Südkorea 2003 · 120 min. · FSK: ab 16 Regie: Park Chan-wook Drehbuch: Jo-yun Hwang, Chun-hyeong Lim Kamera: Jeong-hun Jeong Darsteller: Min-sik Choi, Ji-tae Yu, Hye-jeong Kang, Dae-han Ji u.a. |
Er staunt. Wie Mr. Chance in Peter Sellers letztem Film Willkommen Mr. Chance betritt hier einer eine Welt, in der er sich kaum noch zurecht findet, so fremd ist sie ihm nach all den Jahren geworden. Er heißt Oh Dae-su, und ist jener Oldboy, der dem Film den Titel gibt. 15 Jahre hat er in Mafiagefangenschaft in nur einem Raum verbracht, von der Außenwelt abgeschlossen, und die Welt ausschließlich per TV wahrgenommen. Nun versucht er zu verstehen, warum ihm dies alles überhaupt angetan wurde, und je mehr er dies tut, um so mehr verwandelt sich sein Dasein in einen Rachefeldzug. Darin erinnert dieser Film durchaus an eine moderne Version des »Graf von Montechristo«: Seine Hauptfigur wird immer ein Fremder in einer Welt bleiben, die ihm ein für allemal zerstört wurde.
Da Oh Dae-su aber erhält bald merkwürdige Anrufe, die offenbar von seinem Peiniger stammen, wird auch er selbst Objekt einer neuen Manipulation, die womöglich noch teuflischer ist, als jene, die hinter sich hat. Oldboy ist auch ein Paranoia-Thriller, der ähnlich wie z.B. Finchers The Game die Wirklichkeit für seine Hauptfigur zu einer Achterbahn werden lässtbis dieser nicht mehr weiß, wo oben und unten, was wahr und falsch, gut und böse ist.
So kann es hier auch dem Zuschauer gehen, und weil der koreanische Regisseur Park Chan-wook (der zuvor Joint Security Area und den unglaublich brillanten Sympathy for Mr. Vengeance gemacht hatte) damit in genialer Weise die Essenz (jedenfalls eine von mehreren) des Kinos auf die Leinwand gebracht hat, bekam er beim Festival in Cannes die zweitwichtigste Palme, den Spezialpreis der Jury. Sehr zu recht, denn Oldboy, der zweite Teil einer Rachetrilogie, ist fraglos einer der besten Filme des Jahres. Zugleich ist er kontrovers, denn er enthält zweifellos einige sehr brutale Szenen. Nur hat das seinen guten Sinn und ist von Gewaltverherrlichung denkbar weit entfernt. Obwohl hier weitaus weniger Menschen sterben, als in Kill Bill, schockiert der Film manchen durch seine Brutalität. Oldboy ist nicht leicht konsumierbar, trotzdem ist liebevoll – ein Wort, das einem zu dieser Geschichte als erstes einfällt. Man staunt, mit welcher Sensibilität hier erzählt wird: brillant geschnitten, mit nahezu perfektem Gleichklang von Bildern und Musik. Und wie viel Substanz ein Film haben kannkünstlerisch zwingende Bilder, Auseinandersetzung mit Filmgeschichte, aber auch Verweise auf die politische und kulturelle Situation (Süd-)Koreas und des Westens.
Mit dem Staunen beginnt die Philosophie. Vielleicht liegt es daran, dass Park in Deutschland Philosophie studiert hat. Sein Film ist ein spannender, hochemotionaler Rache-Thriller, eine Art koreanische Version von Kill Bill, auch in seinem Stilwillen, zugleich aber auch ein Ideendrama. Jenseits von Gut und Böse, Nietzsches Buchtitel, fällt einem hier ein: Denn jener Unbekannte, der Oh Dae-su gefangen hielt, hat, so stellt sich bald heraus, seine guten Gründe. Und der Film enthält sich aller moralischen Eindeutigkeit, die im Westen so beliebt ist. Seine Coolness ist nicht die schöne eines Melville oder Tarantino. Im Gegensatz zu ihnen, die gern alles ästhetisieren, zeigt Park einfach die Dinge, wie sie sind.
Manchmal ist das sehr hässlich, wenn etwa Zähne im Dutzend gezogen werden, und zwar ohne Narkose. Oder wenn der Titelhelden bei einer Prügelei gleich zum Hammer greift, Messer, Bretter und anderes zum Einsatz kommen. Manchmal ist es aber auch wunderschön, etwa wenn ein Tintenfisch bei lebendigem Leib verspeist wird, und sich die Fangarme der sterbenden Kreatur poetisch ringeln. Wer das nicht glaubt, muss ins Kino gehen.