Nur ein Tag

Deutschland 2017 · 76 min. · FSK: ab 0
Regie: Martin Baltscheit
Drehbuch:
Kamera: Olaf Hirschberg
Darsteller: Lars Rudolph, Aljoscha Stadelmann, Karoline Schuch, Anke Engelke u.a.
Filmszene »Nur ein Tag«
Philosophisch verspielt, spielerisch poetisierend, verblödelt und dennoch ernst
(Foto: W-Film)

Schule der Empathie

Ene, mene, miste,
es rappelt in der Kiste,
ene mene, meck
und du bist weg.

Eben noch auf dem 35. Münchner Filmfest die Premiere, jetzt schon im Kino und das – kann man nur hoffen – möglichst lange. Denn was Martin Balt­scheit hier aus seinem eigenen Stoff gemacht hat, ist tatsäch­lich nicht nur unkon­ven­tio­nell, sondern ein großes Glück. Mehr noch, sieht man den langen Weg, den Balt­scheits Geschichte genommen hat: als Kinder­buch mit »kind­ge­rechten« Illus­tra­tionen über Hörspiel und Thea­ter­stück zu einem Film, der kreativer und inspi­rie­render kaum sein könnte.

Dies liegt vor allem daran, dass Balt­scheit nicht der Versu­chung erlegen ist, den illus­tra­tiven Charakter des Kinder­buchs weiter­zu­ver­folgen und einen Anima­ti­ons­film zu versuchen, sondern der Thea­ter­va­ri­ante zu nach­zu­gehen und sein Personal: einen Fuchs, ein Wilschwein und eine Eintags­fliege (und eine weitere Eintags­fliege) einfach als Menschen auftreten zu lassen. Und zwar als Menschen ohne große tierische Attribute. Ein bisschen so, als würden Grund­schüler einfach Doktor spielen, ohne Doktor (oder Patient) zu sein. Und was braucht es die Maske, das Maskieren, wenn die Rollen über derartig brillant geführte und mit feiner Ironie und dem immer wieder notwen­digen Ernst agierende Darsteller – Aljoscha Stadel­mann, Lars Rudolpf, Karoline Schuch und Anke Engelke – ausge­füllt werden?

Aber nicht nur diese – der »teil­neh­menden Feld­for­schung« verwandte – Umsetzung des Stoffes dürfte nicht nur das Ziel­pu­blikum Kind anspre­chen, sondern auch Erwach­sene in ihren Bann ziehen. Denn da ist auch noch die Geschichte von Fuchs und vom Wild­schwein, die durch Zufall eine Eintags­fliege kurz nach ihrem Schlüpfen kennen­lernen und nur, weil sie sie kennen­lernen, plötzlich Mitleid mit einem Schicksal empfinden, das so anders als ihres ist. Und die mit allen Mitteln der Empathie versuchen, das so kurze Leben der Fliege ihr so schmack­haft wie möglich zu machen und dabei auch von Notlügen jeder Art nicht halt machen und gleich­zeitig von der Gegen­em­pa­thie der Fliege regel­recht über­wäl­tigt werden.

Doch es ist nicht nur Empathie als Kano­nen­futter, das Balt­scheit hier verschießt, es sind auch kleine philo­so­phi­sche Exkurse über das große Glück im Kleinen (und Kurzen), das Leben in und für einen Tag, die jedoch nie mono­lo­gisch, sondern stets in dialo­gi­schen Parforce­ritten abge­han­delt werden. Das erinnert zwar immer wieder an die inzwi­schen ein wenig in Miss­kredit geratene anti­au­to­ritäre, eman­zi­pa­to­ri­sche Reform­päd­agogik der 68er-Bewegung und an Formate wie die Rappel­kiste und ihre Darsteller wie Oswin und Nickel, doch ist das im Gesamt­paket so wunderbar entmottet, philo­so­phisch verspielt, spie­le­risch poeti­sie­rend, Klischees wie das vom klugen Fuchs lustvoll dekon­stru­ie­rend, verblö­delt und dennoch ernst – denn nicht einmal vor dem Tod werden die Augen verschlossen – dass man sich gleich noch einmal 76 Minuten davon wünscht oder gleich einen ganzen Tag – und sei es auch nur der eine, den man hat.