USA/F/D 2016 · 123 min. · FSK: ab 0 Regie: Jim Jarmusch Drehbuch: Jim Jarmusch Kamera: Frederick Elmes Darsteller: Adam Driver, Golshifteh Farahani, William Jackson Harper, Chasten Harmon, Barry Shabaka Henley u.a. |
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Die Welt wird Bus und Poesie |
Auch Rocker und Revoluzzer kommen irgendwann einmal in die Jahre. So auch der stets alterlos wirkende amerikanische Independent-Regisseur Jim Jarmusch, der schon vor drei Jahren seinen 60. Geburtstag feierte. Im selben Jahr kam sein Untoten-Film Only Lovers Left Alive heraus, ein atmosphärisches Werk, reichhaltig wie ein alter Wein. Mit Paterson setzt der ohnehin für die Langsamkeit seiner Werke bekannte Filmemacher den Weg zu einer größtmöglichen Entschleunigung und Entspanntheit fort. Jarmusch fand meist die größte Poesie in den kleinsten Details. Hier findet er sie inmitten der schnöden Routine des Alltags.
Wir verfolgen eine Woche im Leben des stoischen Busfahrers Paterson (Adam Driver) und dessen umso quirligeren Frau Laura (Golshifteh Farahani). Paterson heißt wie die 150.000-Seelen-Stadt in New Jersey, in der das Paar zusammen mit der widerspenstigen Bulldogge Marvin lebt. Jeden Tag fährt Paterson mit seinem Bus die immer gleiche Strecke in der Stadt ab. Jeden Abend führt er den Hund aus und kehrt dabei stets auf genau ein Bier in seiner Stammkneipe ein. Jede Nacht unterhalten sich Paterson und Laura vor dem Einschlafen kurz im Bett. Nur wenn Paterson in seinen Arbeitspausen seine Gedichte in ein Notizbuch schreibt, bricht er aus seinem Alltag aus. Das Gleichmaß seines Alltags passt zu Patersons ausgeprägtem Gleichmut. Seine Gedichte zelebrieren die einfache Poesie des Alltags und die besondere Schönheit der kleinen, oftmals unbeachteten Dinge – wie beispielsweise den Schriftzug auf einer Streichholzschachtel.
Hierin zeigt sich der Geist des Urhebers: In einem Interview sagte Jim Jarmusch einmal, dass er sich schon bei frühen Museumsbesuchen nicht so sehr für die großen berühmten Gemälde, sondern mehr für die kleinen Nebenwerke interessiert habe. Dabei konnte er Gleichgesinnte finden: Die schlichten wie in ihrer Klarheit sehr schönen Gedichte stammen aus der Feder des realen Poeten Ron Padgett, einem Vertreter der New York School of Poetry. Der hat einige der Gedichte extra für diesen Film geschrieben. Auch die Stadt Paterson insgesamt spielt eine wichtige Rolle für die US-Dichtkunst. So erwähnt Paterson immer wieder sein großes dichterisches Vorbild, den amerikanischen Poeten William Carlos Williams (1883-1963). Dieser hat nicht nur einen ähnlich schlichten Namen wie Paterson aus Paterson. Williams lebte sein gesamtes Leben in der noch weit kleineren Stadt Rutherford in New Jersey, wo er in Vollzeit als Arzt arbeitete. Sein Hauptwerk sind der fünf Bände umfassende Gedicht-Zyklus »Paterson«. Darüber hinaus verfasste Willams 1955 das Vorwort zu dem Gedicht eines damals noch unbekannten jungen Dichters aus der Stadt Paterson, dem heute berühmten Beat-Poeten Allen Ginsberg.
Auch die Tatsache, dass Ginsberg ursprünglich aus Paterson stammt, wird im Film thematisiert. Somit zeigt sich im Verlaufe der Handlung immer deutlicher, dass dieser so unaufgeregte und unspektakuläre Ort tatsächlich eng mit den Namen einiger der wichtigsten amerikanischen Dichter verknüpft ist. Dies lässt auch den Hauptdarsteller immer mehr in einem anderen Licht erscheinen. Wirkte Paterson anfangs noch eher wie ein unbedarfter Busfahrer, der in seiner Freizeit zwar schöne, aber auch recht simple Gedichte schreibt, so erscheint er nach und nach immer mehr wie ein hoffnungsvolles neues Talent, das nur irgendwie nicht den Dreh findet, seine Sachen zu veröffentlichen.
An dieser Stelle taucht für Jim Jarmusch und seinen Zuschauern die Frage auf: Wie viele Menschen wie Paterson gibt es auf der Welt, die zwar ein echtes Talent besitzen und auch Werke erschaffen, deren Namen jedoch niemals über den engsten Familien- und Freundeskreis hinaus bekannt wird?