USA/F/DK 2013 · 89 min. · FSK: ab 16 Regie: Nicolas Winding Refn Drehbuch: Nicolas Winding Refn Kamera: Larry Smith Darsteller: Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Yayaying Rhatha Phongam, Vithaya Pansringarm Tom Burke u.a. |
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Könnte der gleiche Flur sein, ist das gleiche Gesicht, ist aber leider ohne Drive |
»Die Sprache ... kann die Seele nicht malen, und was sie uns gibt, sind nur zerrissene Bruchstücke.« – So schrieb Heinrich von Kleist vor etwas mehr als 200 Jahren. Das Kino muss etwas anderes tun. Es muss zeigen, muss Bilder schaffen. Leisten, was zu Kleists Zeiten nur das Theater vermochte. Und gutes Kino ist ein Choc und zugleich Schönheit, so wie »Amphytrion«, »Penthesilea« oder die »Hermannschlacht« ein Choc und zugleich Schönheit waren und sein können.
Drive – das war Anfang 2012 der vielleicht schönste, allemal der überraschendste Film des Jahres. Nicholas Windig Refn kannte man bis dato nur von einschlägigen Genrefilmen, wie seiner Pusher-Trilogie, die in den frühen 90er Jahren auf der Tarantino-Welle mitschwamm, inzwischen doch recht gealtert ist, und der Filmgeschichte vor allem deshalb im Gedächtnis
bleiben wird, weil mit ihr Mads Mikkelsen bekannt wurde. Ein paar andere Werke folgten, Fear X ist einen zweiten Blick wert, und Walhalla Rising, wieder mit Mikkelsen, war bis dahin fraglos Refns bester Film. Dann kam Drive. Sensationelle erste zehn, 15 Minuten, dann immer noch sehr stark, ein romantischer Film voller Herz, mit überzeugendem Musikeinsatz. Fraglos großartiges Kino, das zu Recht, aber immer noch sensationell in Cannes den Regie-Preis gewann, und zum Welterfolg wurde.
Schwer daran anzuknüpfen. Was würde Refn tun?
Only God Forgives, Refns neuer Film, ist eine Art Gangstergeschichte. Sie spielt in Thailand. Am Anfang sieht man einen Boxring, zwei Amerikaner, die Muay-Thai-Kämpfe von Thai-Jungs organisieren. Ein neonroter Set, Koks und Verbrechen liegen in der Luft. Sie sind Brüder, einer geht los, besucht Bordelle, verprügelt den Besitzer, weil er offenbar auf besonders junge und jungfräuliche Mädchen steht, und sie nicht bekommt. Schnitt. In einem anderen
Etablissement nimmt er eine junge Frau mit aufs Zimmer, wir ahnen schon Böses, und tatsächlich liegt sie bald tot in ihrem Blut in ihrem Raum. Warum und wieso? Gründe (um mal von Motivationen gar nicht erst zu reden) werden in diesem Film konsequent nicht gegeben. Auch nicht dafür, warum der Mörder im Zimmer sitzen bleibt, nicht dafür, warum der nun ermittelnde Polizei-Offizier den Vater der Ermordeten zum Tatort kommen lässt, um ihn mit dem Täter im Zimmer einzuschließen, mit der
Bemerkung: »Do whatever you want.«
Als er die Tür wieder öffnet, ist der Mörder überaus grausam zerschmettert.
Gründe gibt es auch nicht dafür, warum nun wiederum der Polizei-Offizier den Vater an einen anderen Ort schafft, um ihm da überaus stilisiert mit einem Samurai-Schwert, das er recht unbequem im Rücken unter der Uniform versteckt hat, den Arm abzuhacken. Damit er, wie der Mann des Gesetzes erklärt, in Zukunft mehr auf seine drei überlebenden Töchter achtgebe. Dazu wird er nicht viel Gelegenheit haben, denn ein paar Tage später wird der Mann mit dem Armstumpf dann ermordet. Wir wissen, wer die Killer sind. Denn kurz zuvor ist die von Kristin Scott Thomas mit gelbblond gefärbtem Haar und dicken roten Plastikfingernägeln gespielte, auch sonst so billige, wie unsympathische Mutter der beiden Brüder aus den USA angereist.
Diese Frau entpuppt sich als Gangstermami und eine Art Ma-Baker des White-Trash. Fluchend, vulgär und knallhart kommandiert und erniedrigt sie den von Ryan Gosling gespielten überlebenden Sohn. Eigentlich weiß man von Anfang an, worauf die Handlung des Weiteren hinauslaufen muss: Versuche, den nicht gerade uncoolen Polizei-Offizier (noch die interessanteste, aber auch nicht entwickelte Figur) zu ermorden, scheitern vorhersehbar, weniger vorhersehbar verliert Gosling auch den Thai-Boxkampf-Showdown mit dem Offizier überaus klar. Woraufhin der die Mutter tötet, und Gosling die unverständlicherweise völlig schutzlose Tochter des Polizei-Offiziers verschont, aber – only God forgives – dafür keineswegs Dank erntet, sondern auch noch per Samuraischwert einen Arm abgehackt bekommt – offenbar damit alles seine Ordnung hat. Das wiederum überrascht nicht, denn das hatten wir schon gesehen, als Tagtraum Goslings ganz zu Beginn, während sich eine hübsche Thai-Nutte vor ihm befriedigte...
Was kann man zugunsten all dessen sagen? Refn zeigt uns eine trostlose Welt, so kaputt, wie sie eben wirklich ist. In einer solchen kaputten Welt bedarf es Anstrengungen, um überhaupt zu überleben. Goslings Figur, genau das macht sie zum Helden, versucht da irgendwie würdevoll und integer durchzukommen.
Diese so vertrackte wie in sich sinnlose Rachegeschichte krankt nicht allein daran, dass man keine einzige dieser Figuren auch nur von fern sympathisch findet. Sie ist vor allem ganz einfach banal, und trägt allenfalls für einen Kurzfilm. Sie scheint am Ende nichts als ein seichter Vorwand für die hochstilisierte Inszenierung von von Folter, Mord und anderen Gewaltakten, in Zeitlupe.
Only God Forgives sieht ohne Frage mitunter recht hübsch aus und ist gelegentlich sogar glänzend inszeniert. Atmosphärisch ist das weitgehend stimmig, Refn schafft surreale Räume und entführt sein Publikum in eine andere, eigene Welt. Was an dem Film aber wirklich wütend macht, ist zum einen die aufgeblasene Attitüde, die stilisierten Zeitlupen, die bedeutungsschweren Szenen, wie die, dass Gosling gegen Ende, als er die Leiche seiner Mutter findet, noch mit der Hand durch die Wunde in deren Leib herumstochert – um das Herz zu finden? Dieser Film ist vor allem Möchtegern.
Alles das ist hochgradig prätentiös und in seiner elliptischen Inszenierung auf der Stelle tretend. Langsam und bedeutungsschwer ist dies in jeder Hinsicht das Gegenteil von Drive – dieser Film hat so gar keine Leichtigkeit, kein Tempo, keine Energie. Vielmehr paart sich Einfallslosigkeit mit Frauenhass und überaus prätentiösen Jungs-Phantasien. Only God Forgives ist ein Buberlfilm, der in einem den Gedanken weckt: Den Refn hätte seine Mami mal öfter übers Knie legen sollen. Dann müsste er Mutterkomplexe und andere Traumata jetzt nicht mühsam auf der Leinwand abarbeiten. Für die Person des Regisseurs muss man jedenfalls nach diesem Film das Schlimmste befürchten, zumal Refn in Interviews Sätze von sich gibt, wie den, er widme diesem Film seinem zur Zeit noch ungeborenen Sohn. Wenn dem tatsächlich so ist, sollte Refns Frau nochmal grundsätzlich über einiges nachdenken.
Ein stilisiertes Nichts, schöne Klamotten an schönen Menschen zu Neonzwielicht und Musik – genau solches Boutique-Kino diskreditiert leider auch weitaus klügere Ansätze eines Kinos der Oberflächen und des Driftens – denken wir an Sofia Coppola oder Wong Kar-wai – gleich mit.
Missverstandenes Asien ist alles natürlich auch, weil Refn vermutlich selber glaubt, er sei hier irgendwie Zen-buddhistisch drauf, bloß weil sein Bulle immer zwischen den Schwert-Aktionen schwermütige Thai-Pop-Schlager singt. Dabei ist er gerade in seinem Asien-Zugang nichts als ein Kino-Tourist.
Auch mit Wong Kar-wai hat das so gar nichts zu tun: Denn auch der ignoriert zwar Plot, aber er webt ein dichtes Netzwerk klarer Referenzen, wo Refn nur mit Andeutungen herumblubbert.
Bei Wong wird nicht im Bild gesprochen, aber aus dem Off.
Der Gipfel dieser Zumutung ist dann im Nachspann die Widmung bzw. der Dank für Alejandro Jodorowsky und Gaspar Noé. Damit wir, wenn wir es schon nicht von selbst verstehen, nur ja begreifen, wie hart – Noé – und wie kosmologisch – Jodorowsky – dieser Refn drauf ist.