D/I/CH/F 2018 · 96 min. · FSK: ab 0 Regie: Wim Wenders Drehbuch: Wim Wenders, David Rosier Kamera: Lisa Rinzler Schnitt: Maxine Goedicke |
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Ziemlich verschmitzt |
Er hat viele Fans weit über die Katholiken hinaus – Papst Franziskus, der erste Papst, der nicht aus Europa stammt, sondern aus Lateinamerika. Der erste Jesuit auf dem Papstthron hat, so scheint es, einen neuen Stil in den Vatikan gebracht und auch mit der Wahl seines Namenspatrons Franz von Assisi ein Zeichen für einen Wertewandel in der Katholischen Kirche gesetzt. Einer seiner größten Fans ist der deutsche Regisseur Wim Wenders, ein bekennender Christ, und übrigens kein Katholik, sondern ein Evangelikaler. Nun ist Fantum und Glaube leider nicht unbedingt die beste Haltung – weder für einen Filmkritiker (wie man auch an manchen Wenders-Rezensionen merken kann), noch für einen Filmemacher, auch nicht für einen Werbefilmer…
Das eine ist das eine, das andere ist das andere. Das eine, das ist der Hauptdarsteller dieses Films. Er, man muss das genauso sagen, er reißt es immer wieder raus. Immer wenn die Kamera gar zu sehr schwurbelt, vom Himmel hoch sachte und engelsgleich auf die Erde herabschwebt, oder wenn sie mit dem Papst zusammen auf einem offenen Wagen durch das Spalier der jubilierenden Massen fährt, sodass sich ein Kritiker gar zu einem Riefenstahl-Vergleich hinreißen ließ – was natürlich fies ist, aber nicht falsch, erst recht nicht, wenn man sich erinnert, dass Wenders, als er noch ein deutscher Jungfilmer war und kein liebender Christ, und als er noch Filmkritiken schrieb, auch gern mal mit der Faschismus-Keule herumgedroschen hat –, immer wenn Wenders mit von sich selbst beseelter Stimme wieder irgendwelche Platitüden über den Untergang der Welt aus dem Off über sein Publikum ausgießt, über die Umweltkatastrophe und über Fukushima und, und, und, bevor dann Franz von Assisi als eine Art spiritueller Superheld im Schwarzweiß-Stummfilm-Stil die Welt so gerade nochmal rettet, weil er mit den Vögeln spricht, oder so ähnlich, immer, wenn man es also kaum noch aushält vor Fremdschämen und Selbstschämen in diesem Film, dann steht der Papst längst schon mit beiden Beinen fest auf der Erde und sagt irgendetwas Vernünftiges, Gutes, was auch von einer schwäbischen Hausfrau oder einem argentinischen Fußballtrainer stammen könnte.
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Es ist ja nicht so, dass das Christentum oder die Katholische Kirche nichts zu sagen hätten. Es ist auch nicht so, dass die Liebe und die Bergpredigt, dass alle diese sogenannten »einfachen Wahrheiten« Schrott wären, bloß weil sie einfach sind – im Gegenteil.
Der Papst redet über die Gegenwart, und sagt eine Menge kluge Sachen. Die Welt von heute sei taub, sei getrieben, die Unruhe der Menschen, von einem Zeitgeist, einer Kultur der ständigen Steigerung und Beschleunigung. Aber am siebten Tage solle man ruhen: »Wir sind keine Maschinen. Wir verlieren das Menschliche.«
Einfache Wahrheiten wie gesagt, aber nicht falsch.
»Unterschiede machen den Menschen Angst. Aber Unterschiede lassen uns wachsen.« – Wieder weise,
zustimmungsfähige Worte, die progressiv und universal sind, auch wenn sie durchaus manche bestreiten würden. Worte, die aber auch folgenlos bleiben, wenn der Papst sie sagt. Und dann, wie ein Fazit, die Zusammenfassung dieser sympathischen Religionsauffassung: »Gott respektiert die Freiheit.«
Dieser Mann, dieser Hauptdarsteller des Films, sagt hier auch Dinge, die vielleicht besser Martin Schulz letztes Jahr im Wahlkampf hätte sagen sollen. Hätte, hätte, Fehlerkette. Aber solche Reden, die hält bei uns sowieso kein Sozialdemokrat, sondern nur der Papst – so weit ist es eben schon gekommen.
Am besten ist Papst Franziskus bei öffentlichen Massenauftritten. Und zwar aus drei wesentlichen Gründen. Vor allem, und das ist möglicherweise das Wichtigste, weil Franziskus viel Humor hat. Weil er erkennbar Distanz zu sich selber hat.
Dann, weil dieser Papst in seinen Aussagen wünschenswert klar ist. Er spricht über die »Ökonomie der Ausgrenzung« und die »Kultur des Mülls«. Arbeit, »das Nobelste, das der Mensch hat«, und »wenn man sein Brot nicht verdienen kann«, sei keine
Menschenwürde möglich. »Man kann nicht zwei Herren dienen – Gott und den Reichen.« Ein Skandal seien Armut und Hunger – wer könnte da widersprechen?
Was kann ein Papst in Yad Vashem sagen? Franziskus fällt etwas ein: »Adam wo bist du? Mensch, was hast du getan?« Und er bittet Gott um die Fähigkeit, sich zu schämen für das, was wir fähig waren zu tun.
Diese sehr direkten menschlichen Gesten, die in ihrer Unmittelbarkeit anrühren, egal, wie man zum christlichen
Glauben und zur Amtskirche steht, sind das dritte Element. Wenn er Armen oder Strafgefangenen zum Beispiel die Füße wäscht, dann mag das auch eine öffentliche Geste sein. Aber es ist zugleich eine sehr direkte menschliche Tat, in der der Papst auch stellvertretend für uns Ignoranz und Abscheu überwindet.
Und ich muss zugeben, dass das die Szenen sind, in denen mich dieser Film, trotz all seinen Schwächen, dann doch gerührt hat.
»El papa está con vos.« Der Papst ist mit Euch
– in einer Rede vor Hunderttausenden Armen aus den brasilianischen Slums. Das ist es, was man von einem Papst heute erwartet. Und so hat dieser Film immer wieder rührende Momente. »Jede Familie hat Probleme – man löst sie durch Liebe.« Es sind einfache Wahrheiten, die der Papst verkündet – aber noch einmal: das macht sie nicht falsch.
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Das alles hätte Wenders vom Papst lernen können: Klarheit, Einfachheit, Humor und Distanz zu sich selbst. Wenn das Christentum heißt, dann lohnt sich die Beschäftigung damit. Wenn aber Christentum heißt, wie Wim Wenders zu reden, und Filme wie Wenders' Spätwerk zu machen, dann möchte ich doch lieber Atheist sein, oder wenigstens Moslem oder Jude. Bevor ich mit Wim Wenders in den Himmel komme, dann komme ich lieber mit Godard in die Hölle.
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Das andere, das ist in diesem Fall das Entscheidende. Das andere ist, dass dies eine Auftragsarbeit ist – allerdings eine der komplizierteren Sorte. Hätte Wenders nämlich einfach einen Imagefilm für den Vatikan gemacht, wäre die Sache klar, wer hier Herr ist und wer Knecht.
Aber wenn wir einmal alles das glauben, was Wim Wenders über den Entstehungsprozess seines neuen Films, Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes in Interviews erzählt,
dann kam die ursprüngliche Anregung zu dem Film zwar aus dem Vatikan, von der dortigen Kommunikationsabteilung. Dann hat Wenders, der Mann, der angeblich tiefgläubig ist, der angeblich am Abend der Papstwahl gespannt vor dem Fernseher »hing«, und nach Bekanntgabe des Papstnamens »vor dem Fernseher aufgestanden« ist und gesagt hat: »Das gibt’s nicht! Dass sich das einer traut…«, und der angeblich in diesem Papst und nur in ihm den Menschen sieht, der Antworten hat auf
die wichtigsten Fragen unserer Zeit, dann hat dieser Wim Wenders, der vor der Anfrage der päpstlichen PR-Experten nie daran gedacht hat, einen Film über den Papst zu drehen, dann aber ziemlich schnell gewusst, was er wollte: »Kein Film über den Papst, sondern einer mit ihm.« Es sei ihm »nicht um die Institution Kirche« gegangen, »sondern darum, dass sich dieser außergewöhnliche und mutige Mann unmittelbar an die Menschen wenden kann, eben in einem Film.«
Wenn wir das also alles genauso glauben, wie gesagt wurde, dann muss man Wenders bereits hier erstens reinen Größenwahn vorwerfen, dass er offenbar wirklich annimmt, ein Wendersfilm könnte zum Sprachrohr des Papstes »an die Menschen« werden, und zweitens eine gehörige Portion Naivität oder noch Schlimmeres – denn wie schlicht muss eigentlich einer gestrickt sein, um allen Ernstes anzunehmen, dass man einen Film drehen kann, in dem der Papst sich »unmittelbar« (was das überhaupt heißen soll, lassen wir jetzt mal) »an die Menschen« (an alle 7 Milliarden? an bestimmte? an Wenders-Fans?) »wenden kann«, ohne dass das dann auch was mit der Institution zu tun hat, der er vorsteht? Auch Angela Merkel oder Uli Hoeneß oder Barack Obama oder Vladimir Putin können in einem Dokumentarfilm nie wieder einfach »Mensch« sein. Wenn sie es denn je waren.
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Aber es geht weiter in diesem Tenor, und manchmal wüsste man schon gern, ob Wenders eigentlich doch irgendwo am Ende des Tages ein berechnender Zyniker ist, der sein Publikum für blöd verkaufen möchte, oder ob er selber von den Schergen der päpstlichen Kommunikationsabteilung für blöd verkauft wurde.
Er habe absolut freie Hand in der Gestaltung und der Endfassung gehabt, behauptet Wenders, einen privilegierten Zugang zu den Vatikan-Archiven, auch die Produktion sei
finanziell völlig unabhängig vom Vatikan gewesen – mit anderen Worten, so Wenders, »eine Carte blanche«.
Vielleicht glaubt er das ja wirklich – zumal Wim Wenders ja offenbar alles Mögliche glaubt, worin ihm selbst manche sonst tief verbundenen Anhänger nicht folgen werden.
Ganz so kann man das aber natürlich nicht stehen lassen. Der »privilegierte Zugang zu den Vatikan-Archiven« dürfte sich kaum auf das komplette Archiv bezogen haben, eher nicht zum Beispiel auf die Abteilung Inquisition, auf das Opus Dei, bestimmt nicht auf die innerkirchlichen Akten zu Pädophilie, Missbrauch und Vergewaltigungen Schutzbefohlener, auch kaum auf Antisemitismus und das Schweigen zu den Judenmorden in Deutschland nach 1933, auf die Kumpanei mit Mussolinis
Faschisten, oder auf die politischen Intrigen und Machenschaften innerhalb wie außerhalb des Vatikans während der letzten 100 Jahre. »Privilegiert« ist übrigens sowieso nicht dasselbe wie »unbeschränkt«, auch wenn es so klingt. Gemeint sind vielmehr vor allem die Filmmaterialien der Papstauftritte. Das »Centro Televisivo Vaticano«, die Filmabteilung des Heiligen Stuhls, dokumentiert alle Reden und Reisen des Papstes, was für Filmemacher sehr praktisch ist, aber auch
bedeutet, dass der Papst auf den Bildern meistens eine gute Figur macht.
Das »Centro Televisivo Vaticano« steht übrigens auch sehr deutlich im Abspann des Films, und die »Süddeutsche Zeitung« nennt es »einen der Hauptproduzenten des Films« – ganz so unabhängig klingt das nicht. »Carte blanche« oder nicht: Der Vatikan lieferte jedenfalls einen Großteil des Materials.
Man muss Wenders jetzt auch nicht nachsagen, dass er käuflich sei oder dass er Probleme damit hätte, seine
Filme zu finanzieren.
Es geht mehr um den Gestus, mit dem hier einer verschleiert, dass er nur deswegen relative Unabhängigkeit genießt, weil er schon vorher innerlich relativ abhängig war.
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Hier ist nun ein kleiner Exkurs nötig: Glauben und Religion, um das auch mal so deutlich zu formulieren, wie es leider im Augenblick viel zu selten formuliert wird, verdienen keinerlei gesonderten Respekt. Sie verdienen den Respekt, den jede Privatmeinung verdient. Man darf sie haben, denn es herrscht Meinungs- und Gewissensfreiheit. Schon das öffentliche Aussprechen und Zur-Schau-Tragen religiöser Überzeugungen wird in vielen Ländern problematisiert und eingeschränkt, weil Religion nämlich das Zeug hat, Konflikte zu schüren und soziale Spannungen zu fördern.
Genau dieser Respekt gegenüber Religion wird aber in Deutschland, wo man immer schon gern öffentliche Bekenntnisse einfordert, von vielen verlangt. Wenders zum Beispiel behauptet jetzt in Interviews gern, das religiöse Bekenntnis sei verpönt, unsere Kultur sei »zunehmend religionsfeindlich«. Dabei lieben die Deutschen diesen Regisseur für nichts mehr als für seinen Engels-Deutschland-Kitsch Der
Himmel über Berlin.
Wenders aber verweist auf die USA als leuchtendes Beispiel: »In Amerika ist das ganz anders: Dort hat es eine andere Tradition, dass man mit seinem Glauben nicht hinter dem Berg hält, es ist auf eine andere Art im öffentlichen Bewusstsein. Man steht ganz selbstverständlich dazu, Christ, Jude oder Muslim zu sein.« Schon das ist ein schiefes Bild, denn Juden und erst recht Muslime werden in den USA gar nicht selten angegriffen, doch selbst Katholiken sind
für konservative Kreise eine Bedrohung – nicht erst als eingewanderte Latinos, sondern auch als Kennedys.
Erst recht aber wird ein öffentliches Bekenntnis zur Gottlosigkeit und zum Atheismus sozial sanktioniert.
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Nun ist es bestimmt so, dass die schlauen Herren im Vatikan schon wussten, dass sie sich in Wenders einen Gläubigen und willfährigen Vermittler ihrer Absichten ins Boot geholt hatten, einen Priester des Zelluloid.
Wim Wenders war weder »Vorkämpfer des Neuen Deutschen Films«, wie er von manchen heute genannt wird, die auch nie Vorkämpfer der »Filmkritik« waren, noch ist er dem heutigen internationalen Autorenkino jene »Galionsfigur«, die er ein paar Jahre lang in den 80ern mal
für manche war.
Wim Wenders war vielleicht schon immer der Hermann Hesse unter den deutschen Regisseuren: Nicht so radikal wie Werner Herzog, nicht klug wie Alexander Kluge, nicht so geschmeidig wie Volker Schlöndorff und nicht so genial wie Rainer Werner Fassbinder, sind seine Werke schon zu Lebzeiten gealtert, Wohlfühlwerke für das bildungsbürgerliche Seniorenkino. In der Schamecke des DVD-Regals stauben seine Filme vor sich hin.
Dario Viganò, der PR-Stratege des Papstes, ist nicht nur
Theologe, sondern auch Filmexperte. An Wenders lobt er »diesen maßvollen, poetischen und innovativen Blick.« Der Film Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes,lobt Viganò in bezeichnender Formulierung, sei »eine aufmerksame Regiearbeit, die sich selbst zurücknimmt«.
Der fertige Film legt den Verdacht nahe, dass eine Einflussnahme des Vatikan völlig unnötig war – Wenders meint jedes Wort ernst, das im Film fällt, und ist aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass er ein Propagandist dieses Papstes sein möchte, oder eigentlich: Seines Bildes von diesem Papst.
Aus dem guten Mensch aus Düsseldorf ist der Moraltrompeter von Düsseldorf geworden. Ein Moraltrompeter, der so nebenbei im AfD-Stil billiges Politikerbashing betreibt –
»Papst Franziskus … ist eine Gegenfigur zu fast allen Politikern heute. Ein Mensch, der tatsächlich das Gemeinwohl und nicht nur seine eigenen Interessen … vertritt.«
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Wir könnten jetzt hier noch den Film nacherzählen, und en detail rezensieren, und vielleicht machen wir das auch noch irgendwann, aber wer will das denn alles lesen?
Wenders-Jünger und Papst-Fans werden in den Film sowieso gehen, die anderen einen großen Bogen machen, und das ist alles auch gut so.
Nur eine Beobachtung noch: Wenn der Film mit dem ganzen wirklich seltenen und oft interessanten Vatikanmaterial etwas beflissen die wichtigsten Momente des bisherigen Pontifikats abhakt, zeigt er viel. Es gibt auch ein paar Bilder aus Zeiten, als der Mann noch Bergoglio hieß und im Argentinien der 90er Jahre auch schon zu klaren Worten und menschlichen Gesten fähig war. Vier Exklusiv-Interviews hat Wenders mit dem Papst auch geführt: Dabei spricht Franziskus direkt zu uns, mit Dackelblick, aber auch ein bisschen listig, frontal in die Kamera, wie sonst nur Richard III. bei Shakespeare, ein anderer Charismatiker.
Dem Film entgeht aber auch vieles, und manchmal das Entscheidende, und das verrät etwas für den Filmemacher Wenders, was wir so genau gar nicht wissen wollten: Dass nämlich Hingucken-Können allein zwar notwendige Voraussetzung für gutes Filmemachen ist, aber längst nicht reicht. Man muss etwas auch erfassen und intellektuell durchdringen können.
Den allergrößten Moment seines eigenen Films verpasst Wenders aber: »Who am I to judge?« antwortete der Papst seinerzeit zur Frage
der Homosexualität. Und Wenders, dem Gläubigen, fällt überhaupt nichts ein zu dieser entscheidenden, vom Menschen, den er doch angeblich portraitieren will, alles verratenden Szene: Zu der Absurdität, dass hier einer, der zum Urteilen gerade berufen wurde, auf das Urteilen sehr bewusst und coram publico verzichtet, der Absurdität, dass ein Papst stattdessen redet, wie Pontius Pilatus: »Was ist Wahrheit?« »Ich wasche meine Hände in Unschuld.« »Wer bin ich das zu beurteilen?« Na
der Papst halt!
Mensch Wim!