Nur ein kleiner Gefallen

A Simple Favor

USA 2018 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: Paul Feig
Drehbuch:
Kamera: John Schwartzman
Darsteller: Anna Kendrick, Ian Ho, Blake Lively, Henry Golding, Andrew Rannells u.a.
Der dritte Blick

Bäumchen wechsle dich

»Laisse tomber les filles / Laisse tomber les filles / Un jour c’est toi qu’on laissera / Laisse tomber les filles / Laisse tomber les filles / Un jour c’est toi qui pleureras / Oui j’ai pleuré mais ce jour-là«Laisse tomber les filles, France Gall & Serge Gains­bourg

Wer keine Angst vor Über­ra­schungen hat, wer vor zwei­deu­tigem Humor und einer unein­deu­tigen Moral nicht zurück­schreckt und sich viel­leicht auch noch ein wenig melan­cho­lisch an die kreative Wucht der tragi­ko­mi­schen Coming-of-Age-Serie FREAKS AND GEEKS erinnert, für den dürfte Paul Feigs »Thriller-Comedy« Nur ein kleiner Gefallen genau die Art von Film sein, nach der er sich schon lange gesehnt hat, weil es sie einfach viel zu selten gibt.

Dabei scheint es zu Anfang fast so, als ob Feig, der mit Judd Apatow zusammen FREAK AND GEEKS entwi­ckelt und zuletzt mit Brau­talarm (2011) die Grenzen guten Humors erfolg­reich ausge­lotet hat, sich in seinem neuen Film fast zu stark am Riemen reißt, indem er seine beiden Haupt­dar­stel­le­rinnen Anna Kendrick und Blake Lively in Korsetts presst, die kaum mehr sprengbar erscheinen.

Auf der einen Seite führt er die grell über­zeich­nete Heli­ko­pter- und allein­er­zie­hende Über­mutter Stephanie Smothers (Anna Kendrick) vor, die in ihrem Vlog von ihrer besten, aber plötzlich verschwun­denen Freundin Emily Nelson (Blake Lively) berichtet, die wiederum derartig grell als erfolg­reiche Geschäfts­frau und »Bitch-Mutter« gegen­ge­zeichnet wird, dass allein hier schon ohne die über­ra­genden schau­spie­le­ri­schen Leis­tungen von Kendrick und Lively Nur ein kleiner Gefallen leicht hätte aus dem Ruder laufen können.

Doch statt­dessen zeigen Feig und das intel­li­gente Drehbuch von Jessica Sharzer, dass es gerade die korsett­ar­tigen Rollen­mo­delle der ameri­ka­ni­schen Mittel­schicht sind, an denen sie inter­es­siert sind, dass auch eine noch so glatte Ober­fläche ihre Risse und Kanten und damit auch ihre Abgründe hat. Diese Grund­dis­po­si­tion mündet in ein furioses »Bäumchen-wechsle-dich-Spiel«, das ziemlich genau so funk­tio­niert wie das alte und bei Kindern auch heute noch beliebte Fangspiel, in dem sich jeder Spieler zu einem der verfüg­baren Bäume stellt und nur der Fänger in einem freien Bereich zwischen den Bäumen verharrt – bis er »Bäumchen wechsle dich« ruft und und alle Spieler zu einem anderen Baum laufen müssen und derjenige verliert, der keinen freien Baum mehr findet und damit zum neuen Fänger wird.

Bei Feig sind die Bäume aller­dings weniger Bäume als mora­li­sche Dispo­si­tionen, die sich die Prot­ago­nisten mit jeder Berührung über scharf­zün­gige Dialoge immer wieder neu aneignen. Und auch wenn der Plot dann und wann an David Finchers Gone Girl erinnert, bewahrt sich Nur ein kleiner Gefallen seine Eigen­s­tän­dig­keit. Nicht nur über den immer wieder raben­schwarzen Humor – der bei Fincher schlichtweg nicht existiert – und der sich umso schwarz­ver­schlin­gender geriert, desto mehr sich die charak­ter­li­chen Entwick­lungen in immer neue, über­ra­schende Pattern graben.

Nein, vielmehr wird diese furiose Jagd nach einer verschwun­denen Freundin, eine Jagd nach verschwun­denen Iden­ti­täten einer Gesell­schaft, die kaum mehr einen mora­li­schen Mittel­punkt hat, wird dieses wilde Film­mo­saik – und das ist viel­leicht die schönste Über­ra­schung an Feigs Film – auch noch zu einer musi­ka­lisch-film­his­to­ri­schen Iden­ti­täts­suche. Denn fast jede über­ra­schende Wendung des Plots wird von einem nur scheinbar will­kür­lich und kruden Mix aus klassisch fran­zö­si­schen Chansons (z.B. France Galls Laisse tomber les filles), aber auch modernem fran­zö­si­schen Rap (z.B. Orelsans Chan­ge­ment) kommen­tiert und torpe­diert. Feig sprengt auch hier korsett­ar­tige Struk­turen: sind wir hier überhaupt noch in Hollywood und wenn, dann in welchem Jahrzehnt? Aber eigent­lich ist es auch egal, wie jeder diese Fragen und dieses Hinter­fragen für sich beant­worten mag oder ob er oder sie überhaupt Interesse daran hat – denn ganz nebenbei macht Nur ein kleiner Gefallen vor allem eins: Spass.