Spanien 2021 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Fernando León de Aranoa Drehbuch: Fernando León de Aranoa Kamera: Pau Esteve Birba Darsteller: Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor, Óscar de la Fuente, Sonia Almarcha u.a. |
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So selbstgerecht wie selbstverliebt: Kapitalismus on the rocks | ||
(Foto: Alamode) |
Mit 20 Nominierungen und letztendlich sechs Auszeichnungen war Fernando León de Aranoas Kapitalismussatire der große Gewinner der letzten spanischen Goya-Filmpreisverleihung. Das wundert schon allein deshalb nicht, weil Spanien sich so wie fast Land Europas in einer Systemsackgasse befindet. Denn da es die Alternative Kommunismus seit Jahrzehnten nicht mehr gibt, graben sich neoliberale Denkweisen immer selbstverständlicher nicht nur in unseren Berufsalltag ein.
Umso wichtiger sind deshalb Ventile, die diesen Missstand einer Systemalternative bloßlegen und zeigen, wie perfide unsere wirtschaftliche Gegenwart funktioniert. Und das macht de Aranoas Film ganz hervorragend, denn Julio Blanco, süffisant von Javier Bardem ausgespielt, scheint wirklich der perfekte Chef zu sein: kompetent, charismatisch, fürsorglich und auf ganzer Linie erfolgreich. Erfolg, der süchtig macht. Denn als Julio die Chance sieht, einen prestige-trächtigen Wirtschaftspreis als bester Betrieb Spaniens zu gewinnen, ist er sofort mit dabei. Doch als er für den abschließenden Jury-Besuch seine Firma auf Hochglanz polieren will, beginnt die Fassade plötzlich zu erodieren, spielen weder ein entlassener Mitarbeiter, noch ein deprimierter Produktionsleiter und eine verliebte Praktikantin sein Spiel länger mit.
Diese Demaskierung eines vermeintlich sympathischen Demagogen inszeniert de Aranoa so konsequent wie vorhersehbar. Er konzentriert sich dabei vor allem auf schnelle Szenenwechsel und konzentrierte, pointierte Dialoge, die mit überraschend vielfältigen thematischen Verschiebungen kombiniert werden. Dadurch erhöht der Der perfekte Chef nicht nur das für den terminalen Jury-Besuch notwendige Deadline-Tempo, sondern er bemüht sich auch, so viele Facetten und Verwerfungen der spanischen Gesellschaft wie möglich zu zeigen: Sexismus, MeToo, unhaltbare Arbeitnehmerverhältnisse, Jugendkriminalität- und Arbeitslosigkeit, Rassismus, Korruption und Vetternwirtschaft – die Lage ist alles andere als rosig.
Selbstredend reicht dieses Krisenkonvolut aus, um mehr als einen Film zu füllen. Auch deshalb arbeitet der Film fast schon penetrant mit Bonmots, die dem Zuschauer diese Anballung traurigen Verhältnisse erträglich machen sollen: so ist der entlassene Mitarbeiter nicht einfach nur ein demonstrierendes Ärgernis, sondern verbündet sich mit dem reimenden Wachmann vor den Toren von Julios Waagenbaubetrieb, der ihm die Bedeutung von Sprache und Reimen klar macht, um seine Sache besser zu vertreten. Und so hat eigentlich jede der zahlreichen Binnenerzählungen in diesem Film seine kleine Groteske, eine Überraschung, die aus der Bitterkeit immer wieder auch eine Note Heiterkeit zu schlagen weiß – das ist mit der an sich völlig deprimierenden Schürzenjägerei von Julio genauso wie mit seinen vermeintlichen Freundschaften oder der Beziehung zu seiner Frau.
Dieses „Abfedern“ von an sich horrenden Zuständen und der ja durchaus auch in den Raum gestellten kritikwürdigen Zustände macht Der perfekte Chef zu einem fast schon klassischen Feel-Good-Film, der mit seinem großartig aufgelegten Ensemble und den spritzigen Dialogen auch der Notwendigkeit, den Kapitalismus zu demaskieren, beste Dienste tut. Doch gerade diese sich immer wieder auch noch aus dem schlimmsten Dilemma windende Pseudomoral verselbstständigt sich irgendwann, wird zum puren, sich wiederholenden Gedankenspiel, und die ja eigentlich im Zentrum stehende Systemkritik verliert mehr und mehr an Verve und auch an Glaubwürdigkeit.
Das alles erinnert gerade mit der Fokussierung auf die »Wird-schon-werden«-Moral alter weißer Männer verblüffend dem letzte Woche erschienenen, ähnlich ein wenig zahnlos daherkommenden, dritten Teil von Monsieur Claude. Denn dort wie hier beginnt man sich bei all der zuckersüßen und nur allzu vertraut und in die Leere laufenden Kritik im Laufe des Films nach einer radikaleren, ja sogar düstereren Gangart zu sehnen, etwa nach dem bösartigen Biss der letzten Sozialdramen von Ken Loach (Ich, Daniel Blake, Sorry We Missed You) oder der bündigen, gnadenlosen Entschlossenheit von Cédric Klapisch in Mein Stück vom Kuchen, wo sehr ähnliche Geschwüre unserer Gegenwart angegangen werden. In denen dann allerdings unser selbstgefälliges, betuliches Feel-Good-Lachen eine ganz andere Wendung nimmt – es bleibt stecken und droht uns zu ersticken.