Spanien 2016 · 99 min. · FSK: ab 6 Regie: Icíar Bollaín Drehbuch: Paul Laverty Kamera: Sergi Gallardo Darsteller: Anna Castillo, Pep Ambròs, Javier Gutiérrez, Manuel Cucala, Miguel Angel Aladren u.a. |
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Einen alten Baum verpflanzt man doch: »el Olivo« |
Stumm steht er da, gefangen und doch mächtig: ein knorriger Olivenbaum, dem die Äste gestutzt wurden als seien sie Flügel gewesen, die ihn davontragen könnten, aus der Empfangshalle eines multinationalen Energiekonzerns in Düsseldorf.
Ein starkes Bild, gleichermaßen visuell beeindruckend wie symbolträchtig, das die spanische Regisseurin Icíar Bollaín ins Zentrum ihres fünften Spielfilms El Olivo – Der Olivenbaum setzt. Von ihm ausgehend lässt sie wie die Wurzeln des Baumes verschiedene Themen in den erzählten Raum hineingreifen: Familie und Tradition, Wandel und Beständigkeit, aber noch viel weitgreifendere, wie die Wirtschaftskrise Spaniens, die Globalisierung, die großen Zusammenhänge.
Ein uralter Olivenbaum, 2000 Jahre alt und noch zur Zeit der Römer gepflanzt, ist der titelgebende Held. Ein alter Baum aus der Gegend von Katalonien, der verpflanzt wird, obwohl man dies dem deutschen Sprichwort nach nicht tun soll. Der Baum wurde verkauft von den Söhnen eines alten Olivenbauers, nun selbst wurzellos geworden, der seinen Baum täglich auf dem Olivenhain und einem gesichtslosen Parkplatz sucht, zwischen einer Vielzahl an dorthin verpflanzten, zurechtgestutzten und zu Dekoration gewordenen anderen Olivenbäumen. Die eigenen Söhne verkauften den Baum für das schnelle Geld, um Schulden zu tilgen. Für den landwirtschaftlichen Ertrag brauchten sie den Olivenbaum ohnehin nicht mehr: zu langwierig, zu teuer ist die Gewinnung des hochwertigen Olivenöls, an dessen Stelle setzte sich die intensive Landwirtschaft, hier eine Geflügelfarm. Der Enkelin Alma jedoch hatte der Opa noch beigebracht, im Olivenbaum eine Monster-Fratze zu entdecken und ihn dadurch zu einem lebendigen, unheimlichen, aber vertrauten, »anrufbaren« Wesen mit einer schützenswerten Seele zu machen, und Alma, spanisch »die Seele«, ist es auch, die einen befreundeten Lkw-Fahrer und ihren Onkel dazu bringt, den verkauften und verpflanzten Baum zu finden. In die Welt hineingetragen wird in Düsseldorf dann jedoch aus der Familienangelegenheit eine Sache der Umweltaktivisten, die protestierend auf die globalen Zusammenhänge aufmerksam machen.
Ein globalisierungskritischer, aufklärender Film ist El Olivo gewiss, auch aufrührend und berührend, ein insistierendes »Empört Euch!« Aber dann hat er auch wieder überraschende Untertöne, wenn sich die Spanier verdrücken, die doch das Thema erst hineingebracht hatten, in die deutsche Landschaft, in dem Moment, als die Demonstration zu einer großen politischen Sache zu werden droht. Und einen wenn auch klischeeverankerten, so dennoch befreienden Humor hat der Film, wenn über die Wirtschaftsmacht der Deutschen, das schlechte Wetter und die Hässlichkeit von Kommerz-Düsseldorf hergezogen wird. Paul Laverty hat das Drehbuch geschrieben, der auch für die Drehbücher des Sozialbriten Ken Loach verantwortlich ist. Der Ire ist seit einigen Jahren mit Icíar Bollaín liiert, hat auch das Drehbuch von Und dann der Regen – También la lluvia geschrieben und die Regisseurin international bekannt gemacht. Die Leichtigkeit, die sich immer wieder in diesen empörten Film mischt, scheint von einer glücklichen Liaison der Temperamente und Anliegen zu kommen.
So ist der Laverty-Baum ein unverkennbares Mahnmal, das eine deutliche Botschaft ausspricht: Verkauft in der Not eure Werte nicht, ihr werdet es bitter bereuen. Zwischen die immer wieder rührseligen Ungerechtigkeitsstatements mischt sich eine wohltuende, nach vorne gerichtete Wut, die die junge Alma verkörpert. Sie zielt am Ende überraschend nicht auf eine Wiederherstellung der alten Ordnung, wie es ganz im Sinne des patriachalen Erbes (ihres Opas) wäre. An deren Stelle setzt sie das Plädoyer für einen kreativen Umgang mit der veränderten Welt. Und schließt dabei jede Resignation aus. Bäume können nachwachsen, wenn man ihnen dazu Gelegenheit gibt.