Belgien/F 2016 · 101 min. · FSK: ab 12 Regie: Joachim Lafosse Drehbuch: Mazarine Pingeot, Fanny Burdino, Joachim Lafosse, Thomas van Zuylen Kamera: Jean-François Hensgens Darsteller: Bérénice Bejo, Cédric Kahn, Marthe Keller, Jade Soentjens, Margaux Soentjens u.a. |
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Die Utopie der Familie |
»Paarökomonie«, so heißt Die Ökonomie der Liebe etwas nüchterner im Original. Nicht romantisch, sondern institutionell, nicht Gefühlsökonomie, sondern Ökonomie des Zivilstandes. Es geht um Geld und ums Ganze, den finalen Gesichtsverlust. Der Belgier Joachim Lafosse hat ein Scheidungsdrama inszeniert, wie es wohl viele Familien in der heutigen Zeit erleben: Weil das Geld nicht reicht, sich eine neue Wohnung zu nehmen, bleibt Papa erst mal bei der Ex-Frau und den Kindern wohnen.
Der Film ist jedoch mehr als nur Alltag und Wirklichkeit: Er ist ein gnadenloser Blick auf die Mechanismen von Streit und Uneinigkeit, kurzem Waffenstillstand mit der Aussicht auf Versöhnung und einem finalen Kompromiss. Eine hart inszenierte Zeit der Abrechnung, fußend auf einer unausgesprochenen Kränkung, die zur Erosion der Beziehung führte – die Trivialitäten der Beziehung lässt Lafosse im Unklaren, überlässt es jedem selbst, sich einen Grund für die Trennung des Paares zu suchen: Die ewige Schuldfrage bleibt einem erspart.
Auf dieser Grundlage ohne Fundament wird aufgerechnet. Vormals hatte man in die Liebe investiert, jetzt wird Bilanz gezogen: Wer hat wieviel beigetragen in das einstige gemeinsame Leben? Und: Lässt sich dies in Geld umrechnen? Oder zählen nur die Geldscheine, die man auf den Tresen legte, um zu bezahlen? Lafosse bürstet dabei die Statistik, nach der die Familienmutter meist vom Mann abhängig ist, gegen den Strich: Sie, Marie, kommt aus vermögendem Elternhaus, hat einen guten Job und ernährt die Familie, er, Boris, ist ein arbeitsloser Architekt, der sich mit handwerklichen Arbeiten über Wasser hält. Vor allem hat er sich um das Haus und die Kinder gekümmert. Das soziale Ungleichgewicht bedeutet im Falle einer Scheidung, falls sie ihm keine Zugeständnisse macht, seinen privaten Konkurs. Um diesen Kern der Existenz wird unerbittlich gestritten.
Lafosse legt ein scharfes Seziermesser an. Das Wechselspiel des Kampfes, in dem sich das Paar gegenseitig Niederlagen ausliefert, wird zu einem Vexierspiel von Sympathie und Antipathie, kristallisiert in Zuneigung und Ablehnung, wie es jedes Paar erlebt. Beide Seiten werden hellsichtig inszeniert, Lafosse schickt den Zuschauer in die Mechanik der Paar-Polaritäten wie eine Kugel in den Flipperautomaten. Bérénice Bejo und Cédric Kahn verkörpern das Uneindeutige des Paares, liefern sich dabei heftige Gefechte: Sie ist arschig, hat scheinbar Oberwasser, ertränkt ihr Verletztsein jedoch in einer uneingestandenen Tablettensucht. Er ist trottelig mit dem Blick eines gescholtenen Hundes und Opferlammes, dazu ein unsensibler Poltergeist, strahlt aber Wärme und Authentizität aus. Mal ist sie ungerecht und kalt, mal ist er machomäßig und einfach nur unmöglich.
Der Blick des Zuschauers geht bei den inflationären Angeboten der Parteinahme, die immer sogleich zurückgezogen werden, hin und her wie bei einem rasanten Schlagabtausch der Liebe. Nach dem Aufschlag wird zurückgeschmettert. Inszeniert wird ein unerbittlicher Huis-clos der feindlichen Begegnung auf unterkühltem, jedoch familiärem Terrain. Die gnadenlose Heftigkeit, in der der Streit ausgetragen wird, erinnert an Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, und Bérénice Bejo und Cédric Kahn erweisen sich als würdige Erben der sich ans Messer liefernden Liz Taylor und Richard Burton. Nur, dass hier nicht um das Phantom der Beziehung, sondern vor den anwesenden Kindern um die Existenz gerungen wird. Den größten Schaden tragen so auch die Kinder, ein Zwillingspaar, davon, die fast dem Streit der Eltern geopfert werden. Lafosse, selbst ein Zwilling, lässt in seinen Filmen immer wieder echte Zwillinge in Nebenrollen auftreten. Sie führen als spiegelbildliches Geschwisterpaar eine genuine Verbundenheit vor Augen, die von der romantischen Sehnsucht der unbedingten Liebe erzählt und vom Gegenüber, in dem man sich spiegeln kann: die Zwillingsseele der Liebenden. Eine Utopie der Verbundenheit, die hier dem dystopisch Realen Platz macht.
Lafosse erzählt auch von der bürgerlichen Sehnsucht nach der verbundenen Beständigkeit, von Maries Mutter als Thema aufgebracht, die daran erinnert, dass man früher Dinge zum Reparieren gebracht habe, heute in einer Wegwerfgesellschaft lebe, in der auch der Partner, wenn er nicht mehr funktioniert, auf den Müll geworfen wird. Ihre eigene Beziehung ist jedoch auf mehr als nur auf Kompromissen gebaut, so wird in einer Szene deutlich – dieses unausgesprochenene, beiläufig sich ergebende Revidieren des Ausformulierten macht den Film so schillernd, uneindeutig wie dialektisch. Eine Moral mit erhobenem Zeigefinger hat in diesem Film wie auch im Leben keinen Platz.
Gefühl oder Geld, was ist stärker? Den Konventionen des Kinos nach natürlich das Gefühl. Geschätzte Millionen von »romantischen Komödien« feierten seit Beginn der Filmgeschichte den Triumph der reinen Liebe über den zwanglosen Zwang eines Millionenerbes, prächtiger Schlösser und schmucker Sportwagen. Dabei ist dieser Triumph soziologisch betrachtet sowohl der Sieg des Unwahrscheinlichen über die Wahrscheinlichkeit, als auch der Irrationalität über die Vernunft. In der Menschheitsgeschichte und auch in der Gegenwart außerhalb der Wohlstandsenklaven Europas und Amerikas ist die Liebe in erster Linie auch durchkalkulierte Versorgungsanstalt: Höhere Töchter mit hässlichem Antlitz müssen ebenso unter die Haube gebracht werden, wie die geistig beschränkten Söhne der Oberschicht, frisches Aufsteigerblut will sich mit altem Namen schmücken, fesche Unterschichtgirls handeln Naturalien gegen Wohlstand und so fort – immer helfen die unwiderlegbaren Argumente eines gefüllten Bankkontos, eines traditionsreichen Namens oder anderer Dinge, die hohe soziale Stellung wie sichere Versorgung garantieren.
Genau in dieser Wirklichkeitserfahrung und ihren Absurditäten wurzeln die Liebeskomödien von Ernst Lubitsch. Sie sind so gut und so erfolgreich, weil sie den Konventionen der Märchenträume vom Vorrang der Liebe übers Geld entgegengesetzt sind, weil sie die heimliche Ahnung der Menschen bestätigen, dass das Fressen vor der Moral kommt, und die Liebe ein unsicheres Terrain ist. Dabei hilft Lubitschs Erfolg, dass seine Filme insofern dem klassischen Ladenmädchentraum entsprechen, als sie oft in höheren Kreisen spielen, wo Geld sowieso nicht das Problem ist.
Allemal gehören Liebe und Ökonomie enger zusammen, als man gerne hört, und als es nach unseren Konventionen recht ist. Das zeigt Die Ökonomie der Liebe des Belgiers Joachim Lafosse (Privatunterricht) mit einer faszinierenden Konsequenz, die gerade in ihrem Hang zum Absurden von Lubitsch nicht weit entfernt ist.
Marie (Bérénice Bejo, bekannt als Hauptdarstellerin von The Artist) und Boris (Cédric Kahn, der auch selbst Regisseur ist) leben gemeinsam in einem Appartement und haben zwei zehnjährige Zwillingstöchter. Kürzlich aber haben sie sich nach 15 Jahren getrennt. Nur weil beiden zum Ausziehen das Geld fehlt, und das Haus auch schön ist, leben sie noch zusammen. Aber durch die Trennung ist das gemeinsame Heim zu einer Kampfzone geworden. Terrains und Rechtsgebiete werden abgesteckt, Grenzen werden gezogen – da die Gefühle nicht mehr selbstverständlich sind, muss auch alles andere neu ausgehandelt werden.
Es geht also um eine zum Alltag gewordene Zerreißprobe, wie sie vielleicht jede zum Alltag gewordene Beziehung darstellt – aber selten so krass wie in diesem Fall. Der Zweikampf des Paares, den jede Liebeskomödie kennt, von Helmut Käutners Wir machen Musik bis zu Mr. & Mrs. Smith von Doug Liman, wird hier zum Dauerzustand: Aus dem Liebespaar ist ein Wutpaar geworden.
Lafosses Inszenierungs-Geschick und seine Klugheit führen dazu, dass man hier nicht Partei ergreifen muss. In diesem Nichtpaar kämpfen nicht Gut gegen Böse. Vielmehr zeigt Lafosse, dass der Kampf selbst die Beziehung sein kann, der Streit das Verbindende. Ohne ihn ginge es beiden schlechter. Insofern kann man dieses Szenario sogar ins Politische wenden und als Analogie auf den Kalten Krieg verstehen: Der Feind ist die andere Seite von einem Selbst, ein Geliebter, wie sehr, das erkennt man erst, wenn er nicht mehr da ist. Und jeder Sieg birgt in sich eine Niederlage.
So geht es in dieser Komödie, die wie alle guten Komödien auch eine Tragödie in sich birgt, auch um Regeln und die Utopie, die in allen Regeln liegt. Sie funktionieren nur, wenn sich alle dran halten, werden aber aufgestellt, weil keiner das tut. So präsentiert dieser Film mit seinem Haus und Garten, die er fast nie verlässt, eine Art Spielfeld, und mit seinen wenigen Personen – außer den vier der Kernfamilie noch eine Handvoll Freunde und Maries Mutter – Spiel-Figuren, die
immer neu gruppiert werden – mit witzigen Effekten: Etwa wenn Marie mit Freunden auf der Terrasse sitzt, Boris sich dazu gesellt, weil es ja auch seine Freunde sind, und sie das als Regelverletzung sieht, weil sie ja mit den Freunden verabredet ist. Oder wenn beide die gegenseitigen Kindererziehungsanstrengungen torpedieren. Oder wenn er einen Käse isst, dessen Geruch sie nicht ausstehen kann, nicht obwohl, sondern weil er weiß, dass sie das nicht ausstehen kann.
Das ist
so lustig, wie unser eigener Alltag eigentlich zum Lachen wäre, wenn wir einmal aus der richtigen Perspektive draufschauen würden.
Die große Lektion des Films: Das Materielle ist der Kitt, nicht die Immaterialität. Die Wohnung, nicht die Gefühle. Weil keiner nachgibt, bleiben sie zusammen. Die entscheidende Frage ist bei alldem: Was macht eigentlich eine Beziehung aus? Ist es das Gefühl, oder die Routine, die Annehmlichkeiten des Alltags oder die Ausnahmen namens toller Sex und schöner Urlaub? Das gemeinsame Bankkonto oder die Unfähigkeit sich zu trennen? Und wer entscheidet, wann ein Paar ein Paar ist? Die Außenwelt, die schon seit Jahren meint, beide sollten sich trennen, und seien eh kein gutes Paar? Oder die beiden Beteiligten selber, auch wenn sie nicht wissen, warum sie zusammen sind?
Die Ökonomie der Liebe handelt also von Fragen, die uns alle angehen, mit denen wir alle in irgendeiner Form zu tun haben. Der Film tut das auf vergnügliche Weise. Zugleich ist die Botschaft eine traurige. Denn Joachim Lafosse macht kein Hehl aus seiner Überzeugung, dass wir uns alle besonders dadurch unglücklich machen, dass wir gegen unsere eigene Ahnung den Märchen der Werbung, den Klischees des Kinos und den Behauptungen der Priester und Ratgeber vom ungebrochenen Glück durch die Liebe vertrauen, dann diese Behauptungen an der eigenen Realität abgleichen, und dadurch schnell unglücklich werden. So ein Quatsch!