USA 2001 · 183 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Bay Drehbuch: Randall Wallace Kamera: John Schwartzman Darsteller: Ben Affleck, Josh Hartnett, Kate Beckinsale, Cuba Gooding Jr. u.a. |
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Bruckheimer läßt's knallen |
Vielleicht ist alles nur Resultat einer ungesunden Halbbildung. Vielleicht haben Jerry Bruckheimer und Michael Bay damals in der Schule nicht richtig hingehört und sich genau die falschen 50% der berühmten Definition von Klassik – »Edle Einfalt, stille Größe« – gemerkt. Jedenfalls schreit aus Pearl Harbor unüberhörbar der Wunsch, ein Filmklassiker zu werden, und jedenfalls hat seine reichlich gebotene Einfalt so gar nichts Edles und das, was er irrigerweise für Größe hält, mit Stille überhaupt nichts am Hut.
Allemal ist Pearl Harbor das Resultat einer gigantischen Fehlkalkulation – Ergebnis des Glaubens, wenn die Dimensionen eines Behältnisses nur riesenhaft genug seien, so würde sich dieses von selbst adäquat füllen. Kalkulation, das ist das Stichwort, mit dem man dem Film am ehesten auf den Grund kommt. Denn kalkuliert ist alles an Pearl Harbor. Die Grundrechnung ist hinlänglich bekannt gemacht worden: Titanic hat das höchste Einspielergebnis aller Zeiten erreicht. Titanic, das war der historisch verbürgte Untergang eines riesigen Schiffs, gekoppelt mit einer Liebesgeschichte, besetzt mit Stars, die damals noch gar keine waren. Also müsste es doch mit dem Leibhaftigen zugehen, wenn sich das Rezept nicht ein zweites Mal verkochen ließe, möglichst mit noch größerem Erfolg. Vor allem wenn gleich mehrere Schiffe untergehen. Und die »Stars« vielleicht nie welche werden.(Und dann ist da natürlich noch die Nebenrechnung: Mit Saving Private Ryan hat der einst als Action-Kasper verschriene Steven Spielberg bei vielen Kritikern – vor allem den mit Blind- und Taubheit geschlagenen – endgültig die Reputation eines »ernsten«, »wichtigen« Regisseurs erworben. Ein bisserl Zweiter Weltkrieg und Patriotismus kann also nicht schaden, für die als Action-Kasper verschrienen Herrn Bruckheimer und Bay...) Und so hat man sich also den Film zusammengebastelt, schön immer von außen nach innen denkend – und dann das Innere doch vergessend. Man kommt um den Eindruck nicht herum, dass festgestanden haben muss, dass Pearl Harbor drei Stunden zu füllen habe, lange bevor jemand wusste, womit.
Wie kurz das alles im entscheidenden Moment stets gedacht ist, beweist schon die Wahl des Sujets. »Titanic«, das ist für uns eine Metapher und ein moderner Mythos. Was an dem Stoff historisch Handfestes dran ist, das ist heute der kaum noch entscheidende Teil. Nicht das Ereignis, seine Symbolkraft zählt – und James Cameron hat daraus einen Film über Mythen und das Herstellen (mythischer) Bilder gemacht. (Ein Film, der selbst von manchen Bewunderern noch zu oft unterschätzt wird.)
»Pearl Harbor«, das ist nun aber mal ein geschichtliches Ereignis, das von seinem Kontext nicht zu trennen ist. Selbst in der amerikanischen Psyche hat es bestenfalls halbmythologischen Stellenwert; als Metapher für etwas allgemein Menschliches (oder zumindest alle einigermaßen verwestlichten Kulturen Übergreifendes) taugt es nicht. Pearl Harbor, das ist nur ein Glied in einer Kette von Ursachen und Konsequenzen – die Tatsache, dass große Schiffe zerbombt wurden und tausende Menschen starben, ist in diesem Fall aus sich selbst heraus noch ohne jede höhere Bedeutung.Wie schwer es ist, dem Ganzen überhaupt so etwas wie eine »Story« abzuringen, merkt man schon daran, dass Pearl Harbor in seiner letzten Stunde noch die Story des Angriffs von Jimmy Doolittle und seiner Mannen auf Tokyo dranhängt; eine reichlich willkürliche Entscheidung, aber notwendig, um sich daraus dann einen wackligen Bogen zu konstruieren von der traumatischen Verletzung und ihrer heldenhaften Überwindung. Trotzdem bleibt die vorgegaukelte Abgeschlossenheit des Films (der ganz klassisch zum Schluss das allererste Bild wieder aufnimmt und auch alle Protagonisten – wenngleich auf leicht gruselige Weise – wieder vereint) wenig überzeugend, wirkt erzwungen und halbherzig. Denn mit dem finalen Abdichten der Liebesgeschichte ist der Fluss der Geschichte selbst nicht eingedämmt.
Geschichte nun freilich könnte Bay und Bruckheimer kaum weniger interessieren. Geschichte, das ist in Pearl Harbor etwas, was sich in kurzen Wochenschau-Ausschnitten abspielt; Geschichte, das ist ein zeitlicher establishing shot, nicht mehr.Bei einem Film, der kein einziges seiner Elemente wirklich ernst nimmt, müsste man sich nicht weiter darüber aufregen (wie es viele getan haben), wenn er es auch mit der Historie nicht tut. Das Ärgerlichste daran, dass er Roosevelt zum überraschten Unschuldslamm macht, anstatt zu zeigen, dass dem – sehr wohl vorher vom Angriff informierten – Präsidenten die umgekommenen Soldaten als notwendiges Opfer zur Durchsetzung des überfälligen Kriegseintritts erschienen, ist, dass sich der Film damit potentiell die viel spannendere Geschichte verschenkt hat. (Freilich wäre man dann womöglich um den Genuss des haltlos chargierenden John Voight gekommen, der seinen FDR eher in der Nähe von Danny DeVitos Penguin aus Batman Returns angelegt hat.) Nein, niemand hat sich von Pearl Harbor eine Geschichtsstunde erwarten dürfen, und man sollte nicht maulen, wenn man sie auch nicht bekommt. Andererseits kann man es aber nur mit Grusel quittieren, wenn man dann liest, dass Bruckheimer zur Premiere des Films die Überlebenden des Ereignisses lud und die Vorführung auf einem Flugzeugträger im Hafen von Pearl Harbor stattfinden ließ. Im Hafen von Pearl Harbor, auf dessen Grund noch immer über 1000 Tote in dem Flugzeugträger USS Arizona liegen. Menschen, deren Tod nun über ihren verwesenden Köpfen als unterhaltsames Spektakel abgefeiert wurde. (In den Multiplexen des Paradieses läuft derzeit irgendwo ein billiger, dreckiger italienischer Horrorfilm über die Rückkehr dieser Männer als Zombies, die das Pearl Harbor-Premierenpublikum verspeisen.)
Es ist zu bezweifeln ob Bruckheimer, und erst recht ob Bay, ernsthaft glaubt, dass sein Film irgendetwas mit den realen Ereignissen vom 7. Dezember 1941 zu tun hat. Aber man schmückt sich eben mit dem überdimensionalen Glanz des Ereignisses, zitiert es – und wenn’s sein muss in leibhaftiger Gestalt der Veteranen – herbei, um einem weithin belanglosen Streifen Zelluloid davon profitieren zu lassen, der aus eigener Kraft nicht leuchten kann.
Das historische Ereignis bleibt Klötzchen im Baukastenprinzip des Films. Zwar ist Pearl Harbor noch eher aus einem Guss als zuletzt Armageddon, da offenbar diesmal das Drehbuch tatsächlich vor Drehbeginn stand und es aus nur einer Feder ist. Das freilich ist die Feder von Randall Wallace, der sich mit Braveheart bereits als Experte für überlange Schlachtschinken mit einiger unfreiwilliger Komik geoutet hat und mit The Man in the Iron Mask als Fachmann fürs unendlich Platte. Und auch ihm hat merklich der Produzent diktiert – mit dem bekannten Kalkül und der Überzeugung, dass das Gesamte ein gefälliges Bild abgeben werde, wenn es denn eine Summe aus Bröcklein für alle Interessensgruppen sei.
Die Liebesgeschichte hat man sich aus ‘40er-Jahre-Kriegsfilmen abgeholt, dieses bekannte Melodram vom totgeglaubten Soldaten und seiner Rückkehr, bei der er seine über alles Geliebte in den Armen des besten Freundes findet. Aus der selben Quelle stammt die folgende Mär von der Notwendigkeit der Opferbereitschaft, die zum Glück kaum mit genug Überzeugung präsentiert wird, dass man sich mit Unbehagen fragen könnte, worauf wir heute in Friedenszeiten mit dem Einüben des Opferns vorbereitet werden sollen.
Drumrum wird munter gestückelt: Weil Humor immer toll ankommt, gibt es einen stoto-toto-toto-tternden Kumpel (hei, wie luuuustig). Weil Afro-Amerikaner einen nicht unerheblichen Teil des potentiellen Publikums ausmachen, darf Cuba Gooding, Jr. eine Art 5-Minuten Reader’s Digest Fassung von Men of Honor geben. Ein bisserl Krankenschwester-Report ist dabei, und nur die verbissensten Kulturpessimisten zücken da die einschlägigen Theweleit-Kapitel.Und selbstverständlich fehlt nicht eine Prise Patriotismus. »Es gibt nichts stärkeres auf der Welt als das Herz eines Freiwilligen.« Das ist, für sich betrachtet, ein übler Satz. Und wenn am Ende Kate Beckinsale in einem Schlussmonolog preist, wie sich Amerika durch die Ereignisse von Pearl Harbor in unaufhaltsamem Siegeswillen zusammengefunden hat, dann dürfte es einem eigentlich arg unwohl werden. Aber die amerikanische Flagge weht in Pearl Harbor seltsam verschämt, eher aus Pflichterfüllung denn aus Überzeugung. Den Satz mit den Freiwilligen sagt Alec Baldwin, und warum sollte man ausgerechnet in diesem Film damit anfangen, irgendetwas ernst zu nehmen, was Alec Baldwin sagt. Und der Schlussmonolog, hat das Studio verlauten lassen, wird in der japanischen und deutschen Fassung fehlen. Man wolle niemandem zu nahe treten. (»Most (sic!) people know who won the war, anyway,« meinte ein anonymer Studioinformant dazu.) Titanic hat 20% seines Umsatzes in Japan gemacht. Im Konflikt zwischen Kapitalismus und Patriotismus kapituliert bei Pearl Harbor allemal der Patriotismus.
So ist der Film gottseidank von dem perfiden Lobgesang aufs soldatische Menschenbild weit entfernt, den Spielberg mit Saving Private Ryan angestimmt hat. Und ebenso von der gar zu verbissenen, gar zu dumpfen, allzu dröhnenden Patriotitis, die Hollywoods Sommer-Blockbuster immer dann anzufallen scheint, wenn deutsche Regisseure den Ton angeben.
Pearl Harbor will eben niemanden verletzten, niemanden verstören. Zur Sicherheit hat man das Drehbuch einer Gruppe vorgelegt, die über das rechte Bild japanischer Menschen in amerikanischen Medien wacht, und jetzt also darf General Yamamoto, ob seiner strategischen Brillanz gelobt, sagen »Ein brillanter Mann hätte einen Weg gefunden, den Krieg zu verhindern« und überhaupt immer recht zerknirscht schauen, als würde ihm das alles keinen Spaß machen. Ansonsten bleiben die Japaner weitgehend ohne Gesicht und Individualität, aber das haben sie mit den amerikanischen Statisten völlig gemein, die höchstens ab und zu mal »I can’t swim!« schreien dürfen, bevor sie in die Fluten plumpsen.
Über Rassismus können sich eigentlich nur noch die Engländer beklagen, die, soweit überhaupt zu sehen, als knautschige, unattraktive Karrikaturen neben dem amerikanischen Strahlemann stehen und mit komischem Akzent sprechen. (Im Vergleich mit den Schotten freilich kommen sie gut weg – die werden von einer Art Inkarnation des Groundskeeper Willie aus den Simpsons verkörpert.) Der amerikanische Chauvinismus äußert sich in diesem Film auf ganz andere, eher verquere Weise: Beim Angriff auf Tokyo darf viel weniger und viel kürzer nur Zeugs explodieren – die Skala ist nicht eine des Leidens oder der Moral sondern eine des puren Schauwerts.
Michael Bays Kino (und das ist, auch wenn diese Trennlinie selten gezogen wird, noch einmal etwas anderes als Jerry Bruckheimers Kino) ist ein Kino des reinen Spektakels – was nur eine Feststellung, keine Wertung zu sein hat. Das Erblühen von Feuerbällen, die rasante Bewegung, das Zerstieben von Materie in ihre Einzelteile, das ist Bays eigentliches Metier. Hier findet Pearl Harbor auch zu Sekunden von gelungener Überwältigung, zu Momenten von Schönheit. Als eine japanische Bombe ihren Weg unter Deck eines der großen Schlachtschiffe findet und dieses Deck bei ihrer Detonation dann von innen heraus hebt und sprengt, da schnuppert der Film tatsächlich an so etwas wie Größe. Doch Bays Spektakel ist so rein, dass diese Momente gänzlich unverbunden stehen. Wie in allen seiner Filme ist seine Action kein Wechselspiel aus Aktion und Reaktion, will sie von den Gesetzten des Suspense nichts wissen: Auch in Pearl Harbor geht man sehr bald aller räumlichen Orientierung verlustig, weiß die Hälfte der Zeit nicht, was da explodiert und warum. Schon bei dem ersten, kleinen Luftkampf über dem Ärmelkanal fällt es manchmal schwer, Freund und Feind auseinanderzuhalten, mitzubekommen, in welches Cockpit man gerade blickt und welcher Flieger vor oder hinter welchem anderen ist. Während der 40 Minuten der japanischen Attacke ist über weite Strecken unmöglich auszumachen, welches der amerikanischen Schiffe gerade getroffen wird und wo die Charaktere wären, an deren Schicksal wir Interesse zu zeigen hätten. (Die Einzelteile des Films sind abgeschottet voneinander wie Flutkammern: Eine Stunde Exposition der Charaktere und der Liebesgeschichte, vierzig Minuten Explosionen, zwanzig Minuten tragische Nachwehen, eine Stunde Vorbereitung und Durchführung des Gegenangriffs auf Tokyo. Untereinander kommunizieren diese Teile nur rudimentär.)Das freilich steht dem Anspruch des Films, eine menschliche Tragödie zu zeigen, arg quer im Weg. Zumal der billigste Ausweg – satter Schlachten-Splatter à la Spielberg – verbaut ist: Weil man – wieder die Kalkulation – das potentielle Publikum durch eine hohe Altersfreigabe nicht von vornherein beschränken wollte, musste der Film ein »PG-13«-Rating bekommen (entsprechend in etwa unserem »ab 12«). Und so darf Körpern nie viel passieren. Sie verschwinden einfach, in Feuerbällen, unter Wasser, werden geschleudert und geschluckt. Da ist kein Schmerz (Michael Bay, des Andeutens kategorisch unfähig, findet auch keinen Ersatz für explizite Zerstörung von Körpern) – und wenn es Momente gibt, die ihn finden könnten (wie die Hände eines im Schiffsrumpf eingeschlossenen Soldaten sich verzweifelt durch ein Gitter strecken und dann untergehen, beispielsweise), dann ist keine Zeit, ihnen Raum zum Wirken zu lassen, dann muss sofort weitergehechelt werden zur nächsten Attraktion. (Es hilft nicht gerade, dass die meisten dieser Attraktionen sichtlich direkt aus dem Computer stammen – über weite Strecken seiner Action ist Pearl Harbor ein Zeichentrickfilm.) Selbst im Lazarett gibt es zwar Momente, wo Panik spürbar wird, aber Verwundung bleibt weitgehend außen vor – die mit dickem Ruß-Makeup beschmierten Statisten wirken eher wie der »Vorher«-Phase eines Weiße-Riese-Werbespots entsprungen.
Bruckheimer und Bay sind im eigenen Ruf gefangen – Spektakel, Spektakel, Spektakel wurde uns beigebracht, von diesen Namen zu erwarten. Es fehlt ihnen der Mut, diese Erwartung zu enttäuschen. Alles giert darauf, dass endlich mit dem Feuerwerk begonnen wird, und anstatt die Zeit bis dahin mit zwingender Ruhe zu füllen, schnappt der Film nach jeder denkbaren Ersatzbefriedigung. Da muss dann auch die Musik einer Swing-Band aus den Lautsprechern plärren und dröhnen, als wär' das schon der erste explodierte Kreuzer. Und dem stotternden Soldaten mischt man ein nasales Geräusch unter, das an Elefantenherden gemahnt.
Im Zwischenmenschlichen wird die Inszenierung vollends hilflos. Die Schauspieler, erzählte Kate Beckinsale (die sich von allen im Ensemble am redlichsten müht) in einem Interview, waren selbst dafür verantwortlich, dass sie ihre Szenen auch mal probten, ihre Rollen entwickelten. Dafür hatte der Regisseur offenbar weder Zeit noch Interesse. Bay verlässt sich ganz auf seine Kamera, und die kennt nur ein Gesetz: Je größer, desto größer – was die Leinwand am vollständigsten füllt, erzeugt das meiste Gefühl. Das heißt, dass er, wann immer Rührung gefragt ist, noch und noch näher an die Gesichter (unablässlich brav und stur im Schuss-/Gegenschuss-Prinzip gefilmt) herangeht. Das hat schon fast ein Element der Vergewaltigung – man fürchtet dauernd, dass Bay zum emotionalen Höhepunkt das Endoskop auspacken wird und den Darstellern in die Nasenlöcher kriechen. Aber er mag noch so nah rangehen: Da ist immer einfach nichts, und ein riesiges Nichts bleibt ein Nichts.
Es gibt bei all dem durchaus ein Moment der Selbstreflexivität, das sich durch den Film zieht: Ziemlich zu Beginn wird uns gezeigt, wie Soldaten sich mit einer Tinktur zum Weinen bringen, um beim Rendezvous die Krankenschwestern zu rühren und rumzukriegen. Und dann vergießt Kate Beckinsale den Rest des Films eine falsche Träne nach der anderen, ohne Frage dank der Hilfe ähnlicher Schauspieler-Hausmittelchen. »Aber es ist so eine lange Geschichte,« beschwert sie sich recht früh einmal, und ihre Freundinnen meinen »Erzähl trotzdem, wir haben Zeit«. Und dann dauert Pearl Harbor noch ungefähr zweieinhalb Stunden.
Vielleicht ist dies ein bisschen Augenzwinkern, ein bisschen Eingeständnis. Vielleicht ist es nur Zugeständnis ans postmoderne Selsbspiegelungs-Spielerein gewohnte Publikum. Sicher ist es so wirkungs- und belanglos für die Gesamtheit des Films wie jedes andere seiner Elemente. Denn Pearl Harbor schafft es, dass gerade das genaue aufs Detail Schauen, das Nachdenken über das Einzelne nicht mehr greift, nicht weit kommt. Wo immer man etwas festmachen will, man wird einen anderen Moment finden, der genau das negiert. Es ist ein Film, der unterschwellig radikal gegen das anarbeitet, was man genau von einem »Klassiker« erwartet: Einheit, Geschlossenheit, Stringenz der Vision.
Und das ist letztlich wohl das Grundproblem des Films überhaupt: Das Kino von Jerry Bruckheimer und Michael Bay ist, wie immer man es bewerten mag, durch und durch Produkt unserer Zeit, ist ((post)post)modernes Kino. In Pearl Harbor aber zieht es sich das Gewand des »Filmklassikers« an, zitiert eine Ästhetik und eine Welt, an die es nicht glaubt – und meint es dennoch nicht als bloßes Zitat, will wirklich aufgehen in der Rolle. Es arbeitet dabei konsequent gegen die ihm eigenen Qualitäten, stellt sich unter großen Mühen einer Aufgabe, die es gar nicht zu interessieren hätte. Und die andere (Tora! Tora! Tora!, In Harm’s Way, 30 Seconds Over Tokyo) bereits gelöst haben. Mit Pearl Harbor sind Bruckheimer und Bay schlussendlich Verlierer in einer Schlacht, an deren Krieg sie nie teilgenommen haben.
Ein Paar für die Ewigkeit, und am Himmel die lodern die Flammen. Michael Bays Pearl Harbor, der auch ein Kriegsfilm ist, ist zu allererst eine Liebesgeschichte, und eine unglaublich kitschige obendrein. Kurz gesagt muss ein ideales Paar – der patriotischer Fliegeroffizier Rafe (Ben Affleck wie immer gutaussehend aber ausdrucksarm) und die Krankenschwester Evelyn (die wenig bekannte Kate Beckinsale ist noch das beste an dem Film) – sich erst treffen und verlieben, und dann für eine Weile auseinander gehen. Bald gilt er als gefallen, sie tröstet sich nach viel Tränengekuller mit seinem besten Freund Danny (Josh Hartnett). Dann taucht Rafe, ausgerechnet in der Nacht vor Japans Angriff wieder auf, alle sind erschüttert und wissen nicht weiter, doch glücklicherweise greifen die Japaner an, um die Liebesangelegenheit in vorhersehbar puritanischer Weise wieder ins Lot zu bringen.
Eine unoriginelle Schnulze auf Neandertalerniveau also – wäre es nicht mehr, als das, man würde Michael Bays Pearl Harbor abtun unter all die vielen anderen Durchschnitt-Schmonzetten, die – nicht nur aus Hollywood – allwöchentlich in Film und Fernsehen zu sehen sind.
Aber dieser Film war teuer, nicht nur ein bisschen, sondern richtig, mit ca. 140 Millionen Dollar einer der teuersten aller Zeiten. Darum wird er auch in Deutschland mit 1000 Kopien mit der Gewalt einer Bombe einschlagen – und so leider viele andere, bessere Filme für die nächsten Wochen aus den Kinos verdrängen. Und so wird, verbunden mit einem schier irrsinnigen Werbeaufwand, ein Film zum »Ereignis«, der es weder künstlerisch, noch aus anderen Gründen verdient hat.
Pearl Harbor gehört auch nicht zu jener Kategorie Kino, die in irgendeiner Form »interessant mißglückt« genannt werden kann. im Gegenteil: Die ca 40 minuten des über dreistündigen Machwerks, in denen der eigentliche japanische Angriff am Morgen des 7.November 1941 dargestellt wird, sind noch das Beste. Hier immerhin tut Regisseur Michael Bay – mit Armaggeddon und The Rock bekannt geworden – etwas, das er beherrscht, und inszeniert eine Kriegsschlacht rasant und spektakulär. Nicht umsonst gelten Bay und sein Produzent Jerry Bruckheimer als »Master of Desaster«, als geistlose, aber rein technisch perfekte Sprengmeister für die MTV-Generation, die jede dramaturgische Lücke noch mit ein paar zusätzlichen Knall- und Effektkörpern stopfen.
Freilich ist es etwas anderes, ob man es mit Asteroiden und erdachten Terroristen zu tun hat, oder mit einem historischen Ereignis von politischer und humaner – ja, auch das – Bedeutung. Inhuman und politisch fragwürdig wird eine Kriegsdarstellung nämlich dort, wo sie die Realität auf den Kopf stellt. Das Bay den Krieg nur als platte Kulisse für einen Unterhaltungsfilm gebraucht, muss einem nicht gefallen, ist ihm aber ebensowenig vorzuwerfen, wie der Verzicht auf eine differenzierte Diskussion der historischen Wirklichkeit. Sehr wohl künstlerisch und moralisch vorzuwerfen ist ihm aber die fast völlige Reduzierung eines Krieges auf ein klinisch sauberes Videospiel. Es fließt schon Blut, und Tote sieht man auch, doch wird dies alles sofort durch neuen Lärm und neue Bilder wieder vergessen gemacht. Durchschnittlich alle drei Sekunden (auf die Gesamtlänge bezogen) folgt ein Filmschnitt, die Schlacht selbst dürfte daher mehr als drimal so schnell geschnitten sein.
Wer so inszeniert, hält das Publikum fein raus. Es ist zwar mittendrin, wird sogar selbst zur Bombe, die mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit hinabstürzt, und das US-Flagschiff versenkt, doch es ist nie emotional wirklich beteiligt. Beim Krieg mag das gut sein, für die Romanze ist es tödlich. So erlebt man vor allem Langeweile, fragt sich, was der ganze Film soll. Und wo Jon Voight mit zentimeterdickem Make-up als Präsident Roosevelt den Feiglingen in Politik und Armeeführung mal so richtig den Marsch bläst, wird es grotesk.
So wurde das viele Geld für einen lahmen, inhaltlich unbeholfenen Film ausgegeben, der allen Fehlurteilen gegenüber dieser Art von Unterhaltungsindustrie reichlich Nahrung gibt. Aber Hollywood kann es viel besser, und so konformistisch wie Bay/Bruckheimer ist es sonst nie. Das belegen erst recht die Filmen derjenigen, die Pearl Harbor noch selbst erlebten mussten, Zinnemanns Verdammt in alle Ewigkeit oder – noch viel besser – Otto Premingers In Harm’s Way. Der war übrigens schon 1965 schon fast drei Stunden lang. Aber was für welche!