Deutschland/F/E 2006 · 147 min. · FSK: ab 12 Regie: Tom Tykwer Drehbuchvorlage: Patrick Süskind Drehbuch: Andrew Birkin, Bernd Eichinger, Tom Tykwer Kamera: Frank Griebe Darsteller: Ben Whishaw, Rachel Hurd-Wood, Alan Rickman, Dustin Hoffman u.a. |
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Verschwiemelt, muffig, im schlimmsten Sinn sexistisch... | ||
(Foto: Constantin Film) |
Das Parfum des deutschen Films ist die unerfüllte Sehnsucht nach der großen weiten Welt. Seit den frühen Tagen der Weimarer Republik möchte das deutsche Kino vor allem geliebt werden. Und zwar von allen. Darum versucht es verzweifelt, international zu sein. Das kann nicht klappen. Und nicht nur deswegen, weil keiner etwas liebt, dass sich allen anbietet.
Einer der deutschen Filmemacher, die es besonders intensiv versucht haben und manchmal fast geschafft hätten, war der
unvergessene Münchner Produzent Bernd Eichinger. Die Großproduktion Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders war sein Herzensprojekt. Jetzt kommt sie wieder ins Kino.
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Es war der mit 60 Millionen Euro teuerste deutsche Film aller Zeiten. Es war einer der hochkarätigsten und nach Ansicht vieler vielversprechendsten Filme vor nunmehr auch schon wieder unglaublichen 17 Jahren, im Kinojahr 2006: Der einflussreiche und renommierte deutsche Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger verband sich mit einem der prominentesten, und erfolgreichsten deutschen Regisseure – Tom Tykwer dem mit Lola rennt nach Jahrzehnten ein deutscher Welterfolg geglückt war. Zusammen brachten sie Patrick Süskinds Roman Bestseller Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders auf die Leinwand.
Dreimal Erfolg – was sollte da noch schiefgehen?
So richtig glatt lief es dann aber nicht: Vier Millionen Zuschauer in Deutschland (nach einem halben Jahr, insgesamt 5,6 Millionen) waren zu wenig, der Film machte keine Verluste, aber er veränderte auch das Kino kein bisschen, war schnell vergessen und letztlich folgenlos, wurde eher zum Symbol für die deutschen Großproduktionen jener Jahre, die sich am Gegenstand ein bisschen verhoben.
Auch bei der Kritik fiel der Film durch: In der ZEIT mokierte sich die Autorin Katja Nicodemus süffisant schon drei Wochen vor dem Filmstart über »Ein großes Nasentheater«, und spottete treffend: »Der Held des Romans 'sieht' mit der Nase. Im Film sehen wir immerzu die Nase des Helden.«
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Zudem ging die durch und durch amerikanisierte Pressekampagne nach hinten los, durch die sich Kritiker manipuliert fühlten, und es kam zur sogenannten Rohrbach-Debatte, weil sich der Produzent Günter Rohrbach, damals Aufsichtsrat von Eichingers Constantin und Präsident der von Eichingers Gnaden gegründeten Filmakademie in einem Spiegel-Essay öffentlich über ihm missfallende Kritiken beklagt hatte.
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Eine der interessantesten Fragen ist nach wie vor offen: Warum eigentlich ist diese Geschichte so interessant? Warum nur wurde die Geschichte eines Jungfrauenmörders im vorrevolutionären Frankreich zum erfolgreichsten deutschen Roman aller Zeiten?
Warum wurden seit 1985, dem Erscheinungsjahr des Buches, weltweit mehr als 15 Millionen Exemplare verkauft? Was ist dran an dieser Hauptfigur, an dem abnormen Jean-Baptiste Grenouille, dessen einziges Talent darin besteht, besser riechen zu können als alle Anderen.
Welche unterbewussten Botschaften schlummern in Patrick Süskinds »Parfum›, die über die Kriminalgeschichte und
den Historienroman hinausreichen?‹«
Auch dieser Film beantwortet keine dieser Fragen – es bleibt zur Erklärung nur der heruntergekommene Zeitgeist, also die Condition einer literarischen Postmoderne, in der das Seichte, mit ein paar intellektuellen Gewürzen, zur Hochkunst geadelt wurde.
Zugleich muss man hinzufügen: Unter den Geisterhäusern und mörderischen Mönchen, die die Erfolgsromane jener Epoche und ihre schnellen Verfilmungen bevölkerten, duftete Das Parfum immer schon besonders süßlich, unpolitisch, amoralisch und sehr deutsch.
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Letztlich ist die Verfilmung nicht geglückt. Dieser Film ist schon mal nicht das, was man vom Regisseur erhoffen konnte: Kein typischer tykwerischer Leinwand-Strudel, voller Sog und Magie, mit anschwellendem Herzschlag rasant getrieben.
Sondern ein recht verschwiemeltes, muffiges, im schlimmsten Sinn sexistisches (nämlich schmieriges) typisch deutsches Machwerk aus bräunlichem Licht, das vor allem die fehlende Ausstattung übertünchen muss und groß »GESCHICHTE« signalisieren möchte, dessen Szenen im Gleichschritt von Schauplatz zu Schauplatz die Stationen der Handlung abhakend marschieren, aber nie zum Eigentlichen vordringen: Zum Inneren eines grauenvollen Monsters der Düfte, besessen von der Idee des perfekten Dufts.
Eichinger und Tykwer sahen in Interviews den perversen Widerling Grenouille, dem Ben Whishaw seine kantige Körperlichkeit und sein asymmetrischen Gesicht gibt, aber keinen Abgrund, schon gar kein Grauen, bestimmt noch nicht mal 1 Prozent Peter Lorre, als »Hamlet«, also als zerrissenen Mensch.
Vielleicht taugt so einer aber auch einfach nicht zur Kino-Hauptfigur – auch der viel charmantere Serienkiller Hannibal Lecter braucht eine Clarice Starling –, aber die Vorlage gibt dazu zu wenig her.
Nein, dieser Film ist kein wirklich guter Film. Er ist vieles nicht geworden, was der Roman – egal, was man von ihm literarisch halten will – sehr wohl ist: obsessiv, verstörend, intensiv, fokussiert auf die Traurigkeit und Isolation seiner Figuren.
Dieser Film riecht nicht, nicht nach Lust und Freiheitswillen, nicht nach Zivilisation und Ordnung, sondern er bleibt ganz aseptisch.
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Warum zum Teufel liebte Bernd Eichinger, der weißgott bessere Filme produziert hat, diesem Stoff so sehr? Wollte er es nur allen beweisen? Oder reizte ihn etwas Spezielles an Grenouille. Eichinger hatte nichts von dem, was weiter oben schmierig genannt wurde. Er konnte nerven, aber er war großzügig, hatte Geschmack und eine einnehmende Verletzlichkeit.
Warum also Das Parfum?
Vielleicht war es dann doch die Sehnsucht nach dem großen Geschäft durch den Weltbestseller in Verbindung mit der Munich-Connection zum Freund Süßkind.
Der hatte sich allerdings sehr weise über 15 Jahre lang gesträubt, die Verfilmungsrechte zu verkaufen. Angeblich hatte er nur Stanley Kubrick die Verfilmung zugetraut. Der aber hatte gesagt, das Buch sei unverfilmbar. Bernd Eichinger war über all die Jahre hartnäckig geblieben, und erhielt schließlich 2001 den Zuschlag, für,
so Gerüchte, 10 Millionen Euro.
Vielleicht war es also auch eine andere Sehnsucht: Die Eichingers, es mit dem Giganten Kubrick aufzunehmen, ihn zu widerlegen. Ein sympathischer Größenwahn.
Immerhin hatte man den Großfilm mit seinen Hollywoodstars Dustin Hoffman und Alan Rickman, seinem Regisseur, der virtuos zwischen Autorenkino und Massenunterhaltung balanciert, als Eröffnungsfilm zu den Filmfestspielen von Venedig eingeladen.
Doch der Produzent sagte ab. Eichinger argumentierte, man wolle den Film nicht den Umweg eines Festivals machen lassen, sondern auf direktem Weg dem Publikum zeigen. Kaum zu glauben!
War es ein Moment der Einsicht, der Demut? Oder
dann doch eine Form von Angst, ja: Feigheit. Das würde man den Mann heute zu gern fragen!
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Trotz allem: Man vermisst sie. Nicht diesen Film, aber seine Macher. Nicht diesen Stil, aber jene Jahre, als das deutsche Kino noch in internationalen Großproduktionen dachte, und mehr wollte, als ein paar zehntausend Zuschauer und die beflissenen Einser-Arbeiten der »Berliner Schule«,
Man vermisst den Gestus eines deutschen Kinos, das sich vielleicht in manchen Größenphantasien verhedderte, aber noch wirklich etwas wollte, das frech war, groß und dachte.
In den letzten 15 Jahren aber, spätestens nach dem Tod von Bernd Eichinger im Januar 2011 versank das deutsche Kino Jahr für Jahr mehr in einem Dornröschenschlaf.
Man vermisst Bernd Eichinger, der nicht wiederkommen wird, obwohl wir so einen, so einen Antreiber und Provokateur, so sehr brauchen könnten. Und man vermisst Tom Tykwer, der sich in den letzten zehn Jahren im Babylon der Streamer-Serien verheddert hat und dem deutschen Kino dafür verloren ging.
Dieser Film ist kein wirklich guter Film. Aber er ist eine dringend notwendige Erinnerung an eine bessere Zeit.