Belgien 2015 · 77 min. · FSK: ab 12 Regie: Valéry Rosier Drehbuch: Valéry Rosier, Matthieu Donck Kamera: Olivier Boonjing Darsteller: Alfie Thomson, Pere Yosko, Julienne Goeffers, Christian Carre, Delphine Théodore u.a. |
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Ein Platz an der Sonne |
Von der Nachsaison geht eine eigenartige Magie aus, ein vages Nicht-Mehr gibt der Stimmung eine bittersüße Färbung. Der Sommer ist noch zu spüren, aber eine Kühle, ein Frösteln hat sich eingeschlichen. Das jedenfalls strahlen die sorgfältig ausbalancierten Tableaus des Films Parasol – Mallorca im Schatten des Belgiers Valéry Rosieraus, Momente einer ambivalenten Tristesse, die einen mehr an Skandinavien oder an Kaurismäkis Finnland denken lassen als an Mallorca, wo dieser kleine feine Film spielt.
In lakonischen Miniaturen präsentiert der Film drei Figuren, deren Leben tatsächlich besser in die Nebensaison als in die Hauptsaison passt.Da ist der unerfahrene Alfie (Alfie Thomson) aus England, er befindet sich mit seinen Eltern auf Camping-Urlaub, ein trübes Kleinbürgeridyll mit zahmen Tischtennispartien, wofür Alfie eigentlich viel zu alt ist. Entsprechend empfänglich ist er dann auch für die Fun-Attacken von zwei zufällig aufgegabelten englischen
hooliganmäßigen Saufkumpanen, für die er ein dankbares Opfer abgibt.
Dann gibt es die Belgierin Annie (Julienne Goeffers), die sich mit ihren mehr als siebzig Jahren mehr oder weniger heimlich von zu Hause aus dem Staub gemacht hat und einem Internet-Date entgegenreist. Gewissermaßen zur Tarnung ist sie bei einer Seniorentouristengruppe mit Pauschalprogramm (inklusive Blumenbouquet vor der Zimmertür) untergeschlüpft. André, der Begehrte, entzieht sich ihr aber nun. Und die
bizarren Animationsanstrengungen für die Senioren sind nicht geeignet, sie in ihrer Einsamkeit zu trösten.
Can Picafort, so heißt der Ort auf Mallorca, in dem die zwei Protagonisten in ihrer Nebensaison gelandet sind. Durch diesen Ort lenkt die dritte Figur, der einheimische Pere (Pere Yosko), den kleinen Touristenzug. Mit geradezu stoischer Selbstverleugnung verkündet er den wenigen Fahrgästen beim Vorbeifahren das lokale Schwimmbad, die Tennisplätze oder die »famosa Calle
Cervantes«. Dabei zerbricht er sich mehr den Kopf darüber, wie er es schafft, den Aufenthalt seiner kleinen Tochter Ahilen bei ihm nicht zum kompletten Fiasko werden zu lassen, zumal ihr Geburtstag kurz bevorsteht und die Mutter verlangt, das Kind zu diesem Anlass wieder bei sich zu haben.
Die drei Handlungsstränge entfalten sich in aller Beiläufigkeit, als ungezwungene und unaufgeregte Folge von prägnanten Momenten, die keiner forcierten dramaturgischen Engführung unterworfen werden.
Das Gemeinsame der drei besteht darin, dass ihre jeweiligen Versuche, das Beste aus der Nebensaison zu machen, immer verzweifelter werden und unaufhaltsam in die Katastrophe zu münden scheinen. Alfies schier endlose Sauftour mit den beiden Prolls wird immer qualvoller und
peinsamer, bis er buchstäblich angepisst ist. Annie verbringt eine einsame Nacht auf einer Bank an der Strandpromenade, beim Erwachen am Morgen versucht sie verschämt, die allein geleerte Rotweinflasche zu verstecken. Pere belügt seine Ex-Frau, indem er sagt, Ahilen sei krank und könne jetzt nicht weg von ihm, um mit ihr allein eine Spritztour im Touristenzug zu unternehmen und schließlich, trotz nicht funktionierender Geldkarte, ein Zimmer in einem Hotel zu mieten.
Die
Figuren werden in ihrer Pein weder sentimentalisiert noch denunziert, Rosier setzt sie keiner schonungslosen Entblößung aus, auch wenn sie sich mit ihrem Verhalten durchaus angreifbar oder lächerlich zu machen drohen: Alfie hetzt einen der Hools auf einen Rivalen, den die angeflirtete Magda ihm vorzuziehen scheint, Annie sucht Andrés Ehefrau auf, Pere entführt seine Tochter. Der Film hält gleichwohl eine von Verständnis und Sympathie getragene Distanz zu ihren Schwächen ein, und er
überlässt sie auch nicht vollends ihrem Elend. Irgendwie berappeln sie sich und erlangen eine gewisse Souveränität über sich, so wie der von Annie immer wieder beobachtete Mann mit dem Metalldetektor dank einer höheren Fügung am Ende doch noch Münzen am Sandstrand aufspürt.
Was den Film zusammenhält, ist das subtile Gespür für bestimmte Situationen, die das Absurde und Aberwitzige streifen und dabei die Nachsaison-Atmosphäre in dem kleinen, ganz dem Tourismus verschriebenen
Ort Can Picafort auf den Punkt bringen.
Momente der Desillusionierung und der Leere erweisen sich nicht einfach als banale Bebilderung der glücklosen Lage der Protagonisten: Es handelt sich dabei vielmehr um fein ausbalancierte Bildkompositionen im Breitwandformat (Kamera: Olivier Boonjing), in denen die Figuren und ihre Umgebung in eine Wechselwirkung treten. Sie lassen immer wieder an Kunst-Installationen denken, die einen essayistischen Witz entfalten und gerade
das Inszenierte eines solchen Ferienortes herausarbeiten. Die Originalmusik für den Film von Cyrille de Haes und Manuel Roland verstärkt auf unaufdringliche Weise das leicht Befremdliche und Abgründige, das in den Touristenhochburgen steckt und das besonders reizvoll gerade in der Nachsaison zur Geltung kommt.