No Turning Back

Locke

Großbritannien/USA 2013 · 85 min. · FSK: ab 0
Regie: Steven Knight
Drehbuch:
Kamera: Haris Zambarloukos
Darsteller: Tom Hardy
Minimalistisches Setting, Optimum an Spannung

Fahrt ins Ungewisse

Steven Knights Psycho­drama No Turning Back ist ein Kammer­spiel, dessen Kammer der fara­day­sche Käfig eines Kraft­fahrzeugs ist. In diesem sitzt der von Tom Hardy gespielte Ivan Locke während seiner einsamen Fahrt durch die Nacht. Lockes Weg führt ihn aus einer abge­si­cherten Existenz in eine ungewisse Zukunft:

Ivan Locke (Tom Hardy) hat sein Leben fest im Griff. Der Bauleiter ist ein ratio­naler Mann, der selbst bei Groß­pro­jekten einen ruhigen Kopf und die Übersicht bewahrt. Zurzeit leitet Ivan eine gigan­ti­sche Großbau­stelle. Es ist die größte Baustelle ihrer Art in ganz Europa und das größte Projekt in Ivans gesamter bishe­riger Karriere. Morgen kommen Hunderte von Beton­mi­schern an, die Ivan alle koor­di­nieren muss, damit das Fundament des Hoch­hauses ordnungs­gemäß gegossen werden kann. Doch am Vorabend teilt Ivan seinem Chef mit, dass er morgen nicht kommen wird. Seiner Familie sagt Ivan, dass er heute Abend nicht nach Hause kommen wird. Dabei wollte er eigent­lich gemeinsam mit seinen Söhnen ein wichtiges Fußball­spiel ansehen. Doch Ivan befindet sich bereits auf der Fahrt von Birmingham nach London. Dort wird eine ehemalige Arbeits­kol­legin von ihm diese Nacht vorzeitig ein Kind zur Welt bringen. Und Ivan ist der Vater dieses Kindes...

No Turning Back ist erst die zweite Regie­ar­beit von Steven Knight. Zuvor hatte sich der Brite jedoch bereits als Autor von exzel­lenten Dreh­büchern wie dem Skript zu David Cronen­bergs Russen­mafia-Thriller Tödliche Verspre­chen (2007) hervor­getan. So würde auch No Turning Back keines­wegs funk­tio­nieren, wäre Knights Skript nicht nahezu perfekt durch­dacht. Dem Filme­ma­cher gelingt es aus einer denkbar simplen Prämisse und aus einem absolut mini­ma­lis­ti­schen Setting ein Optimum an Spannung heraus­zu­holen. Hierbei ragen insbe­son­dere die so lebens­echten, wie präzisen Dialoge heraus. Das ist auch bitter nötig, denn viel mehr, als beim Fahren zu tele­fo­nieren macht Ivan nicht. Der Film zeigt einfach in Echtzeit, wie Ivan zum Kran­ken­haus in London fährt.

Dabei wird jede konven­tio­nelle äußere Action voll­s­tändig durch das sich immer weiter vers­tär­kende innere Drama ersetzt. Genau genommen beginnen sich eine ganze Reihe an Dramen zeit­gleich zu entfalten und sogar der stoische Ivan muss sich hundert­pro­zentig konz­en­trieren, um nicht doch langsam, aber sicher durch­zu­drehen – so wird diese nächt­liche Autofahrt für Ivan immer mehr zu einer hölli­schen Fahrt ins Ungewisse. Ivans gesamte geordnete und mühsam aufge­baute Existenz droht mit einem Schlag komplett zu zerbre­chen.

Dass Ivans Handeln anhand reichlich konstru­iert wirkender Zwie­ge­spräche mit seinem verstor­benen Vater erklärt wird, ist die einzige echte Schwach­stelle des Films. Dies bringt eine Künst­lich­keit in das Geschehen, die das Drama bis zu diesem Punkt mit Bravour vermieden hat. Zudem ist diese „Erklärung“ schlicht über­flüssig, da Ivans Verhalten bereits so voll­kommen schlüssig erscheint und sich voll­s­tändig aus seiner Figur heraus erschließt. Denn auch wenn wir nicht viel von Ivan wissen, so erscheint er uns bereits nach kurzer Zeit sehr vertraut. Dies ist das Verdienst des Ausnah­me­schau­spie­lers Tom Hardy, der Ivan Locke sehr realis­tisch und nuanciert verkör­pert.

Zwar ist Hardy eher durch seine Rollen in Block­bus­tern wie Inception (2010) und The Dark Knight Rises (2012) einem größeren Publikum bekannt. Doch bereits in Nicolas Winding Refns Drama Bronson (2008) hatte Hardy auf beein­dru­ckende Weise bewiesen, dass er ein heraus­ra­gender Charak­ter­dar­steller ist. Jetzt zeigt Hardy, dass er nicht nur einen extremen Charakter wie Großbri­tan­niens berüch­tigtsten lebenden Straf­ge­fan­genen „Bronson“ verkör­pern kann, sondern ebenso einen so grad­li­nigen, wie unschein­baren Typen wie Ivan Locke. Diese voll­kommen überz­eu­gende Verwand­lung vom charis­ma­ti­schen Psycho­pa­then Bronson zum biederen Bauin­ge­nieur Locke beweist, dass Hardy bereits in der ersten Liga der Charak­ter­dar­steller ange­kommen ist und dass von diesem Mann in der Zukunft noch sehr viel erwartet werden kann.

Steven Knight zeigt mit No Turning Back ebenfalls, dass man ihn als Filme­ma­cher im Auge behalten sollte. Zwar ist seine Insz­e­nie­rung nicht ganz so stark wie sein Skript, aber gelungen ist auch sie. Wie in Trance gleitet Ivan in seinem Luxus­wagen wie in einem Raum­schiff durch die Nacht. Oft zeigen einzig die stetig wech­selnden bunten Licht­punkte an den Scheiben die Bewegung des Fahrzeugs an, während im Inneren des Wagens für Ivan die Zeit scheinbar still­steht.

No Turning Back ist ein Kammer­spiel auf Rädern und ein gelun­genes filmi­sches Expe­ri­ment.