GB/USA 2019 · 112 min. · FSK: ab 6 Regie: Gavin Hood Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein, Gavin Hood Kamera: Florian Hoffmeister Darsteller: Keira Knightley, Matthew Goode, Matt Smith, Ralph Fiennes, Indira Varma u.a. |
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Perfektes Rollenmodell |
»Any sign that says we’re going to leave Iraq before the job is done simply emboldens terrorists and creates a certain amount of doubt for people, so they won’t take the risk necessary to help a civil society evolve in the country.« – George W. Bush
Manchmal braucht es nicht die Neuerfindung des Rades, gerade wenn es darum geht, überhaupt wieder Fahren zu lernen. Und manchmal braucht es nicht die Neuerfindung von filmischen Mitteln, um daran erinnert zu werden, wie wichtig ziviler Ungehorsam und letztlich die Stärkung unserer Zivilgesellschaft ist. Im letzten Jahr zeigte das überzeugend Oliver Haffner mit Wackersdorf, in diesem Jahr Tsotsi- und Eye in the Sky-Regisseur Gavin Hood. So wie Haffner schert sich Hood nicht darum, konventionelle Polit-Thriller-Komponenten über den Haufen zu werfen, sondern konzentriert sich auf eine starke, reale Geschichte, die kurz vor dem Irak-Krieg 2003 zeigte, wie wichtig es ist, sich der staatlich verordneten Zähmung unserer Zivilgesellschaft durch zivilen Ungehorsam zu widersetzen.
Damals hatte sich die für den englischen Geheimdienst als Chinesisch-Übersetzerin arbeitende Katharine Gun entschieden, ein streng geheimes NSA-Memo zu leaken, das eine illegale Spionageoperation zwischen den USA und Großbritannien gegen Mitglieder des UN-Sichterheitsrates beschrieb, einer Aktion, deren letztliches Ziel es war, eine UN-Resolution zugunsten des Irak-Krieges zu erreichen. Mithilfe des Observer-Journalisten Martin Bright verhinderte sie zwar die Resolution, doch George W. Bush und seine englischen Koalitionäre unter Tony Blair entschieden sich auch ohne Resolution für den Krieg.
Hoods Official Secrets konzentriert sich dabei vor allem auf Katharine Guns (Keira Knightley) wütender und zugleich ängstlicher Transformation von einer normalen Angestellten ohne große politische Ambitionen zur Whistleblowerin mit politischem Bewusstsein. Die Beschreibung dieses Prozesses ist gerade deshalb so wichtig, weil es zeigt, dass es jeden treffen, dass irgendwann im Leben jeder von uns vor der moralisch zermürbenden Entscheidung stehen kann, gegen das Gesetz verstoßen zu müssen, um größeres »Unrecht« zu verhindern.
Denn Gun verstößt mit ihrem Leak gegen den britischen »Official Secrets Act« und sieht sich ebenso wie der Journalist Martin Bright (Matt Smith) von einem gerichtlichen Prozess bedroht, der am Ende aber nur gegen Gun auch angestrengt wird. Hood demonstriert an diesen Stellen nicht nur differenziert die korrupte und zutiefst illegale Verstrickung des Staates, der sich über ein »legales« Gesetz mit Drohgebärden jeden zivilen Ungehorsam vom Halse schaffen will, sondern buchstabiert gleichzeitig die Kreativität und Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen aus, in diesem Fall das auf Menschenrechtsfragen spezialisierte Anwaltsbüro unter Ben Emmerson (Ralph Fiennes).
Hood inszeniert diesen Konflikt zwischen Staat und Individuum in klassischer, meist linear erzählter Thriller-Sprache, packend und mit überragenden schauspielerischen Leistungen, allen voran Keira Knightley, die eine Katherine Gun spielt, die als fast perfektes Rollenmodell für unsere Gegenwart taugt, in dem Konflikte dieser Art gerade nicht nur in autokratischen Gesellschaften an der Tagesordnung sind (aktuell in Hongkong. Iran oder dem Libanon), sondern mit zunehmender »Verletzlichkeit« der Staatssouveränität durch Klima, Überwachungs- und Wirtschaftskrisen auch in unseren vermeintlich so »freien« westlichen Gesellschaften Alltag werden dürften. Grund genug also Gavin Hoods Official Secrets nach seiner Kinoauswertung nicht nur auf allen Streaming-Plattformen Erfolg zu wünschen, sondern auch unbedingt ins Curriculum unserer Schulen aufgenommen zu sehen.