Deutschland 2016 · 89 min. · FSK: ab 0 Regie: Corinna Belz Drehbuch: Corinna Belz Kamera: Nina Wesemann, Axel Schneppat, Piotr Rosolowski Schnitt: Stephan Krumbiegel |
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Ein lustiges, erhellendes Stück Kino |
Ob er den Begriff des Störenfrieds wohl als ein Kompliment empfindet? Früher hätte er das bestimmt. Da sprach er bei öffentlichen Reden Sätze wie diesen aus: »Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht.«
Peter Handke war der Frühreife, der clowneske Rebell der deutschsprachigen Literatur. Mit Stücken wie der »Publikumsbeschimpfung« bediente er den Zeitgeist einer progressiven Ära und wirbelte zugleich die brave Nachkriegsspießergesellschaft gehörig auf.
Heute sieht man ganz anderes von ihm. Wenn überhaupt: Öffentlich tritt Handke nur noch selten in Erscheinung.
»Diese furchtbare Scheu, die ich hatte, und zugleich war ich dann doch frech. Leider bin ich nicht mehr ganz so frech, wie ich gern wär'.« sagt er in diesem Film. Peter Handke, der österreichische, seit Jahren vor allem in Paris lebende Schriftsteller und das Kino – dies ist eine wechselseitige Beziehung, die viel enger und komplizierter ist, als die meisten Kino- oder Handke-Fans wissen dürften.
Oder wer weiss schon, dass Handke einst selbst als Filmregisseur begann? Kurz nachdem er auch seine ersten Texte veröffentlichte, begann Handke Filme zu drehen, im Umfeld jenes ästhetisch-politischen Aufbruchs der Sechziger Jahre, der mit den Kurzfilmtagen von Oberhausen und dem Begriff des »Jungen Deutschen Films« verbunden ist. Noch in den 90er Jahren drehte Handke einen Film. In diesem Zusammenhang lernte er auch Wim Wenders kennen. Für mehrere von dessen Filmen schrieb er dann das Drehbuch. Allerdings hat sich die Beziehung der beiden zuletzt erkennbar eingetrübt – trotz oder erst recht gerade wegen Wenders' neuester, recht desaströser Verfilmung des Handke-Zweipersonenstücks Die schönen Tage von Aranjuez und das auch noch völlig überflüssigerweise in 3-D.
Die Kölner Filmemacherin Corinna Beltz hat vor ein paar Jahren mit Gerhard Richter – Painting bereits ein sehr besonderes, sensibles Künstlerporträt geschaffen, das sich vollkommen abseits der für Bildschirm-Verwertungen formatierten Fernseh-Ästhetik bewegte, das die Kunst selbst und den Prozess ihrer Herstellung ins Zentrum rückte und dann darüber auch den Menschen zeigte.
Ähnliches gelingt ihr nun mit Peter Handke, der vermutlich ein noch schwierigeres Objekt für den Dokumentarfilm darstellt, als Richter.
Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte so heißt der Titel dieses Films, der in seiner leichten Umständlichkeit dem kauzigen Wesen Handkes vermutlich sehr gerecht wird. Handke erscheint hier als zärtlich und sensibel, aber auch als skurril, gelegentlich als Diva: »Schreiben ist ein Tabubruch. Das darf man nicht. Irgendetwas ist in einem, das einem sagt, dass man nicht schreiben darf.«
Es sind intime, oder auch einfach alltägliche Einblicke, denen man hier begegnet. Man sieht Handke in seinem Pariser Haus, beim Wandern, beim Pilzeputzen, beim Nähen. Man hört ihn reden: Über Gott und die Welt, aber immer interessant: »Die Geschichte ist ein Monstrum ... Wir leben in einer Zeit, wo wir eigentlich viel mehr machen könnten, aus uns schaffen könnten, als was wir tun.« Und man fragt sich, ob das nun nur eine neue Rolle ist, oder Handkes eigentliches Selbst.
Die Regisseurin hat es auch geschafft, das Schreiben, die Literatur zu filmischem Leben zu erwecken. Wir sehen Handke schreiben, und Corinna Beltz belebt Handkes Notizbücher. Zu den aufregendsten Momenten des Films gehört es, wenn man Handke beim Vorlesen sieht und hört:
Jedenfalls ist Corinna Beltz ein ganz wunderbarer Film geglückt, ein Kino-Werk, das im Wortsinne bezaubern kann, ohne je in antiaufklärerische Affekte oder Sentimentalitäten zu verfallen.
Ein Film, der den Sinn für die kleinen Gesten weckt, der aufräumt mit dem Kitsch vom immer brütenden, von der Inspiration überfallenen Kunstgenie.
Ein lustiger Film, ein Film nicht nur für Handke-Leser, oder Literatur-Fans, sondern genauso für Pilzsammler und Spaziergänger, für Liebhaber des Schönen, ein erhellendes Stück Kino.
Beltz zeigt einen bei allem Narzissmus neugierigen, aller Eigenbrötelei und Verschrobenheit innerlich überraschend jungen Menschen:
»Zum Glück ist das Erfinden die schönste Materie überhaupt. Erfinden ist Materie schaffen. Es muss erfunden werden. Und eine Erfindung ist etwas ganz Seltenes. Erfinden zu dürfen, zu können, zu sollen – das ist nicht normal. Irgendwann hab' ich beschlossen, dass alles fremd ist und alles neu ist und alles ist unentdeckt. Das bringt mich auf die Sprünge. Es ist noch nix erzählt.«