeu­gend als Außen­seiter, die auf ein Leben ohne Furcht vor homo­phober Gewalt hoffen. Für seine Leistung als Robert wurde Hubert Milkowski auf dem LGBTQ-Film­fes­tival in Cardiff 2023 als bester männ­li­cher Darsteller ausge­zeichnet.