Japan/Deutschland 2023 · 123 min. · FSK: ab 0 Regie: Wim Wenders Drehbuch: Takayuki Takuma, Wim Wenders Kamera: Franz Lustig Darsteller: Kôji Yakusho, Min Tanaka, Arisa Nakano, Yumi Asô u.a. |
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In ästhetischer Hinsicht raffiniertes und anspruchsvolles Kino... | ||
(Foto: DCM) |
Ein Kloputzer. Sein Leben steht im Zentrum dieses Films, der mehr als alles andere eine – vielleicht zenbuddhistische, jedenfalls populärphilosophisch grundierte – Lektion in Lebenshilfe ist.
Wim Wenders' neuer Film zeigt über weite Strecken den Alltag von Hirayama, gespielt vom japanischen Star Koji Yakusho, der für diesen Auftritt bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Preis für den »Besten Hauptdarsteller« ausgezeichnet wurde. Hirayama ist ein Mann mittleren Alters, der für die Reinigung von öffentlichen Toiletten im zentralen Tokioter Stadtteil Shibuya zuständig ist, der tagtäglich in seinem Van von Latrine zu Latrine fährt, manchmal in Begleitung seines Assistenten, während er die Musik hört, die er sein ganzes Leben schon mag, nämlich Lou Reed, The Kinks, Patti Smith und andere, die auch Regisseur Wim Wenders vermutlich schon sein ganzes Leben mag. In den Pausen macht er Photos von den Bäumen. Jeden Tag wiederholt sich das alles.
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Tatsächlich gibt es darüber hinaus so gut wie keine Handlung in diesem Film, den man – je nach Perspektive und persönlicher Geduldsverfassung – als meditativ oder auch einfach als wohltemperierte Langeweile empfinden kann.
Es gibt keine erzählerischen Wendungen. Es gibt auch keine diskursiven Dialoge oder psychologisierende Erklärungen. In dieser ästhetischen Hinsicht ist Perfect Days jedenfalls raffiniertes und anspruchsvolles
Kino.
Lediglich einige Details seiner kleinen, mit Büchern, Musikkassetten und Photokisten vollgestopften Wohnung und die Begegnungen mit seiner Nichte und seiner Schwester geben einen Einblick in die Vergangenheit von Hirayama, der allerdings, das ist bald zu merken, eigentlich einer anderen, wohlhabenderen Gesellschaftsschicht angehört, und irgendwann, ohne dass dafür Gründe genannt werden, beschloss, diesen tristen Beruf zu ergreifen – der ihn allerdings offensichtlich glücklich macht und es ihm ermöglicht, ungestört von Mitmenschen sein versponnenes Einsiedlerleben rund um seine privaten Obsessionen zu leben.
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Denn darum geht es: Um das Loblied auf einen Einzelgänger und modernen Eremiten. Dieser Film ist auch weltanschaulich gewissermaßen das Gegenstück zum Setting des Films Die Schneegesellschaft, der ebenfalls diese Woche startet. In jenem formt der Ausnahmezustand die Gesellschaft, denn nur in Gesellschaft überlebt der Mensch. In diesem hier machen es Wohlfahrtsstaat und fehlender Druck möglich, sich aus allem auszuklinken, und folgenlos vor sich hin zu leben. Und täglich grüßt die Klobürste.
Dabei müssen wir uns diesen Einzelgänger als glücklichen Menschen vorstellen. Sisyphos als Kloputzer. Nur Regisseur Wim Wenders selbst kann wissen, ob das alles auch irgendetwas mit ihm zu tun hat.
Die grundsätzliche, tiefere Frage, die dieser Film stellt – jenseits seiner wohligen dahinplätschernden Gemütlichkeit, die von schöner, nie störender Musik und ebensolchen schön photographierten Wellness-Bildern untermalt wird –, die tiefere Frage ist die, was die Freiheit in den Wohlfahrtsstaaten des Westens eigentlich mit den Menschen macht?
Denn natürlich hat jeder Mensch das Recht, banal, ohne Ehrgeiz und weitgehend ohne Sozialkontakte vor sich hin zu
leben, und den Rest der Menschheit links und rechts liegen zu lassen.
Aber ist das auch der Sinn des Lebens? Ist das auch – härter gefragt – »richtig« so? Diese Frage stellt Wenders zwar nicht direkt, aber sie steht dröhnend im Raum, und stellt die Hauptfigur infrage, trotz der offenkundigen Sympathie des Films für sie.
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Noch einmal ein kurzer Exkurs zum Kloputzen, und zum Putzen überhaupt: Kürzlich schrieb Marie-Luise Goldmann einen sehr instruktiven Artikel über den neuen Putzfimmel als »Obsession unseres Zeitalters«. »Das Saubermachen« so Goldmann, »wird zum Sinnbild des Lebens.«
Mediziner können inzwischen erklären, dass das unter anderem am »ASMR« liegt. Das bezeichnet die »autonome sensorische Meridian-Reaktion«, das angenehm kribbelnde, an elektrostatische Entladungen erinnernde Gefühl, das Schrubb-, Kehr- und Bürstgeräusche auslösen können. Offenbar eine besonders ausgeprägt weibliche Erregungsform.
Die Liebe zu antibakteriellem Sprühnebel und glitzernden Oberflächen erfasst aber längst auch immer mehr, wenn auch immer noch wenige
Männer.
Womit wir bei Wenders und Hirayama wären. In Tokios Trendbezirk Shibuya werden öffentliche Toiletten von Stararchitekten entworfen, sie besitzen transparente, erst beim Abschließen milchig werdende Wände und strahlen eigentlich immer schon vor Sauberkeit, bevor Hirayamas Kollegen mit ihren Spezialschwämmen anrücken.
Aber wie kommt man dazu, das Saubermachen und vor allem die Menschen, die es tun, zu feiern? Manche erinnern sich vielleicht an die Kultserie »Friends«, in der es die Sauberkeitsfanatikerin Monica gab, die sogar fremde Autos vor der eigenen Haustür schrubbte und ihren Staubsauger mit einem weiteren Sauggerät reinigte. Gerade weil das Putzen nie aufhört, so Goldmann, sei es ein zwangsneurotischer »infiniter Regress, denn hat man gerade alle Keime beseitigt, entstehen schon wieder neue.« Auf Putzen folgt Dreck, dann Putzen, dann Dreck, Putzen, Dreck, Putzen... Ein gleichbleibender Rhythmus, an dessen Ende aber das Scheitern notwendig steht: Wie der »Zauberlehrling« in Goethes Ballade beim Versuch scheitert, mit den Besen die Welt zu bändigen.
Die Gründe für die neue Liebe zum Putzen sind aber auch banaler: Wer findet denn heute noch eine Putzfrau? Wer kann sie sich leisten? Und wer kann es mit seinem linksliberalen Gewissen vereinbaren, andere für sich putzen zu lassen? Zumal Putzfrauen immer ärmere, oft migrantische Frauen sind?
Das Unbewusste des Hygienefimmels, so Goldmann, liege darin, dass niemand dem Schmutz so nah sei, »wie die Person, die ihn zum Verschwinden bringt.«
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Wim Wenders ist der im Ausland bekannteste Regisseur Deutschlands. Mit Perfect Days hat er nun eine poetische Betrachtung über die Schönheit des Alltags gedreht.
Er tat das in Japan, und zwar nicht nur, weil er Japan liebt, sondern auch, weil er in Deutschland kein Geld von der Filmförderung bekam, um diesen Spielfilm zu drehen – jetzt ist Perfect Days, ein
Wenders-Film in japanischer Sprache, mit japanischen Darstellern und japanischem Produktionsgeld gedreht. Er ist nun Oscarkandidat – nicht für Deutschland, sondern für Japan.
Dies ist eine kleine, aber feine Arbeit. Man kann, wenn man will, in ihr auch minimale Verweise auf Wenders' Meisterwerke entdecken: Auf Alice in den Städten und entfernt auf Paris, Texas. Der Himmel über Berlin ist mit dem von Tokio vertauscht. Wenders' eigene Vergangenheit taucht so in verschiedenen Formen auf, ebenso das Problem, wie man mit ihr umgehen kann.
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Ein Kloputzer. Ein banales Leben. Vielleicht so, wie das Leben, das wir alle führen. Aber will man es deshalb auch so sehen? In der sehr ausgestellten und schöngefärbten Banalität? Das ist die Frage und die Antwort liegt wohl sehr im Auge der Betrachter.
Aber die Fans und Generationsgenossen von Wim Wenders wollen Wenders-Filme sehen. Und auch alle anderen wollen Lou Reed hören. Das ist auch gut so, und genügt für einen Kinoerfolg.
Der »beste Film von Wenders seit Jahrzehnten«, wie manche nach der Premiere jubelten, ist Perfect Days deshalb allerdings noch lange nicht.
Die öffentlichen Toiletten in Tokio sind bauliche Überraschungen. Seit einigen Jahren widmen sich Architekten dem stillen Örtchen und haben in der Stadt wahre Tempel der Reinlichkeit errichtet. Manche Klohäuschen sehen aus wie Pilze, andere sind ausladende Pavillons oder schlichte Beton-Skulpturen. Am spektakulärsten aber sind die Toiletten mit transparenten Wänden, die opak werden, wenn man von innen verriegelt.
Die erst in den letzten Jahren errichteten Bauwerke mögen Wim Wenders zugeflüstert haben, ihrer stillen Schönheit einen Film zu widmen. Dem fiel die einfache Geschichte vom Toilettenputzer Hirayama ein und verknüpfte sie mit der Zen-Philosophie, nach der jede, wirklich jede, Tätigkeit mit Liebe, Aufmerksamkeit und Hingabe zu erfüllen sei. Da braucht es nur wenig Handlung und wenig Dialoge. So reichen auch dem wortkargen, in sich gekehrten und mit seinen Mitmenschen sehr gütig und milde verfahrenden Hirayama wenige Gesichtsschattierungen, um sich auszudrücken. Kōji Yakusho spielt ihn mit bravouröser Zurückhaltung und wurde dafür in Cannes als bester Schauspieler ausgezeichnet.
Wie das Setting ist auch die Handlung minimalistisch. Sie folgt der Sehnsucht nach einer Morgen-, Abend- und Aufräumroutine, die seit Jahren sehr erfolgreich die Social-Media-Kanäle erfüllt. Hirayama erledigt sorgfältig und mit viel Hingabe seinen Alltag, als hätte er es bei Marie Kondo gelernt, der berühmten japanischen Aufräumweltmeisterin. Bei allem, was Hirayama macht, knistert es, ist Leben drin, alles ist mit Emotion erfüllt.
Jeder Tag verläuft in Perfect Days gleich, jeder Tag ist der perfekte Tag. Wenders reiht einen Tag an den anderen, wir durchlaufen drei Wochen, in denen nur am Wochenende von der Routine abgewichen wird. Eine Welle im aber dennoch nicht aus der Ruhe zu bringenden Zen-Fluss schlägt in der zweiten Woche der Besuch von seiner Nichte, die von zu Hause ausgerissen ist. Mit ihrer Mutter – seiner Schwester – ist Hirayama zerstritten, aber ohne dass man erfährt, worum es bei dem Streit gegangen sein mag. Stille Wasser gründen eben tief… Wenders hat das sicherlich ebenfalls an Worten sparsame Drehbuch zusammen mit dem Japaner Takuma Takasaki geschrieben, von dem selbst kaum etwas bekannt ist. Die gesamte Produktion ist überhaupt japanisch aufgestellt, weshalb Wim Wenders mit Perfect Days jetzt für Japan um den Auslands-Oscar ins Rennen geschickt werden konnte.
Wenders feiert in Perfect Days die Schönheit der Bäume im Stadtpark, er feiert, wenn auch die Toiletten schön gestaltet sind, oder wenn einer ordentlich und mit Hingabe putzt. Die einfachen Dinge haben es ihm angetan, und dies kann als Autoren-Statement gelten. Design – und deshalb konnte der Toilettenfilm nur in Tokio spielen, und nicht etwa in Istanbul mit der Kultur der Stehtoilette und dem Wassereimer, in den man hineinlangen soll, um sich mit der unreinen Hand den Hintern zu wischen – Design also ist Wenders enorm wertvoll, solange es schlicht ist und eine philosophische Botschaft ausstrahlt. Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten setzte 1989 mit einem ähnlichen Move dem japanischen Modeschöpfer Yohji Yamamoto ein Denkmal, hier schenkt Wenders den Architekten Toyo Ito, Tado Ando und Shigeru Ban, allesamt Stars ihres Fachs, die die Toilettenhäuschen entworfen haben, eine Geschichte zu ihren Bauten.
Man könnte Perfect Days auch als Lebenswert-Liste lesen. Darauf stehen: auf der Tokioter Stadtautbahn fahren und dabei von Kassette Songs von Patti Smith, Van Morrison, The Kinks und Lou Reed (»It’s just a perfect day«) hören. In den Himmel und in Baumkronen blicken. Bücher kaufen und lesen, jeden Abend vor dem Schlafen. Blätter mit einer Kompaktkamera fotografieren, ohne durch den Sucher zu gucken. In Garküchen Sportübertragungen – Sumo und Baseball – im Fernsehen sehen. Nur das Wesentliche sprechen und nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Als sein sehr nerviger Kollege Takashi (überdreht und nervös gespielt von Tokio Emoto) mit seiner Freundin bei Hirayama im Auto mitfährt, sagt die doch glatt: »Ich mag den Sound von Kassetten.« Das ist natürlich Wenders, der hier spricht, und wenn uns nicht alles täuscht, gibt es auch einen Cameo-Auftritt von ihm im Vintage-Kassettenladen, wo Takashi die Kassetten zu Geld machen will.
Dass Sätze wie »Bäume sind Freunde« nicht kitschig rüberkommen, obwohl sie eindeutig Kalendersprüche sind, ist das große Wunder von Perfect Days. Der Film wirkt in jedem Winkel unprätentiös (das ist natürlich die große Kunst), Kameramann Franz Lustig, der in Wenders' Anselm – Das Rauschen der Zeit, der ebenfalls erst im Kino zu sehen war, im Überbietungswettstreit mit dem Super-Künstler Anselm Kiefer große und noch größere Bilder entwirft, kadriert hier im schmalen Academy-Format. Er folgt ganz einfach dem Blick des Toilettenputzers, wenn der in die Bäume hinaufschaut, Schattenspiele an den Wänden oder Silhouetten durch semitransparente Bauteile entdeckt.
Im Blick von Hirayama gibt sich der Ursprung seiner großen Ruhe zu erkennen: die Welt nicht in ihrer Materialität zu sehen, sondern in ihrer Flüchtigkeit, nicht in den Objekten, sondern als Schattenspiele, die auf den Fotos, die er von den Baumblättern macht, sichtbar werden. Nachts kehren wie skizzierte Schattenrisse die Momente des gelebten Tages wieder. Die Videokünstlerin (und Frau des Regisseurs) Donata Wenders hat für diese Träume experimentelle Bilder in Schwarzweiß geschaffen, »dream installations« werden sie im Abspann genannt. Und obwohl das alles natürlich wieder sehr kunstvoll und auch schöngeistig ist, wie man es von Wim Wenders mit seinen doch meist sehr erbaulichen Filmen erwartet, ist Perfect Days ein Film, der, im Verzicht auf das große Gedöns, sehr aufrichtig rüberkommt und tatsächlich zu berühren weiß.
Es ist natürlich gut, dass der Film eines deutschen Regisseurs in Cannes den Preis für den besten Hauptdarsteller erhalten hat und es im Rennen um die Oscars auf die vorletzte Shortlist (Stand 11. Januar 2024) geschafft hat. Und dass nicht nur die Kritik den Film angenommen hat und vom besten Wenders seit Jahren schreibt, sondern auch das Publikum den Film umarmt. Und wann passiert es schon mal, dass ein Kinosaal bei einem deutschen Autorenfilm noch drei Wochen nach Kinostart ausverkauft ist? So wie Perfect Days, der laut der von Comscore und der AG Kino ermittelten Arthouse-Kinocharts vom 9. Januar noch vor Der Junge und der Reiher und dem frisch gestarteten Priscilla nicht nur Spitzenreiter des alten Jahres war, sondern auch des neuen Jahres ist!
Auch bedeutet es natürlich nichts, dass ein erstaunlicher Teil des Publikums sich nach einer halben Stunde für die Option entscheidet, die Michael Althen einmal mit »sich dem Regisseur und seinem Film blind anvertrauen« umschrieben hat, also Schlafen statt Sehen und Hören.
Was dann auch tatsächlich die beste Option sein dürfte, um Wenders’ Geschichte über den Toilettenreiniger Hirayama (Kōji Yakusho) einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Denn bleibt man wach, bleibt nicht mehr viel, das man diesem Film an Gutem zuschreiben könnte: sicherlich die exzellente, ethnografisch aufregende Alltagsfotografie von Kameramann Franz Lustig und auf jeden Fall das überragende Spiel von Kōji Yakusho, das zwar für einen Großteil des Films auf ein debiles Glückslächeln eingefroren ist, doch wird in mindestens zwei Szenen deutlich, dass Yakusho ein fantastischer Schauspieler ist und damit jeden Preis verdient hat. Doch sowohl die Schlusseinstellung, Hirayamas psychisches Ringen mit den Dämonen seiner Vergangenheit als auch das Treffen mit seiner Schwester, bei dem es um ähnliche Verunsicherungen geht, zeigen aber gleichzeitig die Schwäche von Wenders’ Inszenierung, die weder bereit ist, sich auf das breite Spektrum seines Hauptdarstellers ganz einzulassen, noch auf die behaupteten Tiefen seiner Geschichte.
Denn so wie Jim Jarmusch in seinem Paterson (2016), einer ähnlich gearteten Romantisierung des sogenannten »einfachen Lebens«, interessieren auch Wenders weniger seine Figuren und ihre Geschichten und erst recht nicht Japan, sondern das, was Wenders auf Japan projiziert und die Probleme, die er als gealterter Künstler selbst mit dem Leben hat. Es ist der Blick eines Flaneurs, eines faszinierten Touristen, der seine Tasche mit dabei hat und munter seine Brotzeit auspackt, wenn er etwas Erstaunliches bemerkt hat.
Da ist dann z.B. die Digitalisierung, der sich Wenders und sein Hauptdarsteller konsequent verweigern. Hirayama hört lieber Kassetten und die Musik der 1970er, die Wenders dann auch die Gelegenheit gibt, das Tokio von heute mit der Musik von gestern zu fluten und dem westlichen Blick nahbar zu machen. Eigentlich braucht es dazu keine Dialoge, doch weil Wenders in den letzten Jahren in seinen Filmen lieber mehr als zu wenig gesagt hat und die wunderbare Uneindeutigkeit früherer Filme wie Im Lauf der Zeit (1976) zusehends verloren gegangen ist, wird Wenders auch hier sehr explizit. Als seine Nichte ihn fragt, ob es die Musik seiner Kassetten auch bei Spotify gäbe, gibt er nur gedankenverloren zurück: »Wo ist denn dieses Spotify?«
Diese kitschige Banalität des Alltags in Reinform hält Wenders ungebrochen bis zum Ende durch. Er versucht zwar, mit ein paar komödiantischen Elementen zu überraschen, indem er Hirayamas Zuarbeiter Takashi (Tokio Emoto) eine abstruse Liebesgeschichte andichtet, die dann aber – wie sollte es anders sein – in eine Liebeserklärung für Hirayamas unbestechlichen Klang seiner analogen Kassetten mündet. Und wie Rüdiger Voglers Philip Winter in Wenders’ Alice in den Städten (1974) versucht auch Yakushos Hirayama seinen Alltag in analogen Fotos zu bannen. Doch was in Alice in den Städten über die Polaroid-Fotografie so innovativ und überraschend daherkam, weil es auch eine kluge Spiegelung und Hinterfragung des Blickes von Wenders’ Kameramann Robby Müller war, ist hier revisionistische Schwurbelei, die ein romantisches, selbstgenügsames Leben beschwört, in dem es keine Entfremdung und doppelbödige Gesellschaftsfacetten, vor allem aber kein Abgehängtsein durch digitale Überforderung gibt. Eine Welt, von der gerade in den bildungsbürgerlichen Speckgürteln der westlichen Welt so viele träumen.
Bei Wenders werden deshalb sogar die Obdachlosen zum romantischen Sinnbild einer souveränen Gegenbewegung für das einfache Leben. Und Wenders’ Held beharrt bis zum Ende darauf, dass es besser ist, zu schweigen, als zu reden, besser, zu verdrängen, als die Probleme des eigenen Lebens einzukreisen.
Das ist in seiner Radikalität dann irgendwie auch bewundernswert, verzichtet Wenders doch damit sogar darauf, seinem Film, der bis dahin so repetitiv wie meditativ den Alltagsspiralen seines Helden vom Aufwachen bis zum Einschlafen – selbstverständlich bei einem Buch aus Papier – folgt, noch eine überraschende Wendung zu geben.
Doch nach der vielleicht spannendsten Szene des Films, der Begegnung mit der Schwester und der Möglichkeit einer Wiederbegegnung mit dem (wahrscheinlich) tyrannischen Vater und der Andeutung, dass Hirayamas gewähltes Leben nichts anderes ist als die Antwort auf ein schweres Trauma, eine Art Selbstkasteiung für die eigene Herkunft, schließt Wenders den Laden auch gleich wieder, lässt die Leerstelle Leerstelle sein und macht so weiter, wie gehabt, wird dann sogar noch eine tragische Krebs- und mögliche Liebesgeschichte mit Schattenspielereien verkitscht, die immerhin konkreter daherkommen, als die vielen anderen, schwer symbolisch angereicherten Leerstellen in Wenders’ erzählerischem Raum.
Dieses konsequente Ausblenden von Realität – auf der Ken Loach-Skala für Sozialrealismus von 0-10 würde Wenders sicherlich locker die 0 stemmen – ist angesichts einer Gegenwart, die durch Verunsicherungen auf fast allen gesellschaftlichen Ebenen geprägt ist, völlig verständlich und in dieser Dichte eigentlich ein eskapistisches Meisterstück, mit dem Wenders dichter am Puls der Zeit navigiert, als man im ersten Augenblick vielleicht denken würde. Ein besserer Film wird Perfect Days damit allerdings nicht.