USA 2003 · 119 min. · FSK: ab 12 Regie: John Woo Drehbuchvorlage: Philip K. Dick Drehbuch: Dean Georgaris Kamera: Larry Blanford Darsteller: Ben Affleck, Aaron Eckhart, Uma Thurman, Paul Giamatti u.a. |
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Mann ohne Eigenschaften |
Wollte man eine Liste der heißesten Kandidaten für die Heldenrolle in einem John Woo Film aufstellen, würde es Ben Affleck wohl kaum unter die Top 10 schaffen. Sollte man meinen. Immerhin gibt es keinen, der Männerkörpern so viel abverlangt wie der große Meister des Hong Kong Kino.
Affleck ist dagegen irgendwie Hollywoods Mann ohne Eigenschaften. Seine denkwürdigste Rolle spielte er bislang an der Seite von leading lady La Lopez in der Bennifer Soap. Was ihm, wer wollte das
bestreiten, mehr Spott als Ruhm eintrug.
Nun ist der Held in Paycheck aber identitätslos quasi von Berufs wegen. SciFi Kultautor Philip K. Dick lieferte die Vorlage um den Ingenieur Michael Jennings, der sich nach erledigtem Job die Erinnerung löschen läst. Bis etwas schief läuft und Jennings statt dem satten Honorar in Millionenhöhe nur ein Umschlag voll Schnickschnack bleibt, aus dem er seine Vergangenheit zusammenpuzzeln muss. Einmal legt Affleck all die Gegenstände sorgfältig vor sich aus und am Ende ist ein Fragezeichen daraus geworden. Kopfarbeit ist gefragt. Gleich zu Anfang lässt Woo seinen Helden ein kleines Zirkeltraining absolvieren und Muskeln zeigen. Ein paar Runden Sandsackdreschen – aber das ist nur pro forma. Als wollte Woo seinen afficionados sagen: okay Leute, ich weiß was ihr von mir erwartet. Hier habt ihr – und jetzt ist auch wieder gut.
Woo flirtet heftig mit Hitchcock hier, die gar nicht so kühle Blondine in Gestalt Uma Thurmans inbegriffen. North by Northwest und Family Plot stecken in Paycheck und unsichtbare Dritte wie George Kaplan oder Eddie Shoebridge, die dort die Helden auf Trab halten. Die Jagd nach dem schattenhaften Alter Ego findet man seit jeher bei Woo, immer gibt er seinem Helden auch gleich das eigene Spiegelbild mit. Der Hero funktioniert nur im Doppelpack mit dem Villain, das ist die Ausgangsstituation der MI-2.
Deswegen ist die Schlüsselszene bei Woo auch immer wieder dieselbe: wenn sich Held und Antiheld gegenüberstehen, die Waffen aufeinander richten, dann passiert das nicht selten vor Spiegeln oder Fensterscheiben. Es ist ein Art des »zu sich Kommens«. Michael Jennings hingegen jagt nun den Feind im Inneren, ein echtes Alter Ego, drei Jahre seines Lebens, die ihm abhanden gekommen sind, die aber gleichwohl über seine Zukunft, sein Überleben entscheiden werden.
Man darf, bei aller Begeisterung für den »heroic bloodshed«, auch Woos wunderbaren Sinn für Humor nicht unterschätzen. Ein Humor der feinsten Art zudem, wo einer auch mal über sich selber lachen kann. Die erste magische Begegnung zwischen Affleck und Thurman inszeniert er konsequent nach eigenem MI-2 Vorbild. Aber: dort heiße Flamenco Rhythmen, hier lounge music und Schnittchen. Und wo Cruise nach
einer mehr als doppeldeutigen Autoverfolgungsjagd auch direkt zur Sache kommt, blitzt Affleck mit seinen Annäherungsversuchen – zunächst – tölpelhaft ab. Das ist so selbstironisch wie der berühmte Ausspruch des viel geschmähten Einweg-Bonds George Lazenby, der gleich zu Anfang Pech mit den Frauen hat On Her Majesty’s Secret Service und dazu nur trocken kommentiert: das wäre
dem anderen (gemeint ist Sean Connery) nie passiert.
Nicht zu vergessen verbindet Hitchcock und Woo ja immerhin auch die Vorliebe für das persönliche Trademark. Hitchcock musste sich noch selbst bemühen zu seinen Cameo-Auftritten im eigenen Film. Woo bleibt hinter der Kamera aber eines ist sicher: Woo ist nur echt mit Taube. Dieses Gütesiegel ist, nebenbei bemerkt, auch nicht lächerlicher als ein kleiner dicker Mann irgendwo im Bildausschnitt.
Paycheck ist gehörig abgewatscht worden von der Kritik. Das ist nun wieder Wasser auf die Mühlen all jener Klageweiber, die schon immer der Meinung waren, dass Hollywood quasi den Ausverkauf bedeutet für die Regiegötter aus dem fernen Osten, dass im gelobten Filmland Hong Kong alles besser und künstlerisch wertvoller war. Was natürlich Quatsch ist. Hong Kong ist nicht Hollywood. Die Filme der Hong Kong legends wie John Woo, Wong Kar Wai oder Johnny To sind alles andere als repräsentativ für das Hong Kong Kino an sich. Und der zweifellos geniale John Woo wäre nicht John Woo, wollte er versuchen, in Amerika HK Kino zu machen. Er versteht es wie kaum ein anderer, jeder Geschichte, jedem seiner Darsteller das perfekte framing zu verpassen. Keiner kann Männerkörper so sexy in Szene setzen wie Woo. Ganz unübertrefflich, wie sich Tony Leung in Hardboiled an den Flammen eines brennenden Autowracks eine Zigarette anzündet. Nun sind Langnasen natürlich keine asiatischen Beauxs. Trotzdem: Bei Woo kommt einem, mit Hilfe von reichlich slow motion, sogar der eher prollige Jean-Claude Van Damme attraktiv vor. Affleck bleibt, obwohl erstaunlich muskelbepackt hier, immer irgendwie körperlos, asexuell. Er ist eher der Typ Marketing Manager, der sich vor allem über die Qualität seiner Anzüge definiert und Woo macht gleich zu Anfang klar, dass es keinen Wert hat mit den martial arts in diesem Fall. Jennings ist der klassisch amerikanische Fall von corporate identity und je länger man darüber nachdenkt, desto perfekter passt gerade Affleck in diese Rolle.
Abgesehen davon ist Paycheck unter Woo’s amerikanischen Filmen wahrscheinlich sogar am nächsten dran am Hong Kong Mainstream, wo man immer noch und immer wieder eine geradezu kindliche Begeisterung hegt für allerlei verrückte gadgets und Maschinen, für Geheimprojekte und Weltherrschaftspläne. Nur im Hong Kong Kino haben die Mad Scientists wirklich überlebt und es bekümmert auch keinen, ob das alles irgendwie »realistisch« ist oder nicht. In Michael Jennings zeigt Woo einen, der so eifrig dabei ist, an der überdimensionalen Kristallkugel zu basteln, die den Blick in die eigene Zukunft ermöglicht, dass er darüber seine Vergangenheit, seine Identität aus den Augen verliert. Es geht, jenseits der magic bullets, der rasanten Verfolgungsjagden und den daraus resultierenden Blechschäden, immer um Identität, Identitätsverlust und Rollentausch bei Woo.
Die Dreharbeiten zu Paycheck begannen am 1. April 2003. Am selben Tag beging Leslie Cheung in Hong Kong Selbstmord. Cheung war in Woos A Better Tomorrow Teil 1 und Teil 2 sowie Once a thief zu sehen, arbeitete regelmässig mit Wong Kar-Wai und gilt in Asien zudem als Ikone des Canto-Pop. Dieser Tage erst hat John Woo in einem
Interview berichtet darüber, wie der Tod seines Freundes die Dreharbeiten beeinflusst hat. Er habe 80% der Actionszenen aus dem Skript genommen, sagt er, um sich mehr auf die Beziehungen zwischen den Charakteren zu konzentrieren. Um dem Ganzen einen leichteren, einen heiteren Touch zu geben. Die Zeit der tragischen Helden sei vorbei für ihn.
Wer weiß, vielleicht ist Ben Affleck ja der Prototyp einer neuen Ära in Woos Universum.