Deutschland 2017 · 101 min. · FSK: ab 16 Regie: Özgür Yildirim Drehbuch: Özgür Yildirim Kamera: Matthias Bolliger Darsteller: Moritz Bleibtreu, Edin Hasanovic, Kida Khodr Ramadan, Birgit Minichmayr, Peter Simonischek u.a. |
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Modernes Märchen im Gewand eines pulpigen Gangsterdramas |
Im Jahr 2008 sorgte der deutschtürkische Regisseur und Drehbuchautor Özgür Yildirim mit seinem Spielfilmdebüt Chiko für größeres Aufsehen. Das Gangsterdrama bestach durch eine atmosphärische Dichte, wie man sie hierzulande bis dahin höchstens von Fatih Akin kannte. Jener hatte Chiko nicht nur produziert, sondern eine Dekade zuvor mit Kurz und schmerzlos bereits selbst ein ähnlich gelagertes Debüt in die deutschen Kinosäle gebracht. Jetzt legt seine Protegé Yildirim eine weitere Dekade später mit Nur Gott kann mich richten nach. Bereits der übersteigerte Titel verweist auf einen Mut zur großen Geste, wie man ihn im deutschen Film nicht alle Tage antrifft. Reflexartig fragt man sich daher unweigerlich, ob dies nicht wieder nur ein weiterer dieser deutschen Genrefilmversuche ist, die zwar gut gemeint, aber viel zu zaghaft umgesetzt sind. Doch dann drückt Yildirim schon beim Intro derartig heftig aufs Gaspedal und aufs Gefühlszentrum des Zuschauers, dass dieser das Nachdenken schon bald einstellt.
Die in Frankfurt spielende Handlung von Nur Gott kann mich richten wird mit einem verpatzten Raubüberfall eröffnet, der Ricky (Moritz Bleibtreu) fünf Jahre Knast einbringt. Frisch entlassen träumt Ricky davon, eine eigene kleine Bar auf Sizilien zu eröffnen. Nur leider fehlt ihm zur Verwirklichung dieses Traums das nötige Kleingeld. Deshalb lässt sich Ricky darauf ein, als sein alter Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) ihm einen dieser berüchtigten todsicheren letzten Aufträge vorschlägt, bei denen jeder Genrefilmkenner sofort weiß, was von diesen zu halten ist. Als zweiten Mann holt Ricky seinen kleinen Bruder Rafael (Edin Hasanovic) mit an Bord. Dazu bedarf es einer längeren Überredung, denn eigentlich hat Rafael seit dem gemeinsamen vermasselten Überfall vor fünf Jahren von Ricky und seinen todsicheren Geschäften gestrichen die Nase voll ...
Was nun folgt, ist zwar keine Neuerfindung des Gangsterfilms, aber eine derart gut geölte Genrefilmmaschine, wie man sie hierzulande die letzten Jahrzehnte über wahrscheinlich noch gar nicht im Kino miterleben durfte. Der Filmemacher Özgür Yildirim greift bei Nur Gott kann mich richten ungeniert nach Allem, was ihm für den Zusammenbau seiner Genrefilmmaschine „Made in Germany“ irgendwie nützlich erscheint: Hier ein paar wirklich gute Darsteller für die nicht wirklich originellen Figuren, wie ein zu Hochform auflaufender Moritz Bleibtreu als Kleinganove Ricky und der aus der TV-Serie 4 BLOCKS bekannte Kida Khodr Ramadan in der Rolle des freundlich-gnadenlosen Gangsters Latif. Dort einige wirklich authentisch wirkende und äußerst atmosphärisch inszenierte Locations, welche die nicht immer glaubwürdige Handlung zumeist ausreichend weit in den Hintergrund treten lassen, dass jene nicht weiter störend ins Gewicht fällt. Das Ganze wird von Yildirim noch mit einer dicken Schicht hemmungsloser Dramatik überzogen, bei welcher hinter der genretypischen Handlung um Geld und Gewalt immer wieder die ganz großen Fragen nach Liebe, Krankheit, Sterben und Tod in den Vordergrund treten.
All dies wird von Yildirim mit einem Tempo – und insbesondere mit einer im deutschen Genrefilm ansonsten praktisch ungesehenen Konsequenz – umgesetzt, dass Dinge, wie die oftmals überkonstruierte Geschichte oder die sich spätestens auf den Straßen des Frankfurter Bahnhofsviertels zwischenzeitlich komplett verabschiedende Handlungslogik, vollkommen unwichtig werden. Dem Filmemacher hier einen mangelnden Realismus vorzuwerfen hieße Erbsen zählen, wo dicke Goldbrocken darauf warten, gehoben zu werden. Nur Gott kann mich richten ist ein modernes Märchen im Gewand eines pulpigen Gangsterdramas, das ungehemmt seine Moral darlegt, ohne dabei moralisierend zu wirken. Nur Gott kann mich richten ist auch ein harter Tritt in die Magengrube, den man in diesem Fall gerne häufiger verspüren würde. Nur Gott kann mich richten ist zudem ein Genrefilm, wie man ihn in Deutschland dutzende Male mehr sehen müsste, bevor man sich wieder ernsthaft – und ungeahnt tiefenentspannt – erneut ans geliebte Erbsenzählen machen könnte.