Spanien/F 2019 · 103 min. · FSK: ab 18 Regie: Aritz Moreno Drehbuch: Javier Gullón Kamera: Javier Agirre Darsteller: Luis Tosar, Pilar Castro, Ernesto Alterio, Quim Gutiérrez, Belén Cuesta u.a. |
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Verwirrspiel, das die Grenzen der Fantasie auch sprengt | ||
(Foto: Neue Visionen) |
Erzähltechniken, wie wir sie aus den Filmen von Luis Buñuel und seinem Co-Autor Jean-Claude Carrière kennen, haben Aritz Moreno und sein Drehbuchautor Javier Gullón in Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden erneuert, dem Langfilmdebüt des spanischen Regisseurs. Eine zunächst alltägliche Rahmenhandlung, in die sich zunehmend grotesker werdende Episoden einschleichen, gibt es beispielsweise auch in Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972). Das Gespenst der Freiheit (1974) zeigt eine Abfolge von nur locker miteinander verknüpften Geschichten, die ebenfalls zunehmend grotesk ausfallen. Doch während Buñuel und sein Drehbuchautor Jean-Claude Carrière jeweils einen lockeren Rahmen schaffen, in den sie die verschiedensten Elemente frei einstreuen können, versuchen Moreno und Gullón, am Ende sämtliche Elemente zu einer größeren Einheit zu verbinden. Das gelingt nur bedingt und wäre auch gar nicht nötig gewesen.
Vorlage ist der Roman des Madrilenen Antonio Orejudo auf den Spuren seines Landsmanns Luis Buñuel. Der Film besteht aus einer Ansammlung von zunehmend grotesken Geschichten, die locker durch die in einem Zug spielende Rahmenhandlung zusammengehalten werden.
Die Verlegerin Helga Pato (Pilar Castro) kommt gerade aus der Psychiatrie. In diese hat sie ihren Mann eingewiesen, nachdem er seltsame skatologische Neigungen zu entwickeln begonnen hat. Im Zug trifft Helga auf einen Fremden (Ernesto Alterio), der sich ihr als Psychiater Ángel Sanagustín vorstellt. Er sagt, dass er in der psychiatrischen Anstalt arbeitet, in die Helga ihren Mann eingewiesen hat, und dass er mit dessen Fall vertraut sei. Anschließend beginnt er von seinem ungewöhnlichsten Fall zu erzählen.
In einzelnen Kapiteln wird im weiteren Verlauf jeweils eine zunehmend absurde bzw. bizarre Geschichte erzählt. So ist beispielsweise von verschwundenen Kindern die Rede. Später stellt sich heraus, dass diese Kinder für Snuff-Filme getötet werden. Aber das ist noch nicht alles. Denn die Innereien der Getöteten werden zur Fütterung von Gänsen verwendet, während die ausgeweideten Leichen an einen exzentrischen Künstler verkauft werden.
Eine andere Geschichte erzählt aus der Perspektive von Helga, wie sie einen Hundeliebhaber kennenlernt und mit diesem zusammenkommt. Mit der Zeit zeigt sich, dass seine Leidenschaft für die süßen Vierbeiner sich auch auf das Verhältnis zu Helga überträgt. Er kauft ihr ein Halsband und hat mit ihr Sex, bei dem sie wie ein Hund hecheln soll. Später bekommt Helga Hundefutter, das sie wie ein Hund hinunterschlingen soll. Dann bekommt Helga von ihm eine Hundehütte im Garten zugewiesen. Aber selbst das ist noch nicht der Höhepunkt. Schließlich eskaliert die Situation auf äußerst blutige Weise, wobei sich diese Eskalation in der Folge als ein Traum entpuppt. Dann stellt sich heraus, dass diese Geschichte die Vorgeschichte zu der Anfangsszene darstellt. Denn der obsessive Hundeliebhaber ist der Mann, den Helga in die Psychiatrie einweisen lässt.
So kommen die einzelnen Stories immer wieder auf die Rahmenhandlung zurück. Diese erscheint mit der Zeit in einem ganz neuen Licht und wird dabei in das abstruse Treiben der im Zug erzählten Geschichten hineingezogen. Und trotzdem verbindet sich nicht zum Schluss alles zu einem größeren Ganzen, die Gesamterzählung bleibt bruchstückhaft.
Ein wilder Ritt durch verschiedene Genres: als solches erweist sich am Ende Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden. Diese reichen von der Schwarzen Komödie über den Thriller bis hin zum Horrorfilm. Und auch visuell macht der Film einiges her. Kameramann Javier Agirre stellt mit Weitwinkelaufnahmen und ungewöhnlichen Perspektiven kunstvolle Tableaus her, erschafft immer wieder eine traumartige Atmosphäre – Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden lässt den Geist des Meisters Luis Buñuel in der Gegenwart aufleben.