Australien 2021 · 98 min. · FSK: ab 6 Regie: JJ Winlove Drehbuch: JJ Winlove Kamera: Hugh Miller Darsteller: Noni Hazlehurst, Claudia Karvan, Stephen Curry, Nash Edgerton, Brendan Donoghue u.a. |
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Konfrontationstherapie auf allen Ebenen | ||
(Foto: Happy Entertainment/24 Bilder) |
Australische Debütfilme habe es in sich. Als vor zwei Jahren Shannon Murphy in ihrem Langfilmdebüt zeigte, dass man einen »Krebsfilm« auch ernst, überraschend, komisch und befreiend zugleich inszenieren kann, war das ein wirklicher Segen. Nun zegt JJ Winlove in ihrem Debüt, dass man auch das Thema „Demenz“ ganz ähnlich inszenieren kann wie Murphy damals Milla meets Moses.
Denn auch Noch einmal, June macht einiges anderes als etwa Demenz-Arbeiten wie Sarah Polleys zärtlich-kluges Regiedebüt An ihrer Seite, Misha Kamps Familienfilm Romys Salon, Wash Westmoreland in ihrem eindringlichen Still Alice – Mein Leben ohne Gestern oder Paolo Virzi in seinem virtuosen Das Leuchten der Erinnerung – sie bringt nicht nur Humor in die an sich fast schon klaustrophobische Erfahrungswelt der Demenz, sondern auch eine so überraschende wie furchteinflößende Handlungswendung.
Denn anders als in den erwähnten Demenzdramen wacht June Wilton (Noni Hazlehurst) nach fünf Jahren aus ihrem durch einen Schlaganfall ausgelösten Demenzschub wieder auf und kann es nicht fassen, dass sie sich in einem Pflegeheim befindet. Doch noch viel weniger kann sie es fassen, dass sich die Welt um sie herum drastisch verändert hat. Vor allem ihre Familie, ihre Tochter und ihr Sohn, denen sie bis zu ihrem Schlaganfall als starke Mutter nicht nur zu Seite stand, sondern Lebensvisionen diktiert hat, scheinen sich in ihren Karrieren im freien Fall zu befinden. Zwar sagen ihr die Ärzte, dass ihre Demenz-Pause nur von kurzer Dauer sein könnte, sollte sie sich zu sehr aufregen. Doch June kann sich nicht von ihrer alten Persönlichkeit lösen und versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist, weil sich niemand retten lassen will.
Denn Winlove zeigt in diesem ungewöhnlichen Familienstellen, was Familie im schlimmsten Fall bewirken kann. Ähnlich wie in dem vor wenigen Wochen angelaufenen Krebsdrama In Liebe lassen, dekonstruiert auch Winlove im Laufe ihres Films den Schatten einer übermächtigen Mutter, zeigt zuerst die Folgen einer derartigen Familienkonstellation, um dann zu demonstrieren, wie Emanzipation funktioniert. Zuerst durch die Demenz, dann aber auch in Konfrontation mit der wieder erwachten Mutter.
Das sieht sich wie (vor-) gelebte Familientherapie an und entwickelt sich durch ein bis in die letzte Nebenrolle überragend besetztes Ensemble zu einer greifbar-wirklichen Tragikomödie, die jeder Rolle genug Zeit zur Entfaltung gibt und bei aller Konfrontationstherapie auch noch Raum für große Gefühle lässt.
Vor allem aber stellt Winlove die interessante Perspektive in den Raum, dass Demenz nicht nur Abschied sein muss, sondern für alle Beteiligten auch einen Neuanfang bedeuten kann. Gleichzeitig regt Winlove durch ihren gnadenlosen Blick auf dysfunktionale Familienverhältnisse an, sich vielleicht schon in einem früheren Stadium als erst nach einem „Schicksalsschlag“ wie Demenz, um die eigenen Familienverhältnisse zu kümmern, denn Reden, und das macht Winloves Film vor allem deutlich, hilft immer und selbst ein Scheitern nach einem therapeutischen Selbstversuch ist immer noch besser als die bestehenden Missverhältnisse in die nächste Generation zu tragen.