Österreich 2013 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Götz Spielmann Drehbuch: Götz Spielmann Kamera: Martin Gschlacht Darsteller: Nora von Waldstätten, Ursula Strauß, Peter Simonischek, Sebastian Koch, Johannes Zeiler u.a. |
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Zwei Schwestern halten einander fest |
Mit einer jungen Schauspielerin geht es los, ganz unvermittelt wirft uns der Film hinein ins Geschehen: Die junge Frau flirtet schon vor dem ersten Drehtag in Berlin mit ihrem Kollegen.
Es dauert nur wenige Filmminuten, da glauben wir viel über sie zu wissen: Sonja hat wechselnde Liebesverhältnisse und versucht sich doch mit ihnen nur über die eigene innere Leere und Depression zu trösten.
Dann ein Szenenwechsel: Tiefe österreichische Provinz, eine Waldlandschaft, die hauptsächlich von Wandergruppen und Pilgern besucht wird. Dort lebt Verena, die Tochter des alten Gastwirts, der schwer krank ist und spürbar verfällt. Verena ist Sonjas Schwester, sie ist verheiratet und hat einen kleinen Sohn, aber sie hat auch ein heimliches Liebesverhältnis mit dem Landarzt des Kaffs. Auch ihr fällt es schwer, ihrem Leben einen Sinn abzugewinnen: »Wenn mich der Papa mal nicht mehr braucht. Was wird dann sein?«
Am Anfang findet man sich in diesem Film schwer zurecht, gerade weil er dicht und spannend, zugleich sehr offen inszeniert ist. Drei sehr unterschiedliche Figuren – die zwei ungleichen Schwestern und ihr sterbender Vater – bilden das Kraftdreieck dieses Films. Weggehen, dableiben, zurückkehren, ankommen – das sind die Motive.
Und alles scheint möglich: Dass die ältere Schwester ihr Zuhause verlässt, dass die jüngere ihrerseits ein Liebesverhältnis mit dem
Arzt beginnt, dass sich der alte Vater zu einer Kurzschlusshandlung hinreißen lässt. Erst allmählich wird das Beziehungsnetz dichter, die Handlung und ihr Ziel klarer.
Regisseur Götz Spielmann ist ein Solitär unter den österreichischen Filmemachern. Mit Michael Haneke teilt er die Nüchternheit, mit Ulrich Seidl den genauen Blick, mit Barbara Albert den vergleichsweise gefühlvolleren Stil. Nach Antares und »Revanche« ist Spielmanns neuer Film Oktober November einerseits ein auch emotional herbstliches, melancholisch gefärbtes Melodram, das in zurückgenommenem, zart melancholischen Grundton von großen Gefühlen erzählt. Zugleich ist diese präzis erzählte Familiengeschichte auch eine Erzählung über verschiedene Lebensformen und verschiedene Haltungen zur eigenen Existenz. Wie soll man leben?
Die Idyllen sind so trügerisch, wie relativ, und endgültig bieten weder Religion, noch objektive Wahrheiten einen dauerhaften Trost.
Vielleicht am ehesten noch das Wissen, das sich in den vielen Büchern versinnbildlicht, die im im Haus des Landarztes die Wände bedecken.
Aber sonst?
Die Menschen bei Spielmann sind labil, sie sind nicht glücklich.
Sie sind in Lebenslügen gefangen, weil diese vielleicht auch lebensnotwendig sind – und aufdecken können die Figuren nur die jeweiligen Lügen der anderen. Wie die beiden Schwestern, als es zwischen ihnen zu einer Aussprache kommt: »Immer strahlend, immer gut gelaunt. So zufrieden und erfolgreich. Das ist doch net echt. Man weiß überhaupt nimmer, wer Du eigentlich bist.« – »Ja und Du weißt so genau, wer Du eigentlich bist?«
Wer ist eigentlich die Hauptfigur in dieser
Geschichte?
Die jüngere Schwester, die von der aufregenden Nora von Waldstätten in einem überraschenden Auftritt intensiv gespielte Schauspielerin, hinter deren eigentliches Geheimnis der Film seine Zuschauer erst spät kommen lässt?
Oder die ältere Schwester, die in der Provinz geblieben ist, und doch immer nur von Ausbruch, von anderem Leben träumt? Ursula Strauss, die schon in Revanche eine Hauptrolle spielte, und die eine der besten Schauspielerinnen Österreichs ist, gibt ihrer Figur sehr viel Kraft und Würde, einer Frau, die sich vor allem in den Dienst anderer stellt, und immer den anderen gegenüber zu kurz gekommen ist.
Der beste Auftritt ist wohl der von Peter Simonischek, der als Vater ein eindrucksvoller Patriarch ist. Jähzorn und Charme, Chuzpe und Güte wechseln einander in Sekundenschnelle. Der Vater glaubt im Gespräch mit der jüngeren Tochter die Antwort gefunden zu haben:
»Ich hab mir immer viel zu viel Gedanken gemacht.«
»Ja und es hat immer so sein müssen, wie Du es Dir denkst.«
»Dabei ist das Leben so schön. Man muss nur sehen wie schön es ist.«
»Nein Papa. Das Leben is net so schön. Und des war’s auch nie.«
»Die Sachen passieren Kind. Da kann man gar nix machen. Man versteht’s nicht besser. Aber wir haben uns bemüht.«
»Das weiß ich ja.«
Mühe – so also lautet der moralische Rest in skeptischen Zeiten.
Mühe allein genügt nicht, das weiß man zwar auch. Vielleicht aber liegt in der Mühe, in den besten Absichten dann aber doch ein Schimmer des Utopischen. Ob sich die Figuren nach Ende des Films verändern werden, wissen wir nicht. Aber wir wissen immerhin um die Möglichkeit der Veränderung. Die eingeschliffenen Verhaltensmuster sind aufgebrochen.
So wenig ist das nicht. Keiner ist Gefangener seines Lebens.