Großbritannien/F/B 2023 · 113 min. · FSK: ab 12 Regie: Ken Loach Drehbuch: Paul Laverty Kamera: Robbie Ryan Darsteller: Dave Turner, Ebla Mari, Debbie Honeywood, Chris Gotts, Joe Armstrong u.a. |
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Zwei Wege, ein Ziel... | ||
(Foto: Wild Bunch) |
Wie schon nach Ken Loachs letzten beiden Filmen Ich, Daniel Blake (2016) und Sorry We Missed You (2019) steht auch nach The Old Oak vor allem eine Frage im Raum: wie lang schafft er das noch und wer soll Loach mit seinen 87 Jahren und sein so wichtiges sozialrealistisches Kino nur beerben? Mehr noch, als Loach vor der Premiere seines Films in Cannes wissen ließ, dass dies sein letzter Film sein würde. Zum Glück hat er das ein paar Monate später wieder relativiert. Aber die Frage bleibt bestehen: wer nur soll Loachs hochpolitischen und sozialrealistischen Ansatz, den er seit Kes (1969) unbeirrlich und konsequent und nur mit ein paar historischen aber nichts destotrotz politischen Ausflügen wie The Wind That Shakes the Barley (2006) verfolgt hat, wer nur soll dieses filmische Erbe fortführen?
Auch The Old Oak ist ein glaubwürdiger, schmutziger, hyperrealer Film über die versehrte Gesellschaft im Norden Englands. Wer einmal den Norden Englands besucht hat, wird ihn in Loachs Film so ungeschminkt und heruntergekommen wiederfinden, wie er es selbst gesehen hat und wie es englische Freunde immer wieder bestätigen. Natürlich ist das ein Film, der moralisierend ist, der schwarz und weiß gegeneinanderhält, der aber dennoch, und das ist in jedem Loach-Film so, die Abgründe zu überwinden sucht, der einen Diskurs versucht, der im besten Fall in einen Dialog mit dem Zuschauer mündet. Ken Loachs Kino ist dialektisches Kino und das ist auch in seinem neuesten Film nicht anders.
Dennoch ist etwas anders in The Old Oak, denn zum ersten Mal ist es nicht nur das kaputte England oder Irland, das im Zentrum eines Films von Loach steht, sondern es ist die kaputte Welt. Die Welt, die in The Old Oak durch syrische Flüchtlinge thematisiert wird. Denn weil viele Häuser leer stehen und billig sind, werden in der ehemaligen Bergarbeiterstadt, die Loach hier zeigt, 2016 syrische Flüchtlinge untergebracht. Eine von ihnen ist die junge Yara (Ebla Mari), die sich mit ihrem Vermieter TJ Ballantyne (Dave Turner), dem Besitzer des »Old Oak«, anfreundet, einem Pub, dem im Zuge der Abwanderung sichtlich die Kundschaft weggebrochen ist und nur mehr ein paar Stammgäste geblieben sind.
Loach positioniert sich sehr schnell, gleich in den ersten Einstellungen, als die Flüchtlinge eintreffen und von einigen Anwohnern unter wüsten Beschimpfungen empfangen werden. Dieses Sittenbild spiegelt sich dann auch im Pub von Ballantyne wieder, der seine fremdenfeindlichen Gäste nicht verlieren will, gleichzeitig aber Empathie mit den Flüchtlingen, vor allem aber mit Yara entwickelt. Hier zieht Loach dann auch eine wichtige Parallele zur englischen Vergangenheit, zu den Jahren der Thatcher-Regierung und den erbitterten Bergarbeiterstreiks Mitte der 1980er Jahre. Auch damals ging es nicht nur um die Wirtschaft, sondern auch im Politik und Identität, nicht anders als in der Migrationskrise unserer Gegenwart. Und genauso wie damals gibt es Befürworter, Kämpfer für ein gerechteres Morgen und die Streikbrecher, die sich damals wie heute dem neoliberalen Duktus verschrieben haben.
Loach differenziert diese charakterlichen Gegensätze überzeugend aus, zeigt etwa über die Szene mit dem geschenkten Fahrrad und Mobbing-Szenen in der Schule, dass es nicht nur zielloser Neid auf ein anderes, vermeintlich besseres Leben ist, sondern immer wieder auch unausrottbare gruppendynamische Prozesse sind, die aus einem frustrierten Einzelschicksal ein gewalttätiges gesellschaftliches Element werden lassen.
Fast schon ein wenig altersmilde bugsiert Loach diese lebensfeindlichen Prozesse immer wieder in den Hintergrund, widmet sich stattdessen fast schon überdokumentarisch Alltagsszenarien, etwa Momenten in einem Friseursalon, in dem die Laiendarstellerinnen sich dann fast ein wenig zu sehr nach gescripteter Reality anhören; scheint Loach auch im übrigen die Form fast schon egal zu sein, sind die Schnitte oft brutal, wirken Szenen manchmal nicht wirklich schlüssig beendet, etwa als Ballantyne im Nebenraum des Pubs Yara von seinem Vater und den Streiks erzählt.
Doch das stört nur einen Moment lang, denn Loach überrascht ein weiteres Mal, steht am Ende wie in seinen letzten beiden Filmen nicht ein gesellschaftlicher kaum zu ertragender Komplex im Raum, der so abscheulich ist, weil er Menschlichkeit bis in den familiären Kern bedroht, sondern am Ende von The Old Oak steht vielleicht zum ersten Mal bei Loach die Utopie im Vordergrund, mit Loachs dringendem Wunsch nach Inklusion. Denn was Loach in The Old Oak zeigt, sieht sich an wie eine Blaupause im Kleinen, von der man das Große ableiten kann. Was hier passiert, wie hier Integration und Menschlichkeit im Kleinen praktiziert wird, mit dem Bewusstsein und der Kraft der eigenen Vergangenheit und Identität, ist für Loach der Baustein für eine bessere Welt. Mehr Utopie geht eigentlich kaum. Und mehr Realität auch nicht.