The Outrun

GB/D 2024 · 119 min. · FSK: ab 12
Regie: Nora Fingscheidt
Drehbuch: ,
Kamera: Yunus Roy Imer
Darsteller: Saoirse Ronan, Paapa Essiedu, Stephen Dillane, Nabil Elouahabi, Scott Miller u.a.
The Outrun
Den Schmacht vertreiben
(Foto: Studiocanal)

Zu blass auf der Insel

Nora Fingscheidts neuer Film folgt einer jungen Frau zum Entzug auf die Orkneyinseln und bleibt dabei leider zu oberflächlich

Ein Kind an einem Strand aus Kies, braune Algen liegen ange­schwemmt an der Bran­dungs­stufe. Graue Wolken ziehen über die Szenerie, das Kind sammelt Strandgut, im Meer die Köpfe von Meeres­be­woh­nern. »Manche Seehunde kämen nachts an Land und würden zu Menschen werden, doch blieben sie zu lange dem Wasser fern, müssten sie auf immer Menschen bleiben und unglück­lich sein…«, erfährt man aus dem Off. Schnitt. Eine leere Bar zu später Stunde. Eine junge Frau mit gefärbten Haaren kommt herein und beginnt die Reste aus den Gläsern trinken. Auf die Auffor­de­rung des Barkee­pers, endlich nach Hause zu gehen, reagiert Rona aggressiv, wehrt sich, wird schließ­lich aus der Bar geworfen, landet im Dreck vor dem Pub. Mensch­li­cher Tiefpunkt, rock bottom.

Schnitt. Die junge Frau Rona (Saoirse Ronan), die gefärbten Haare sind nun etwas heraus­ge­wachsen in einem Overall zwischen Schafen auf einer Insel der Orkneys. Zahlen werden am unteren Bildrand einge­blendet: 30, 90, 117… und nur langsam beginnt man zu begreifen, worum es geht und auf welcher Zeitachse sich diese Erzählung bewegt. Rona, 29 Jahre alt, Studentin der Biologie, ist in ihre Heimat geflohen, um ihre Alko­hol­ab­hän­gig­keit zu besiegen.

Nach ihrem Ausflug in die ameri­ka­ni­sche Filmwelt kehrt Nora Fing­scheidt mit ihrer dritten großen Regie­ar­beit wieder zum europäi­schen Film zurück. Grundlage für The Outrun bildet die gleich­na­mige Auto­bio­grafie der schot­ti­schen Jour­na­listin Amy Liptrot, die ihren Alko­hol­entzug und die Rückkehr in ihre Heimat auf den Orkneys verar­bei­tete. Gemeinsam arbei­teten Liptrot und Fing­scheidt an der Dreh­buch­fas­sung ihrer Memoiren; Off-Kommen­tare sind direkt dem Buch entnommen, philo­so­phi­sche Betrach­tungen über Orkney und seine Bewohner:innen. Die Film­hand­lung folgt, in Rück­blenden zersplit­tert, sehr genau Amy Liptrots Erfah­rungen. Saoirse Ronan spielt Liptrots Alter Ego Rona mit Wut, Macht und Verletz­bar­keit, die Land­schaft ist atem­be­rau­bend, die Kame­rafüh­rung dicht, doch etwas knirscht in diesem Film, dessen Ingre­di­en­zien für sich genommen alle sehr gut sind.

Der Film reiht groß­ar­tige Land­schafts­ein­stel­lungen an intensiv wilde Rück­blicke in Ronas exzes­sives Leben in London, Gespräche in der Gruppe der Anonymen Alko­ho­liker an Erin­ne­rungen aus Ronas Kindheit, in der schon der Vater mit einer psychi­schen Erkran­kung kämpfen musste, und es bleibt nur eine Reihung. Die Szenen laufen nach­ein­ander ab, doch bekommen sie keinen wirk­li­chen Kitt. Es mag viel­leicht an den vielen Sprüngen in der Zeit liegen, aber ein tieferes Bewusst­sein für Rona und ihr Hier und Jetzt, aus dessen Gegenwart sich auch eine Vergan­gen­heit und Zukunft erfühlen lassen, bleibt außen vor. Rona am Strand, Rona im Exil auf einer winzigen Insel, allein am Schreib­tisch – nie öffnet sich der Blick auf eine Frau, die mit großer Kraft das erlebte in Worte fassen wird, sich eine lite­ra­ri­sche Verar­bei­tung ankündigt. Letzten Endes lässt sich nicht sagen, ob es von Vorteil ist, Amy Liptrots Geschichte zu kennen, denn The Outrun lässt einen unbe­frie­digt zurück: für das Biopic einer künftigen Schrift­stel­lerin wird ihr Drang, ihr Innen­leben zu wenig spürbar, für das Portrait einer jungen Alko­ho­li­kerin auf der Suche nach Heilung bleibt es leider etwas zu frag­men­tiert.