USA 2022 · 106 min. · FSK: ab 16 Regie: Graham Moore Drehbuch: Graham Moore, Jonathan McClain Kamera: Dick Pope Darsteller: Mark Rylance, Zoey Deutch, Dylan O'Brien, Johnny Flynn, Simon Russell Beale u.a. |
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Sich dem unheilvollen Gang der Dinge anvertrauen... | ||
(Foto: Universal Pictures) |
»Wer sich zu den Hunden legt, steht mit den Flöhen auf.« – George Herbert
In diesem Film ist alles mit Liebe gemacht. Es beginnt mit dem intelligenten und herrliche Überraschungen bergenden Drehbuch des Regisseurs Graham Moore, das er selbst mit Johnathan McClain verfasst hat. Moore hatte schon mit dem Drehbuch des für den Oscar prämierten The Imitation Game gezeigt, was er kann, und führt jetzt auch Regie. Die Premiere des Films war auf der diesjährigen Berlinale.
Die Geschichte führt uns in das Jahr 1956 nach Chicago, wo der exilierte, nicht mehr junge Engländer Leonard Burling ein Geschäft für maßgeschneiderte Anzüge für eine wohlhabende Kundschaft betreibt. Außer seiner hübschen Sekretärin Mable (Zoey Deutch), die er wie eine Tochter schätzt, hat er keine Mitarbeiter. Alles strahlt eine ruhige, fast weltabgewandte Gediegenheit aus. Wäre da nicht eine leichte Irritation: Einer seiner Kunden ist der Mafia-Boss Roy Boyle, dessen Sohn und andere Gangster sein Geschäft als Informationszentrale nutzen, indem sie Briefe und Päckchen in einen Briefkasten im Atelier werfen.
The Outfit beginnt mit jazzigen, leichten Schlagzeugbeats und lässt sich Zeit, in aller Ruhe den Protagonisten Leonard Burling (Mark Rylance) bei seiner Arbeit zu zeigen. Wir sehen ihn ein Anzugsmuster fertigen, mit der schweren Schere die Stoffe zuschneiden, die Teile zusammensetzen etc. Aus dem Off gibt es eine kleine Einführung in die Grundzüge des Schneiderhandwerks. Mark Rylance, der seinen schauspielerischen Schwerpunkt eigentlich auf die Theaterarbeit gelegt hat, was für Filmfans sehr bedauerlich ist, hat sich sehr ausführlich auf seine Rolle vorbereitet und einige Wochen lang als Cutter beim englischen Maßschneider Huntsman (der Laden diente als Drehort für Kingsman: The Secret Service) in der Londoner Savile Row gearbeitet, um sich mit dem Handwerk vertraut zu machen. So besteht Burling auch im Film darauf, ein »Cutter« zu sein, nicht ein »Tailor«. Die Unterscheidung ist für den Uneingeweihten schwer nachzuvollziehen. Aber die Liebe zum Detail geht so weit, dass Rylance sogar an der Herstellung seiner Kleidung beteiligt war, die er im Film trägt. Das kann man übertrieben finden, aber es beweist auch die Sorgfalt und den liebevollen Aufwand der Vorbereitung, was man dem Ergebnis einfach ansieht. Und: Auf jeden Fall gibt der englische Schauspieler einen absolut glaubwürdigen Schneider, Verzeihung Cutter, ab.
In fast Hitchcock-artiger Langsamkeit entfaltet sich in diesem auch für die Bühne geeigneten Kammerspiel der immer schneller sich abwechselnden Auftritte die spannende Handlung. Der bescheidene Herrenschneider gerät nämlich mit seiner Sekretärin, die ein heimliches Verhältnis mit dem Mafiasohn Richie Boyle hat (Dylan O’Brien), in den Strudel der kriminellen Machenschaften – ausgelöst durch eine verschwundene Ton-Cassette, die wichtige Mitschnitte des offenbar verwanzten Geschäftes enthalten soll. Ein klassischer MacGuffin à la Hitchcock. So steigert sich langsam das Erzähltempo, die Ereignisse überschlagen sich – von der fantastischen Filmmusik von Alexandre Desplat dann immer treibender und wilder vorangetrieben, bis sie einen mit großen Pauken, rhythmischen Streichern und Stakkato-Klavier-Akkorden fast an die Musik von Hans Zimmer erinnert. Der überaus abwechslungsreiche Soundtrack lohnt sich auch für ein separates Anhören und zeigt wieder einmal die besondere Kreativität von Alexandre Desplat, der mit Das Mädchen mit dem Perlenohrring seine internationale Karriere begann und seitdem schon zwei Oscars abräumen konnte (Grand Budapest Hotel, The Shape of Water).
Doch nicht nur aufgrund seiner sich so behutsam entwickelnden Spannung, sondern auch aufgrund der auf Braun- und Grautöne reduzierten Farben und der besonderen Lichtregie (Kamera: Dick Pope), die durch die Beschränkung auf nur eine große Deckenleuchte auch einige Schattenräume erzeugt, entsteht ein 50er-Jahre-Feeling, vielleicht sogar in Richtung Film Noir, das durch die Kleidung und die liebevoll ausgestaltete Szenenerie des Geschäftes (Gemma Jackson) vervollständigt wird. Nur dass vielleicht die Spannung von The Outfit in ihrer Körperlichkeit der Action moderner, die Kameraführung variabler und näher an den Schauspielern und Dingen (Achtung Schere!) ist als bei den klassischen Vorbildern dieser Jahre.
Thematisiert und durchgespielt wird auch die ethisch relevante Grundfrage: Kann man Geschäfte mit skrupellosen Partnern machen, ohne sich dabei selbst die Hände schmutzig zu machen? Wo beginnt die Kooperation, wo endet das bloße Wegschauen? Fragen, die auch politisch aktueller nicht sein könnten!
Aber auch auf der Figurenebene und als Schauspielerfilm hat The Outfit (der Titel bezieht sich auf eine ominöse übergeordnete Verbrecherorganisation) viel zu bieten, weil die Rollen, allen voran der überragende Mark Rylance, sämtlich toll besetzt sind, ein Eigenleben führen und mit Überraschungen aufwarten. So erfahren wir beispielsweise durch eine Schneekugel-Sammlung von Mables Europa-Reise-Träumen. Und die besondere Nähe Burlings zu seiner jungen Sekretärin hat auch einen besonderen Grund, den wir später erfahren, wie auch den wirklichen Anlass, warum er aus London in die USA emigrierte.
So kann man sich bei diesem wundervoll altmodisch inszenierten Thriller als Zuschauer vertrauensvoll in den Kinosessel schmiegen und sich dem unheilvollen Gang der Dinge anvertrauen. Denn in diesem Film ist alles mit Liebe gemacht.