Spanien 2015 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Fernando León de Aranoa Drehbuch: Fernando León de Aranoa, Diego Farias Kamera: Alex Catalán Darsteller: Benicio Del Toro, Tim Robbins, Olga Kurylenko, Mélanie Thierry, Fedja Stukan u.a. |
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Aufregend, komisch, grausam |
Über den Balkankonflikt des ausgehenden 20. Jahrhunderts gibt es zahlreiche filmische Auseinandersetzungen. Von Angela Jolies ambivalenten Ansatz In the Land of Blood and Honey, der explizit auf den Massenmord fokussiert bis hin zu der Fakten und Fiktionen vermengenden und die mediale Perspektive in den Mittelpunkt stellenden Arbeit von Michael Winterbottoms Welcome to Sarajevo ist so ziemlich alles dabei. Dass nun mit Fernando León de Aranoas A Perfect Day ein Film über die militärischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien in die Kinos kommt, der sich mit der Arbeit einer NGO kurz vor Kriegsende beschäftigt, scheint auf den ersten Blick ein wenig redundant, mehr noch, als die Geschichte sich in einem Satz erzählen lässt: Mitarbeiter einer NGO suchen verzweifelt nach einem Seil, um einen Leichnam aus einem Brunnen zu ziehen.
Doch was Fernando León de Aranoa aus diesem Satz macht, ist alles andere als überflüssig. Es ist ein aufregender, komischer und grausamer Trip in die Abgründe kriegerischer Auseinandersetzungen und den Alltag von Hilfsorganisationen in umkämpften Gebieten. Das mag vor allem daran liegen, dass de Aranoa seine Wurzeln nicht allein im fiktiven Erzählen hat (Montags in der Sonne, 2002), sondern immer wieder auch dokumentarisch gearbeitet hat und das Sujet, über das er in A Perfect Day erzählt hat, tatsächlich kennengelernt hat: sowohl 1995 in einem Film über den Bosnienkonflikt (Refugiados de Bosnia/Izbjeglice) wie auch 2014 in einer Dokumentation über die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen in Norduganda. Hier hörte er auch erstmals von Paula Farias Roman »Dejarse Ilover«, der sich explizit mit dem Alltag eines Notfallkoordinationsteams auseinandersetzt und stark auf die eigenen Erfahrungen der Autorin als längjährige Ärztin und Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen referenziert.
Die Stärke des Romans – sich über Humor und Absurdität an die Grausamkeit des Krieges und ihre im Stillen agierenden Helfer heranzutasten – setzt de Aranoa kongenial auf gleich mehreren Ebenen um. Zum einen versammelt er ein Ensemble, das mit Benicio del Toro, Tim Robbins, Olga Kurylenko, Melanie Thierry und Fedja Stukan nicht nur die Schizophrenie der Helfer in ihrer fragilen Persönlichkeitszusammesetzung aus Missionar, Söldner und Marsianer darstellt, sondern auch die spitzen, wuchtigen und immer wieder komischen Dialoge überzeugend in eine Alltäglichkeit einbettet, der nur durch die Groteske überhaupt so etwas wie Alltäglichkeit abgerungen werden kann.
Zum anderen treibt de Aranoa seine Geschichte nicht nur durch eine bergigen »Mikrokosmos«, der sinnbildlich für jeden anderen Konflikt steht und immer wieder gerade dadurch besticht, dass von einem Moment zum anderen aus der lieblichsten Bergregion ein Abgrund des Grauens wird, nein er unterlegt die ohnehin schon atemberaubend dahinrasende Geschichte auch noch mit einem wilden Soundtrack, der mit Punkrock-Elementen die tarantinoesken Momente des Plots geschickt bricht und auf eine völlig überraschende Ebene überführt. Eine Ebene, auf der der Krieg mit seinen Opfern auch wirkliche Betroffenheit auslösen darf, ohne – wie etwa in Tarantinos Django Unchained – von den komödiantischen und grotesken Momenten gleichzeitig verraten zu werden.
Benicio del Toro, Tim Robbins, und Olga Kurylenko spielen NGO-Helfer im Krieg: Eine Sisyphos-Arbeit für das Gute in der Welt und eine spannende Ausgangssituation: Menschen wie wir in einer Welt voller Gewalt und Gefahr, einer Welt, wie man bei uns längst überwunden glaubt. Mit A Perfect Day ist dem spanischen Regisseur Fernando Leon de Aranoa ein herausragender Film gelungen, der spannend und stargespickt, dabei mit erstaunlicher Komik einen wichtigen Stoff auf die Leinwand bringt – und mit der Flüchtlingsdebatte noch zusätzlich aktuell wird.
»Es war einmal, irgendwo im Balkan« steht am Anfang, bevor das erste Bild zu sehen ist. Der Schock des jugoslawischen Bürgerkriegs hallt nach. Damals geschahen Dinge, die man in Europa für längst unmöglich gehalten hatte. Im Jahr 1995, in dem dieser Film spielt, geht dieser Krieg bereits in seine Zielgerade. Ein Team von einer internationalen Hilfsorganisation versucht der Zivilbevölkerung zu helfen. Es besteht aus den erfahrenen Mambrú (Benicio Del Toro), der den Einsatz leitet und B (Tim Robbins) sowie der völlig neuen Sophie (Mélanie Thierry). Begleitet werden sie von mehreren Einheimischen, darunter ihrem Übersetzer.
Die Straßen zu ihren Einsatzorten sind kurvig, überall lauern tiefe Schluchten oder noch größere Gefahren. Zu ihrer Arbeit gehört die Beseitigung einer Leiche aus einem Brunnen, der mit ihr mutwillig vergiftet wurde. Oder das Räumen von Landminen. Die könnten auch in einer toten Kuh versteckt sein, die mitten auf der Straße liegt.
Früh kommen die Running Gags: Die Leiche im Brunnen ist unglaublich korpulent. Das Seil, mit dem sie aus dem Brunnen gezogen werden soll, reißt wieder und wieder. Das ist ein lustiger Effekt im Kino, jedoch keineswegs albern. Im Gegenteil ist die auch als im Prinzip traurige Metapher zu verstehen, die auf die Sisyhos-Arbeit der NGO-Helfer gemünzt ist: Sie tun ihr Bestes, aber erreichen doch ziemlich wenig. Das macht manche zynisch, viele melancholisch.
Bald kommt noch die Russin Katya (Olga Kurylenko) zu der bunten Truppe hinzu, eine »Konflikt-Evaluatorin«. Auch in diesem Begriff liegt ein Witz, eine sarkastische Betrachtung jener Spezies der Controller, die längst die Macht in den Unternehmen und Organisationen unserer Länder übernommen haben, und dort ein anders geartetes, aber nicht minder totalitäres Regime errichten. Katya soll die NGO-Einheit dichtmachen, weil sie sich nicht rechnet (was für ein Kriterium bei Kriegshilfen), sie war allerdings auch mal die Geliebte von Mambrú.
So eskalieren die Ereignisse sacht, aber sicher. A Perfect Day ist eine Anti-Kriegskomödie in der Tradition von Robert Altmans M.A.S.H. und Catch-22, die zugleich Elemente des absurdistisch-surrealen Balkan-Humors eines Denis Tanovic oder Emir Kusturica aufgreift. Regisseur Fernando Leon de Aranoa ist in Spanien für realistische, gleichwohl engagierte Sozialdramen (Montags in der Sonne) berühmt, die in der Tradition des Briten Ken Loach stehen.
Mit diesem Film versucht er etwas Neues, und es ist ihm hervorragend gelungen: A Perfect Day ist im eigentlichen Sinn keine Komödie, sondern eher eine bittere, aber witzige Tragödie. Nicht jedem wird der teilweise derbe Humor gefallen. Doch der Film macht sich nicht lustig über den Krieg oder die Menschen auf dem Balkan – das Grund-Prinzip könnte auch in Afrika oder im Nahen Osten angesiedelt sein –, der Film ist auch keine Klamotte. Der spezielle Humor ist von Verzweiflung durchzogen, der Humor ist es aber, der diesen Zustand erträglich macht. Die Wärme der Menschen, die der Film uns zeigt, ist ein Ausgleich zu der brutalen Atmosphäre und dem tödlichen Geschehen. Am Ende bleibt vor allem Melancholie.