Deutschland/L 2022 · 116 min. · FSK: ab 6 Regie: Maggie Peren Drehbuch: Maggie Peren Kamera: Christian Stangassinger Darsteller: Louis Hofmann, Luna Wedler, Jonathan Berlin, Nina Gummich, André Jung u.a. |
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Mehr leichtfüßiger Schelmenroman als aufwühlendes Überlebensdrama | ||
(Foto: X Verleih/Warner Bros) |
Im Gedächtnis bleiben wird wohl vor allem das immerzu extrem breit grinsende Gesicht von Louis Hofmann (Dark, Prélude, Die Mitte der Welt). Ist dieses Grinsen ein Ausdruck von Resilienz und optimistischem Naturell oder eine perfekte strategische Tarnung oder einfach nur eine neurotische Angewohnheit? Man weiß dies auch nach knapp zwei Stunden Filmdauer nicht so richtig, was schade ist.
Maggie Perens (Drehbuch und Regie) historisches Filmdrama Der Passfälscher, das im Februar 2022 bei den Filmfestspielen in Berlin seine Premiere feierte, hat das autobiografische Buch »Der Passfälscher. Die unglaubliche Geschichte eines jungen Grafikers, der im Untergrund gegen die Nazis kämpfte« von Cioma Schönhaus zur Vorlage. Es ist die Geschichte eines jungen jüdischen Mannes in den Kriegsjahren 1942/43, der sich, statt sich ängstlich zu verstecken, dank einer falschen Identität fast ungehindert in der Öffentlichkeit bewegt und auch die brenzligsten Situationen unbeschadet übersteht. Das erinnert an Sally Perel und die Verfilmung seines Lebens in Hitlerjunge Salomon oder auch an Thomas Manns fiktiven Hochstapler Felix Krull. So hat auch Der Passfälscher eher etwas von einem leichtfüßigen Schelmenroman als von einem aufwühlenden Überlebensdrama.
In der großen Wohnung seiner deportierten jüdischen Eltern lebt der junge Cioma Schönhaus mit seinem untergetauchten Freund Det Kassriel (Jonathan Berlin). Er arbeitet in einem kriegswichtigen Betrieb und ist so der Deportation vorläufig entgangen. Beauftragt vom Anwalt Franz Kaufmann, der versucht, Juden aus Deutschland zu retten, indem er sie mit falschen Pässen versieht, beginnt Cioma seine Arbeit als Passfälscher und bekommt dafür überlebenswichtige Lebensmittelkarten. Drangsaliert und scharf überwacht wird er von der Blockwartin Frau Peters und dem Kriminalbeamten Heiner.
Der Ton dieses aufgrund der spärlichen Außenszenen eher wie eine Theaterverfilmung wirkenden Filmes bleibt trotz der dramatischen und teilweise auch lebensgefährlichen Situationen, in die der Protagonist Cioma und sein Freund Det geraten, eher harmlos und heiter, alles auf mittlerer Temperatur. Es ist eben ein Schelmenstück, das Cioma Schönhaus unter dem Pseudonym Peter Schönhausen grinsend aufführt, indem er als Stammgast eines Restaurants logiert und ohne Judenstern Straßenbahn fährt – perfekte Mimikry, wie er mehrfach betont. Ob diese Art Mimikry allerdings für das Jahr 1942 realistisch ist und an welchen Vorbildern sich Schönhaus für seine Tarnung orientiert, bleibt unbeantwortet. Wer ist in diesem Kriegsjahr ständig so übertrieben gut gelaunt durchs Leben gelaufen?
Nicht nachzuvollziehen ist, dass das Drehbuch sein Leben vor dem Krieg und das Schicksal seiner Familie (Schönhaus’ Eltern sowie seine Großmutter wurden deportiert und später in den Vernichtungslagern Sobibór und Majdanek ermordet) ausspart und ihn damit seiner Biografie und Gefühlstiefe beraubt. Denn sein Dauergrinsen ist nicht nur Versteckspiel und Maske, sondern auch privat sein Markenzeichen. Seine Angst vor Entdeckung wird nur in wenigen Szenen (Zittern der Hände) spürbar wie auch seine Erschütterung beim Verlust seines besten Freundes sehr sparsam inszeniert wird (Tränen tropfen auf einen Pass). Man kann das in Der Passfälscher als erfreulich subtile Umsetzung rezipieren, aber letztlich bleibt die Hauptfigur dadurch eine kaum nachvollziehbare Kunstfigur, eine grinsende Behauptung, eine Projektion des furchtlosen Widerstands. Das trifft auch auf die Liebesgeschichte mit Gerda (Luna Wedler) zu, die von den Zeitumständen völlig abgehoben und wenig glaubwürdig wirkt, abgesehen davon, dass die Chemie zwischen den Darstellern keine erkennbaren Funken schlägt. Die Angst vor Entlarvung einer falschen Identität hat da Quentin Tarantino in der Kellerszene von Inglourious Basterds mit August Diehl oder in der Begrüßungsszene im Kino mit Christoph Waltz und Brad Pitt wesentlich nachhaltiger und spannender in Szene gesetzt. Welche Szene wird von Der Passfälscher im Gedächtnis bleiben? Vielleicht die, in welcher Det bei seiner Gefangennahme sich hinunterbeugt und seine Schuhe bindet, eine Anspielung auf eine entsprechende symbolisch aufgeladene Aktion seines Freundes und damit eine intime Verabschiedungs- und Erinnerungsgeste. Aber meistens glättet der Film Ängste und Emotionen, sticht nicht, geht selten unter die Haut und spart die brutale Wirklichkeit dieser Zeit aus. Wir sehen keine Deportation, keine Folter, keinen Tod, keine Bombenangriffe – immerzu nur wieder die Restaurantbesuche, die Arbeit des Passfälschens, das selbstgewisse Grinsen.
Nachvollziehbarer als die Frohnatur des Protagonisten erscheinen einem da in ihrer traurigen Gestimmtheit und angstvollen Vorsichtigkeit die meisten anderen Rollen, alles auch historische Personen: Der Freund Det, der von Jonathan Berlin feinsinnig berührend gespielt wird, sein Fälscherkollege Ludwig Lichtwitz (Yotam Ishay) oder der charismatische Marc Limpach als Anwalt Franz Kaufmann, der leider auch ganz ohne seinen biografischen Hintergrund oder sein tragisches Ende gezeigt wird.
Einen realistischen Bezug zum Zeitgeschehen vermitteln – ohne der Fantasie nachhelfende Außenszenen – immerhin die immer wieder gezeigten Lebensmittelkarten und das Leben im Haus, in dem Cioma am Anfang in der elterlichen Wohnung lebt. Hier überzeugen die Nebendarsteller, allen voran Nina Gummich als Blockwartwitwe Peters und Adrien Papritz als Kriminalbeamter Heiner, und vermitteln durch ihre permanente Neugier und Aufdringlichkeit ein Gefühl der
Engmaschigkeit der damaligen nachbarlichen Überwachungsmaschinerie. Auch Gier, Wegschauen, Egoismus, Verrat und die kleinen individuellen Handlungsspielräume dazwischen werden hier deutlich und sind dabei wesentlich interessanter als die eigentliche Haupthandlung.
Damit retten die überzeugenden Nebenfiguren und ihre guten Darsteller, auch wenn man über sie viel mehr hätte erzählen können und vielleicht müssen, den insgesamt zu langweilig und bieder inszenierten
biografischen Stoff, der riesige Möglichkeiten zu einer packenden Verfilmung geboten hätte. Ob der Film so auch einen Weg zur Jugend findet, bleibt abzuwarten bzw. wohl vor allem den Geschichtslehrern überlassen.