USA 2012 · 93 min. · FSK: ab 12 Regie: Sam Fell, Chris Butler Drehbuch: Chris Butler Musik: Jon Brion Schnitt: Christopher Murrie |
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Großartiger Gruselspaß in Stop-Motion |
Puh, die Hitze der letzten Tage war echt zu viel, also: Nichts wie raus aus dem heimischen Backofen und rein ins kühle Kino. Da geht’s aber ziemlich heiß her: Der Film beginnt mit einem geräuschvollen Tritt ins Hirn auf dem Asphalt, ein Zombie nähert sich gewohnt langsam und unaufhaltsam einer jungen kreischenden Frau.
Doch das Mikrofon im Bild denunziert das Entsetzen als verunglückte B-Movie-Performance. Die flimmert über den heimischen Bildschirm des 11-jährigen Horrorfans Norman, den nichts erschüttern kann, weder ein schlecht gemachter Gruselfilm noch die Geister von Verstorbenen, die mit dem melancholischen Jungen sprechen und ihn durch seinen Alltag begleiten. Der wahre Horror sieht für ihn anders aus: die Erwachsenen, die Norman nicht verstehen, die Kindkollegen und Teenager, die ihn quälen, eigentlich die ganze Welt, die nicht sehen will und kann, was ihn permanent umgibt. Als ob das nicht schon anstrengend genug wäre, kündigt sich auch noch Unheil an: Der Fluch der Hexe, die vor Jahrhunderten hingerichtet wurde, muss eiligst gestoppt werden, sonst drohen Untote die Stadt heimzusuchen – eine große Nummer für den kleinen Norman, der doch nur in Ruhe erwachsen werden will.
Die Stop-Motion Horrorkomödie ParaNorman ist wie aztekische Schokolade: scharf und süß zugleich, weshalb man sie wohl erst ab einem gewissen Alter richtig genießen kann. Die Schärfe steckt zum einen in der gehaltvollen Story, die das Großwerden in einer Kleinstadt thematisiert, aber schnell zu ihrem Kern vordringt, den Facetten und Folgen menschlicher Voreingenommenheit. Zum anderen leisten Puppenpersonal und Szenerie ganze Arbeit, wenn es leicht-schaurig bis düster werden soll, inklusive Norman selbst, dem, wie Henry Spencer aus David Lynchs Eraserhead, stets die Haare zu Berge stehen.
Ansonsten aber hat Norman viel mehr mit jemand ganz anderem gemein. Seine Bescheidenheit und die an sich selbst gestellte Aufgabe, die eigene Außergewöhnlichkeit so gut es geht zu akzeptieren, erinnern an Harry Potter. Und so wie der Zauberlehrling seine beiden Freunde hat, steht dem parapsychologisch Begabten doch jemand von Anfang an treu zur Seite: der pummelige Neil ist genauso allein wie Norman, meistert aber das unfaire Leben mit Optimismus und erfrischender Ironie. Dass sich die anderen Mitstreiter in dieser etwas anderen Zombie-Mission voller Slapstick, Hintersinn und Action im doppelten Sinn erst noch finden müssen, macht den charaktergetriebenen Plot so spannend. ParaNorman hinterfragt ein starres Gut-Böse-Konzept etwas tiefgründiger als das große Potter-Opus, indem er es gewitzt, nachvollziehbar und mit Gespür für den richtigen Zeitpunkt auf den Kopf stellt: Die Schublade, in die man die jeweilige Figur und Situation gerade hineinstecken wollte, knallt mit Nachhall zu. Und bei all seiner herrlichen Verrücktheit zeichnet sich ParaNorman in seinen Dialogen durch eine Klarheit aus, die Parallelen zur Wirklichkeit »da draußen« erkennen lässt, für die der Zombie nicht erst die Keule schwingen muss.
ParaNorman ist ein 3D-Film, der diese Technik eigentlich überhaupt nicht braucht. Denn was den Zuschauer hier in Verzückung versetzt, sind keine aus der Leinwand ragenden Figuren, sondern die angewandte Stop-Motion-Technik. Dieses Zusammenspiel von Kreativität, handwerklicher Geschicklichkeit und Improvisationstalent, das die Puppen bereits seit über hundert Jahren in den Kinos tanzen lässt, hat eine Perfektion erreicht, an deren Ende ParaNorman steht, der sich guten Gewissens neben die Burton-Gruselklassiker Nightmare Before Christmas, Corpse Bride oder die Fantasie-Achterbahnfahrt Coraline einreihen kann. »ParaNorman hat so vieles, was man nicht in Stop-Motion machen soll: Massenszenen mit Statisten, Verfolgungsjagden, überlappende Dialoge, Nahaufnahmen und Gegeneinstellungen – zwei Drittel davon stellen Szenen im Freien dar«, so Regisseur Sam Fell (Flutsch und weg, Der kleine Mäuseheld). Zusammen mit Regisseur und Drehbuchautor Chris Butler ist es ihm gelungen, den Film, für den 50 verschiedene Bühnenbilder gebraucht wurden, keinen Augenblick statisch-bühnenhaft wirken zu lassen: Wenn man bedenkt, dass bei jedem der 24 Bilder pro Filmsekunde die so genannte »Replacement Animation« angewandt wurde, bei der die Puppen und ihre Mimik immer wieder anders zusammengesetzt werden müssen, kann es nicht verwundern, dass das abgedrehte Material täglich »nur« ein paar Sekunden betrug. Am Ende kam ein großer gebastelter, geistreicher Spaß heraus – für alle Zuschauer, lebend oder schwebend.