Niederlande/B 2022 · 73 min. · FSK: ab 0 Regie: Mascha Halberstad Drehbuch: Fiona van Heemstra Musik: Rutger Reinders Kamera: Peter Mansfelt Schnitt: Mascha Halberstad |
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Smarte Verknüpfung von Humor und Drama | ||
(Foto: Kinostar) |
Zu ihrem neunten Geburtstag wünscht sich Babs, die mit ihren liebevollen Eltern in einem hübschen Haus in einer niederländischen Kleinstadt wohnt, endlich einen jungen Hund. Weil ihr Vater allergisch gegen Hundehaare ist, wird daraus nichts. Doch dann taucht überraschend Opa Tuitjes auf, der nach 25 Jahren Abwesenheit mit Koffer und Banjo aus den USA heimkehrt. Dass der Großvater sich ohne zu fragen in der Gartenhütte einquartiert, kommt bei Babs und ihrem besten Freund Tijn gar nicht gut an. Kurzerhand spielen sie ihm auch einen Streich, indem sie fünf Schnecken in seinem Bett verstecken. Doch dann schenkt der Großvater Babs ein kleines Ferkel, dem sie den Namen Oink gibt.
Während Babs das rosa Schweinchen sofort in ihr Herz schließt, ist ihre Mutter Margreet, eine passionierte Vegetarierin, sehr skeptisch und stellt strenge Regeln auf. So darf Oink nicht ins Haus oder den heiß geliebten Gemüsegarten. Und Oink darf nicht überall hinscheißen. Weil das Schweinebaby sich nicht daran hält, muss Babs mit ihm eine Welpenschule besuchen, um ein paar Manieren zu lernen.
Tiefe Freundschaften zwischen Kindern und Tieren sind ein klassisches Motiv in Kinderfilmen, man denke nur an Klassiker wie Lassie oder Free Willy, aber auch an jüngere Filme wie Der Fuchs und das Mädchen, Ostwind, Mein Freund, der Delfin oder Belle & Sebastian. In dieser Tradition steht Oink, der erste Langfilm der 1973 geborenen niederländischen Regisseurin Mascha Halberstad und der erste Stop-Motion-Film, der in den Niederlanden gedreht wurde. Der Film, der mit rund 73 Minuten dem Aufnahmevermögen kleiner Kinder entgegenkommt, eröffnete 2022 die Kplus-Schiene der Berlinale-Sektion Generation und gewann beim Niederländischen Filmfestival in Utrecht als erster animierter Film jeweils das Goldene Kalb für den besten Film, die beste Regie und das beste Production Design.
Doch Oink erzählt nicht nur von einer ungewöhnlichen Freundschaft, sondern schneidet auf einer zweiten Ebene auch ernste Themen wie Kritik am Fleischkonsum, Vertrauensbruch und Ruhmsucht an, die verstärkt auch ältere Kinozuschauer ansprechen. Sympathische Anliegen wie Tierschutz, gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit werden allerdings nicht mit pädagogischer Plakativität, sondern kindgerecht und unterhaltsam verpackt angesprochen. Das zeigt sich etwa, als der misstrauische Tijn in einem günstigen Augenblick den geheimnisvollen großen Koffer von Tuitjes öffnet und darin einen Fleischwolf entdeckt. Tuitjes behauptet scheinheilig, dass das Herstellen von Würsten sein Hobby sei, allerdings aus Lakritze und Erdnüssen statt aus Fleisch. Babs glaubt ihm das, Tijn aber nicht. Deswegen geraten die Kinder in Streit. Als Opa plötzlich mit Oink verschwindet, stellt sich heraus, dass er am 100. Wettbewerb zum Wurstkönig des Jahrhunderts teilnehmen und dafür das inzwischen herangewachsene Ferkel zu Wurst verarbeiten will.
Die vielschichtige Figurengestaltung, die detailfreudige Ausstattung, die kindgerechte Dramaturgie und pointierte Dialoge lassen erkennen, dass Halberstad im Animationsfach schon reichlich Erfahrung gesammelt hat. Nach dem Studium an der Kunsthochschule ArtEZ in Arnhem wirkte sie als Animatorin an der Herstellung mehrerer Spielfilme wie How to Survive (2008) und Taking Chances (2012) mit und führte Regie bei etlichen animierten Kurzfilmen, Serien und Musikvideos. Für ihr Langfilmdebüt hat sie mit der Produzentin Marleen Slot in einer ehemaligen Garage in Arnheim das 600 Quadratmeter große Animationsstudio Holy Motion aufgebaut, in dem die niederländisch-belgische Koproduktion in mehr als 200 Drehtagen entstand. Als Vorlage dazu wählte Halberstad das Kinderbuch »Oink’s Revenge« der Bestsellerautorin Tosca Menten, wobei Fiona van Heemstra das Drehbuch schrieb.
Die Messlatte für das Projekt lag hoch, wie die Produzentin im Presseheft betont: »Wir wollten einen Film in der Tradition von Aardman machen, bei dem intelligenter Humor sehr wichtig ist, und der Kinder, aber auch deren Eltern und Großeltern anspricht.« Während die Figuren mit ihren überdimensionierten, ausdrucksstarken Köpfen, das beachtliche Tempo der Story und der Schmunzelfaktor durchaus mit den Klassikern der britischen Knetfigurenschmiede mithalten kann, reicht Oink in handwerklicher Hinsicht nicht immer an das Aardman-Niveau heran. Wenn das Ferkel etwa im Gemüsegarten herumtollt, bleiben seine Beine stets steif durchgedrückt, was ziemlich unnatürlich aussieht. Außerdem übertreibt das niederländische Team den gerade obsessiv anmutenden Einsatz von Fäkalhumor. Dass das Ferkelchen seine Ausscheidungsorgane noch nicht genug kontrollieren kann, um in der menschlichen Zivilisation geduldet zu werden, diese Idee wird hier überstrapaziert.
Deutlich besser gelungen ist die smarte Verknüpfung von Humor und Drama, wobei sich Halberstad von den Büchern von Roald Dahl inspirieren ließ, in denen Kinder sich häufig aus den Händen unzuverlässiger bis gefährlicher Erwachsener befreien müssen. Die Vorstellung, dass ein putziges Ferkel in einer Wurstmaschine landen soll, dürfte für viele kleine Zuschauende schrecklich sein, wird hier aber geschickt aufgefangen durch lustige Gags und einfallsreiche Kinder, die solche fiesen Pläne durchkreuzen können. Paradigmatisch dafür ist eine ebenso spannende wie kuriose Verfolgungsjagd kurz vor Schluss, als Babs, Tijn, Margret, die resolute Tante Christine und ein Bauer dem flüchtigen Opa in einem Kleinwagen, einem Traktor und einem Mähdrescher hinterjagen.