Parthenope

Italien/F 2024 · 137 min. · FSK: ab 16
Regie: Paolo Sorrentino
Drehbuch: ,
Kamera: Daria D'Antonio
Darsteller: Celeste Dalla Porta, Dario Aita, Daniele Rienzo, Gary Oldman, Silvia Degrandi u.a.
Parthenope
»Beauty is like war – it opens doors«
(Foto: Alamode)

Das Traurige unter der Sonne

Paolo Sorrentinos Neapel-Ode »Parthenope« erzählt vom Loslassen und Verirren im Leben

Was sie wohl denkt? Diese Frage begleitet Parthenope durchs Leben – meist gestellt von den Männern, die ihre Bahn kreuzen. Es scheint offen­sicht­lich, dass da etwas ist hinter der bloßen Schönheit, dass es Winkel gibt unter dem Strahlen der Ober­fläche, die auch die Sonne des Südens nicht erhellen kann.

Parthenope ist das alle­go­ri­sche Panop­tikum einer Stadt ebenso wie die Biogra­phie eines konkreten Frau­en­le­bens, das 1950 in einer Meeres­bucht beginnt und bis ins Heute reicht. »Parthenope« ist ein antiker Name für Neapel – doch anders als der von Odysseus und Orpheus verschmähten Sirene, die laut Sage hier nach ihrem Freitod ange­schwemmt wurde, mangelt es der Titel­figur des Films nicht an Verehrern.

Aber die bedeuten ihr eher wenig. Ab und zu pickt sie sich einen heraus. Doch die meisten sind ihr der Mühe nicht wert. Und sie versteht, Contra zu geben. Als ein alter Commen­da­tore wissen will, ob sie ihn heiraten würde, wenn er 40 Jahre jünger wäre, gibt sie zurück: Die entschei­dende Frage wäre, ob er sie heiraten würde, wenn sie 40 Jahre älter wäre.

Parthen­opes tiefere Bezie­hungen sind plato­nisch: Zu ihrem Bruder. Zu zwei alten Männern, die kein körper­li­ches Interesse an ihr haben. Da ist John Cheever, dessen Kurz­ge­schichten sie liebt, und den sie zufällig bei einem Ausflug nach Capri tatsäch­lich kennen­lernt. Der sich mit Alkohol betäubt, in der schmerz­haften Klarheit des Katers seine Kunst schafft, und der nur auf Männer steht.

Vor allem aber ist da der strenge Professor, bei dem sie ihr Anthro­po­logie-Examen mit höchster Auszeich­nung absol­viert und den sie als Doktor­vater wählt. (Man kauft Celeste Dalla Porta nicht ganz ab, dass Lévi-Strauss und Althusser ihre alltäg­liche Lektüre sind – aber sie hat allemal die für die Rolle nötige Verbin­dung aus Schönheit und tieferer Inner­lich­keit.) Der Professor hat abge­schlossen mit der roman­ti­schen Liebe, verschreibt sein Leben seinem pfle­ge­be­dürf­tigen Sohn.

Paolo Sorren­tinos Filme waren immer brillant, opulent, viel­schichtig, rätsel­haft, und all das ist auch Parthenope. Doch bisher waren sie auch eher kalt in ihrer Brillanz, waren voller Ironie und von einem mehr ausstel­lenden statt mitfüh­lenden Blick geprägt. Mit È stata la mano di Dio (Die Hand Gottes) (von Netflix ziemlich sang- und klanglos versenkt) kehrte er, über 20 Jahre nach seinem Debut, zurück an den Ort seiner Kindheit. Und nun ist sein Werk auch warm, zärtlich, tief verletz­lich. Wohl, weil Neapel auch die große Zäsur in Sorren­tinos Leben reprä­sen­tiert: Den Unfalltod beider Eltern, als er 16 war.

Nur der Vorspann stellt geradezu parodis­tisch die leere Schönheit aus von jungen Menschen in exqui­siter Mode – ein Zwinkern auch in Richtung der Co-Produk­ti­ons­firma Saint Laurent. Aber dann geht es in Parthenope eben um die Trau­rig­keit hinter der Fassade. Die Jugend sei so verliebt in die Verzweif­lung, sagt Cheever. Und: »Beauty is like war – it opens doors« – ein Öffnen von Türen, das aber eben nicht ohne Blessuren abgeht.

Parthenope lernt früh den Unter­schied zwischen der perfor­ma­tiven Melan­cholie der Jugend und wahrer Trauer. In einer Nacht auf Capri, bei einem Ausflug ohne Geld und Ziel, ist Parthenope, ihrer Jugend­liebe und ihrem Bruder ein utopi­scher Moment vergönnt. Ein rausch­hafter Augen­blick der eroti­schen, plato­ni­schen, univer­sellen Verschmel­zung, zu Riccardo Cocci­antes »Era gìa tutto previsto« – es war alles so vorher­ge­sehen. Doch die Nacht endet tragisch. Und von da an trägt Parthenope einen unheil­baren Verlust in sich. Der sie nie wieder ganz bei, unter den anderen Menschen sein lässt.

Parthenope durch­läuft eine Art Kreuzweg zu den Stationen der neapo­li­ta­ni­schen Identität, zu den großen Glücks­ver­spre­chen der Mensch­heit.

Reichtum und Macht reizen Parthenope nicht weiter. Ein geldiger Schnösel, den sie abblitzen lässt, hat dafür auch die schä­bigste Antwort auf die Frage nach ihren Gedanken: Parthenope denke überhaupt nicht, sie sei nicht intel­li­gent, versucht er sie in einem klas­si­schen Pickup-Artist-Move runter­zu­putzen. Was er nicht besitzen kann, will er verletzen.

Parthenope erwägt eine Laufbahn als Filmstar. Doch da stünde das Erlo­schene in ihren Augen dagegen, meint die Schau­spiel­leh­rerin. Und wenn man sich die alten Diven anschaut, in ihren Versuchen, die äußere Schönheit zu erhalten und ihre südita­lie­ni­sche Herkunft zu verleumden, ist ohnehin zwei­fel­haft, wie wünschens­wert das Ganze wäre.

Bei der Camorra ist die Vermäh­lung junger Paare noch ein archaisch-feuda­lis­ti­sches Ritual, bei dem die Gemein­schaft Zeuge der Jung­fräu­lich­keit sein muss während der Zeugung des Fehden versöh­nenden Nach­wuchses. Von dieser Welt lässt Parthenope sich kurz verführen, mit Folgen. Entscheidet sich gegen die Schwan­ger­schaft.

Und schließ­lich ist da die Religion. Und ein eitel-diabo­li­scher Stell­ver­treter Gottes auf Erden, der Kardinal Tesorone, zuständig für das Blut­wunder von San Gennaro. »Die kultu­rellen Grenzen des Wunders« ist das Thema von Parthen­opes Doktor­ar­beit. Ausge­rechnet der Kardinal aber kommt des Rätsels Lösung noch am nächsten. Woran Parthenope denkt? An alles andere. An den Schmerz, der mit der Zeit vergeht. Oder auch nicht.

Gott habe sich nur bei der Erschaf­fung der mensch­li­chen Kindheit wirklich ins Zeug gelegt, sagt der Kardinal. Danach habe der Herr die Lust verloren. Deshalb sei die Kindheit so wunderbar, und der Rest des Lebens so trist.

Doch mit dem Ende der naiven Freude kommt die Erkenntnis. Das Paradox der Anthro­po­logie sei, erklärt der Professor, dass man das tatsäch­liche Hinschauen aufs Mensch­sein erst dann lernt, wenn es einen selbst nicht mehr wirklich (be)trifft. Wenn das Brennen erloschen ist, alles nur noch ein Abglanz ist von Begehren, Freude, Wollen.

Freilich ist die Reaktion auf Kunst immer subjektiv – aber bei Parthenope kommt es vermut­lich noch mehr als bei den meisten großen Werken darauf an, an welchem Punkt im Leben er einem begegnet. Mag sein, dass er einen zur falschen Zeit völlig kalt lässt, einem nichts präsen­tiert als eben die schöne Ober­fläche. Aber wenn er einen abholt in einem Moment der Bereit­schaft, dann nimmt er einen tröstend in den Arm, kann man sich in ihn fallen lassen, trägt er einen wie das Meer.

Immer wieder ist in Parthenope die Rede vom »Lasciare andare« – sich fallen lassen, loslassen. Aber auch das ist eine zwei­schnei­dige Sache: Es gibt poten­ti­elle Momente des uner­war­teten Glücks, die entgleiten einem, gerade wenn man zu krampf­haft an etwas festhält. Doch droht im Loslassen auch immer die Gefahr, dass man den Halt verliert im Leben, so wie Parthen­opes Bruder.

Parthenope ist vor allem ein Film darüber, dass man sich im Leben verstol­pern mag. Wie gleich das eröff­nende Zitat von Céline verkündet: »Das Leben ist so enorm, dass man sich darin verirren kann.«

Über all die Suche nach einem Glück, einer Erfüllung, kann ein Leben vorbei­ziehen, und man blickt sich um und merkt, dass man nie den richtigen Weg genommen hat, aber auch nicht weiß, wo die Abzwei­gungen waren. Es ist möglich, dass man seine Heimat (im mehr­fa­chen Sinne) vermeint­lich nur kurz verlässt – und dann, ganz ohne Drama, einfach so, nicht mehr dorthin zurück findet.

Parthenope ist ein Film darüber, dass man manche Menschen verlieren kann, die man zum Überleben braucht. Andere nie findet. Und das Leben trotzdem weiter­geht. (Was ein mehr grausamer als tröst­li­cher Gedanke ist.)

Wie wenig das bloße Gedan­ken­spiele sind für diesen Film, zeigt die Widmung: »To Luca«. Das ist Luca Canfora, der Stamm-Kostüm­de­si­gner Sorren­tinos, der kurz vor Drehende unter unge­klärten Umständen tot im Meer vor Capri aufge­funden wurde.

Was aber, wenn das größte der Glücks­ver­spre­chen, die Liebe, als Mittel zum Überleben versagt?

Was bleibt dann, in Neapel, im Leben? Der Fußball. (Selbst dieser bei Sorren­tino mit einer bitter­süßen Note: Wenn er mit 16 nicht zu einem Spiel des FC Neapel gegangen wäre, hätte er sich wohl mit den Eltern in dem Haus befunden, wo sie durch einen Heizungs­schaden an Kohlen­mon­oxid­ver­gif­tung starben.)

Und es bleibt die Hoffnung. Dass es viel­leicht andere Formen der Liebe gibt, selbst- und begeh­rens­lo­sere. Dass viel­leicht auch das Überleben an sich schon genügt. Und dass selbst bei diesem Versa­gens­be­fund noch ein winziger Türspalt offen­steht: Viel­leicht ist es doch nicht so.

Unmittelbare Ästhetik

Paolo Sorrentino erzählt ein weiteres Mal vom pompösen, reichen, italienischen Leben, von Seidenkleidern und Katholizismus, von Erotik und Leere, von Mythos und Romantik

In einem guten Monat beginnen die jähr­li­chen Film­fest­spiele von Cannes zum 78. Mal. Höchste Zeit also, die letzt­jäh­rigen Festi­val­bei­träge endlich auch hier­zu­lande ins Kino zu bringen. Während die beiden schönsten Filme – The Shrouds von David Cronen­berg und Grand Tour von Miguel Gomes – noch auf Start­ter­mine warten, hat es Paolo Sorren­tino mit Parthenope nun geschafft.

Für Sorren­tino-Kenner bleibt alles beim alten: Wieder geht es um einen wehmü­tigen Blick auf das Neapel der 80er, wieder ist die zentrale Figur unser Reise­führer durch diese so nicht mehr exis­tie­rende Stadt.

War jener Italien-Guide im letzten Film (Die Hand Gottes) noch Sorren­tino selbst, der uns seine Kindheit nach­er­zählte, tritt an diese Stelle nun ein Mythos. Parthenope heißt die Prot­ago­nistin, koket­tie­rend nach der neapo­li­ta­ni­schen Stadt­göttin benannt, im Mythos jene Sirene, die sich ins Meer stürzte, weil sie Odysseus nicht verführen konnte.

Eine Femme fatale, eine Männer­ver­zeh­rerin, Objekt der Begierde glei­cher­maßen wie die Begierde selbst. Das lässt zunächst schlimmes vermuten – erwartet uns der nächste Male-Gaze-Film über die Schönheit des weib­li­chen Körpers, über die Vorzüge der Jugend? Zum Teil.

Ästhe­tisch bleibt sich Sorren­tino treu, insze­niert Hoch­glanz­bilder, die allesamt aus Mode­ka­ta­logen zu stammen scheinen, die zwar genau­es­tens arran­giert sind, doch in dieser Form tausend­fach in Werbe­vi­deos repro­du­ziert werden. Es gibt sehr gelungene Momente, zumeist, wenn er mit der Licht­set­zung spielt, seine Bilder in Vorder- und Hinter­gründe zerteilt, Brüche in der Magazin-Optik herstellt. Auf der anderen Seite schleicht sich immer wieder ein fürch­ter­li­cher Kitsch ein. Wie sich bewegt, wie geraucht wird, das besitzt keine eigene Eleganz, steht nicht für sich, bleibt charak­terlos, eine reine Pose. Es entspringt genau jenen Magazinen, zeichnet Bewe­gungen nach, die so nicht wirklich vorkommen können, die arti­fi­ziell das Stadtbild durch­schneiden, Ästhetik um der Ästhetik willen erzwingen, und gerade darüber befremd­lich wirken. Anfangs stört das, doch es entwi­ckelt einen eigen­tüm­li­chen Reiz, stellt die Stadt als Laufsteg aus, als Thea­ter­bühne, die keine Menschen zulässt, nur Charak­tere und Figuren, die sich ihrem Stand gemäß verhalten – und jenen darüber bestimmen. Selbst­ent­wor­fene Leben bekommen wir hier präsen­tiert, nur scheint niemand wirklich zufrieden zu sein mit dieser antrai­nierten Rolle, der Maske, die Stück für Stück die Überhand gewinnt. Ein so perfekter Stil schleicht sich ein, dass es darunter gar nichts mehr geben kann, Welt­sichten zu funda­men­talen Weis­heiten umgeformt werden. Die »richtige Antwort« gilt als das Nonplus­ultra, wird eben dadurch selbst ästhe­tisch: Stimmen muss diese Antwort nie, sie muss sich nur gut verkaufen lassen, Souver­ä­nität ausstrahlen, das Spiel am Leben halten, und im besten Fall den nächsten Akt einleiten.

Durch diese Welt nun bewegt sich Parthenope, Tochter reicher Eltern und mit unsag­barer Schönheit gesegnet. Es gibt viele Zeitsprünge (teils über Jahr­zehnte hinweg) und noch mehr Orts­wechsel, der Film mutet wie ein Statio­nen­drama durch die Geschichte Neapels an. Rekur­rie­rende Plot­points sind ihre kompli­zierte Fami­li­en­ge­schichte, ebenso das Lernen und spätere Arbeiten an der Univer­sität. Parthenope studiert Anthro­po­logie, ein besonders strenger Professor nimmt sich ihrer an.

In den einzelnen »Stationen« dann trifft sie zumeist auf Männer, fast immer geht es um eine Verfüh­rungs­ge­schichte, die über die Neben­fi­guren einge­führt wird. Alle liegen sie ihr zu Füßen, selbst die eigenen Geschwister, doch fast alle lässt sie abblitzen. In diesen Momenten ist der Film am inter­es­san­testen, verknüpft Erotik, Lust und Begierde, ohne sie fort­zu­führen, lässt sie im Nichts auslaufen. Kommt es tatsäch­lich zum Sex, wird abge­blendet oder nur sehr andeutend gear­beitet, es geht um die Momente davor, die Verfüh­rung, das (erneute) Schau­spiel, das sich von der eigenen Körper­lich­keit entfernt, sich auf das Gegenüber überträgt. Melan­cho­lisch wird es hier, Sorren­tino findet den Moment der Ekstase in ihrer Anti­zi­pa­tion, nicht in der Erfüllung: »Desire is a mystery and sex is its funeral.«

In diesem Modus verharrt dann auch der gesamte Film, deutet viel an, wechselt beständig seine Themen, möchte mit unscharfem Fokus von Neapel erzählen, ein Lebens­ge­fühl skiz­zieren, zu keiner objek­tiven Studie verkommen. Das birgt schöne Szenen, rutscht aber immer wieder in verein­fa­chenden Symbo­lismus ab, der trotz der ange­strebten Ambi­guität nichts Myste­riöses enthält, sondern eben dieses Mysterium zu aufdring­lich vor sich herschiebt. Anstatt Fragen aufzu­werfen, Selt­sam­keiten und Unsi­cher­heiten in der Welt zu suchen, gibt uns Parthenope schließ­lich doch eine Antwort: Die Existenz ist uner­gründ­lich, ein einziges schönes (natürlich, wir sind bei Sorren­tino) Rätsel.

Mag sein, doch so rätsel­haft dieser Satz auch klingen mag, er ist in seiner »Ich weiß, dass ich nichts weiß«-Menta­lität auch reichlich banal.

Die Schönheit nach Saint Laurent

Ein Film wie ein Italienurlaub: »Parthenope« von Paolo Sorrentino

»Das Kino hat an Qualität verloren. Das Kino der Vergan­gen­heit konnte sich frei ausdrü­cken. Es war frei, zu sagen, was es wollte. … Das heutige Kino hat diese Freiheit eingebüßt. Es unter­liegt Einschrän­kungen, diktiert durch den herr­schenden Zeitgeist und seine Ideo­lo­gien. Das gilt nicht nur für Italien. Es gilt genauso für das Kino in Groß­bri­tan­nien, in Frank­reich und in den USA.
Wir leben in einer Epoche, die sich mitt­ler­weile schon lange hinzieht, in der das, was gesagt wird, oft als belei­di­gend empfunden wird. Und auch als poten­ziell gefähr­lich, vor allem von den Finan­ziers. Daraus entsteht ein Mangel an Freiheit. Eine unfreie Kunst kann weniger provo­zieren und ist in ihren Möglich­keiten überhaupt beschränkt.«
Paolo Sorren­tino im Interview mit Jan Küveler

Wir befinden uns in Neapel, dem Lieblings-Terri­to­rium von Paolo Sorren­tino, in einem Haus am Meer. Zu sehen ist ein alter, deka­denter Aris­to­kra­ten­pa­last, so anachro­nis­tisch wie die versailles­ar­tige Kutsche, die in einer Ecke des Salons steht. In dieser Welt findet gerade eine Geburt statt, und der Bürger­meister verkündet, dass es ein Mädchen ist und den Namen einer Sirene tragen soll: Parthenope.

So beginnt ein Film, der in vieler Hinsicht so wirkt, wie vergan­genen Zeiten entsprungen: Eine wunder­schöne Frau ist das Medium von Sorren­tinos neuem Film; sie ist benannt nach der mythi­schen Sirene, die der Stadt Neapel ihren Namen gab, Parthenope (Celeste Dalla Porta). Geboren aus dem Wasser, flaniert sie in diesem Film fast wie eine Schlaf­wand­lerin durch pracht­volle Kulissen und luxuriöse Villen, ohne sich jemals ganz den Wünschen der jungen Männer hinzu­geben, die sie permanent umwerben. Sie ist Anthro­po­login, neugierig und gebildet, von rätsel­haften Gedanken beherrscht, aber unzu­gäng­lich und kühl anmutend in ihren Emotionen – Sorren­tino porträ­tiert sie in einer Abfolge von werbe­spot­ar­tigen Szenen im Hinblick auf Licht und Bild­kom­po­si­tion, als wäre sie ein Model von Saint Laurent – die Firma ist nicht zufällig Produ­zentin dieses Films –, darum trägt die schöne Dame auch Kleider von Saint Laurent und bewegt sich durch eine Welt, in der alles akribisch insze­niert ist, und kein Anzug eine einzige Falte hat.

Das Kino Sorren­tinos stand dem Werbefilm schon immer nahe. Mit La grande bellezza und Youth hat der Italiener einen eigenen, höchst persön­li­chen Filmtyp kreiert: Thema­tisch um Jugend und Schönheit kreisend, stilis­tisch an der Perfek­tion und dem Glamour eines Werbe­films angelegt, sind Sorren­tinos Filme forma­lis­tisch strenge Werke, zugleich inhalt­lich burleske Exzesse, in denen er oft genug seinem großen Vorbild Federico Fellini nach­ei­fert. Anders als in seinen anderen Filmen ist die Haupt­person, die titel­ge­bende Parthenope diesmal weiblich.

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Bereits in dieser Ausgangs­si­tua­tion legt Sorren­tino seine Karten offen: Die Sirene wird zur Verkör­pe­rung der Schönheit und ist dazu bestimmt, eine Göttin zu werden. Parthenope wird im Lauf des Films einige Jahr­zehnte der neapo­li­ta­ni­schen Geschichte durch­queren, doch das gezeigte Neapel ist weder das der Camorra, noch das der Archäo­logen und Kunst­his­to­riker, sondern ein anderes, imaginäres Neapel, das dem blauen Meer zugewandt ist und in dem alles auf eine bestimmte Vorstel­lung von Schönheit verweist.
Parthenope verkör­pert ein bestimmtes weib­li­ches Ideal – aus männ­li­cher Perspek­tive betrachtet.
Die wiederum von den vielen jungen Männern verkör­pert wird, die ihr nachjagen.

Dieser Film verliert sich wieder und wieder in zahl­rei­chen Windungen und mäandert, wie seine Prot­ago­nistin, zwischen Schönheit und Groteske.

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Der Regisseur zeigt hier die Vorstel­lung eines Italiens, das von der Schönheit beherrscht wird – als würde die Land­schaft schöne Körper hervor­bringen. Dieses Italien, das einst schon so reizvoll für Bernardo Berto­lucci in Stealing Beauty oder für Luca Guad­a­gnino in Call Me by Your Name war. Im Gegensatz zu diesen Filmen ist der Laurent-Werbe­blick hier jedoch kein fremder Blick, sondern behauptet, tief neapo­li­ta­nisch zu sein – bis hin zur Erfor­schung des kollek­tiven Unbe­wussten dieses Ortes.

Sorren­tino bear­beitet ein Neapel, das von seinen Ritualen geprägt ist, und während er versucht, diese Welt wie ein Anthro­po­loge zu erfassen, verspürt er die Versu­chung zum Grotesken – einem Schlüs­sel­merkmal seines Stils.
Der Regisseur hat auch nie Angst, in leersten Manie­rismus abzu­driften – im Gegenteil ist dies eine unver­kenn­bare Marke von seinem Stil. Oder absurd abzu­schweifen. Etwa in der Figur von John Cheever, gespielt von Gary Oldman in Remi­nis­zenzen an seine Dracula-Rolle.

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Dazu kommen düstere Refle­xionen über Inzest, Freitod, die Bewertung weib­li­cher Schönheit oder über den Verzicht auf Mutter­schaft.

Dieser Themen-Cocktail ist mitunter schwer verdau­lich, da er die Prot­ago­nistin in schwachen Momenten selbst­ge­fällig in einen Fetisch seiner explizit voyeu­ris­ti­schen Blick­weise verwan­delt.

In seinen besten Momenten erinnert Sorren­tinos Film aber auch wieder an Meis­ter­werke des Kino-Forma­lismus wie Letztes Jahr in Marienbad. Falls die Insze­nie­rung die Welt­an­schauung des Regis­seurs wider­spie­geln soll, dann könnte diese, die sich aus den Bildern von Parthenope ableiten lässt, kaum feier­li­cher, selbst­be­zo­gener und selbst­ver­liebter sein. Eine Ego-Überdosis.

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Über Sorren­tinos Filme heißt es immer, sie seien »eine Augen­weide«. Aber ist die soge­nannte Schönheit bei diesem Regisseur nicht zu perfekt? »Fast jede einzelne der Aufnahmen ist von ausge­suchter Raffi­nesse«, schreibt Barbara Schwei­zerhof in der »taz«. Aber es ist eben alles derart perfekt ausge­leuchtet, derart glatt, derart lackiert, dass es leer wird.

Sorren­tino feiert die Schönheit nicht, sondern über­bietet sie, bis sie grotesk wirkt – er denun­ziert sie.

Was bleibt, ist ein Film wie ein Itali­en­ur­laub!